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Abstand zum thukydideischen Perikles?

Abstand zum thukydideischen Perikles?

Abbildung 1:

 

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Perikles … Ein Denkmal wie der Nikiasfrieden?

 

  1. Erst einmal Thukydides!

 

  1. Der thukydideische Perikles

 

  1. Kritik gehört zum Geschäft

 

  1. Perikles … Der Mann wird nicht neu aufgebaut!

 

  1. Quellen- und Literaturverzeichnis

 

  1. Perikles … Ein Denkmal wie der Nikiasfrieden?
Abbildung 2: Perikles

Ist etwas faul am Staatsmann Perikles? War die Nähe zu seinem Intimus Phidias, dem Toreuten mit der Zeusstatue von Olympia, prekär wegen Verdachts auf Unterschlagung von Baumaterialien? Oder konnte er – ob inkompetent oder desinteressiert – die überlebensnotwendigen Getreidezufuhren aus dem Pontus über die Sicherung des Bosporus und Hellespont nur auf der Pnyx in eloquenten Redesalven sichern? Nichts von diesen Punkten wäre nach aktueller Quellenlage gerichtlich verwertbar gewesen zur angeblichen Tatzeit. Und die tatsächlichen juristischen Kalamitäten im Leben des Ersten Mannes in der Polis Athen betrafen das persönliche Umfeld des langjährigen Strategen. Darum soll und kann es nicht gehen in dieser Ausarbeitung. Noch heute kennen die Koryphäen der antiken Philosophie aber den platonischen Aphorismus von faulen und geldgierigen Athenern zu Perikles´ Lebzeiten. Das sind keine adäquaten Attitüden für den Hegemon des Attischen Seebundes und dem Triumphator über Dareios und Xerxes. Vielmehr scheinen hier die klassischen Geschichtsbilder von inkompletter Natur zu sein, postuliert über eine marginale Multiperspektivität. Der klassisch Gebildete konnte stets auf das Informationsprimat des griechischen Historikers Thukydides verweisen, der den deskriptiven Schreibstil zu erreichen versuchte. Ob es gelang, kann in toto hier nicht analysiert werden, aber Zeitgenossen des perikleischen Zeitalters wie Platon dürfen das Wort erhalten. Oder Thukydides selbst darf in den für die Ausarbeitung relevanten Kapiteln des zweiten Buches seiner Tradierung über den Peloponnesischen Krieg auf Ambivalenzen hin untersucht werden. Es ist dabei das Ziel, den athenischen princeps nicht in die Demontagehalle zu katapultieren, sondern ein differenzierteres Bild von einem Staatsmann zu erhalten, der sine dubio eine überdurchschnittliche Kohärenz in rhetorischen und sozialpolitischen Angelegenheiten sein Eigen nennen konnte.

2. Erst einmal Thukydides!

Hätte sich der Staatstheoretiker Platon im 4. Jahrhundert vor Christus mit seiner Politeia durchgesetzt, wäre das heutige Demokratieverständnis ad absurdum geführt worden. Sokrates, einst Lehrer des Platon, philosophiert in diesem Werk über das Naturrecht und entwickelt eine ständische Ordnung für die Res publica. Der Bauernstand, die Wächterkaste und die elitären Philosophenherrscher würden heute den gesellschaftlichen Alltag bestimmen. Gute Staatsführung verwirklicht die Gerechtigkeit. Und die Gerechtigkeit liegt in der Deutungshoheit bei den Philosophen. Es gäbe eine philosophische Oligarchie. Warum aber diese Abkehr von gleichem Recht? Unmissverständlich sieht Platon die für die Ausübung politischer Tätigkeiten notwendigen Charaktere bei den Aristokraten. Die Demokratie mit ihrer Neigung zu unersättlichem Freiheitsdrang würde in die Tyrannis münden, da die Drohnen mit ihrer apodiktischen Argumentation ein populistisches und plebiszitäres Demagogenterrain aus Zügellosigkeiten und Immoralitäten erschaffen.[1] Am Ende stünde nach Platon ein Bürger, der im ethischen Wertekatalog die Dekadenz zelebrieren würde mit übermäßigen und unkontrollierten Neigungen.[2] Dem Platoniker verbietet sich aber jegliche Form der verfassungsrechtlichen Schadenfreude, denn die platonische Kalamität ist von perfider Ambivalenz hinsichtlich einer generationenübergreifenden Psychogenese.  Die Idiopragieformel, die die Stärken des Individuums in das produktive Ganze überträgt, würde eine intellektuelle Saat erzeugen für den Homo necans. Die Triebgenese psychisch entarteter Philosophen und ein Konglomerat an ethisch-sittlichen Ansprüchen wären symbiotisch in die nachfolgenden Jahrhunderte kolportiert worden.

Abbildung 3: Thukydides

War der demos bei Platon auf Inakzeptanz gestoßen, bildete das gleiche Recht bei einem attischen Adligen den archimedischen Punkt in dessen zeithistorischen Geschichtswerk. Ein Mann namens Thukydides, um 460 v. Chr. geboren, wohl mit thrakischer Genealogie väterlicherseits[3], kannte in jungen Jahren den Strategen Perikles persönlich.  Thukydides´ Abhandlung über den Peloponnesischen Krieg kann daher zweifellos herangezogen werden als Primärquelle zur Gewinnung substanzieller Schlussfolgerungen bezüglich der politischen Vita des Strategen Perikles. Die Althistoriker können in ihren Diskursen die detaillierten Grundsatzreden des Perikles aus den

Abbildung 4: Die älteste erhaltene Handschrift des Geschichtswerks des Thukydides

ersten beiden Büchern des thukydideischen Geschichtswerkes entnehmen, um eine plastische Vorstellung von der politischen Heimat und den konkreten Initiativen dieses Strategen am Vorabend des Peloponnesischen Krieges zu erhalten – einschließlich der von ihm propagierten Strategie im Dualismus mit Sparta, seinen Peloponnesischen Bündnispartnern. Über diese beeindruckende Darstellung des Politikers und Redners hinaus hat Thukydides in diesem Werk auch in eigenem Namen, zu der Person und den politischen Leistungen des Perikles Stellung bezogen – in einem ausführlichen Nachruf, den der in seinem persönlichen Urteil sonst sehr zurückhaltende Historiker dem Andenken des im dritten Kriegsjahr verstorbenen Staatsmannes gewidmet hat. Dieser Nachruf verknüpft die persönliche Würdigung des Perikles mit einem kritisch argumentierenden Ausblick auf den weiteren Gang des Kriegsgeschehens und die Entwicklungen im politischen Leben Athens bis zur Entscheidung von 405/4 v. Chr. Thukydides´ Urteil über Perikles steht somit eindeutig im Zeichen der für Athen und seine Demokratie so fatalen Niederlage und der damit verbundenen Grundsatzfragen. Mit festem Blick auf das katastrophale Ende der athenischen Kriegsführung und den Zusammenbruch der athenischen Demokratie will Thukydides deutlich machen, dass man den führenden Staatsmann der 430er Jahre und seine damalige Politik gerade nicht vom fatalen Ausgang dieses Kriegsgeschehens her beurteilen dürfe. Dabei hat der antike Autor die Geschichte des Peloponnesischen Krieges bekanntlich nicht nur gründlich erforscht, sondern auf seinem schweren Lebensweg auch ganz persönlich erlitten. Für Thukydides kommt jedenfalls eine unmittelbare, persönliche Kriegsschuld des Perikles, in seinen Reaktionen und Initiativen während der über mehrere Jahre sich hinziehenden diplomatischen und politisch-militärischen Auseinandersetzungen vor dem eigentlichen Beginn des Peloponnesischen Krieges, nicht in Betracht. Ebenso wenig ist von gravierenden Fehlern des Politikers in der machtpolitischen Risikoabwägung im Verlauf der eskalierenden Konflikte an den Rändern der miteinander rivalisierenden Bündnissysteme die Rede.[4]

Darin liegt der fachwissenschaftliche Wert des thukydideischen Geschichtswerks. Und das ist die Initiative für eine distanzierte Verwendung der platonischen Argumentation hinsichtlich der Bewertung der perikleischen Ära, wobei die Kritik Platons an der Demokratie durchaus verständlich ist. Gerade in der letzten Phase des Peloponnesischen Krieges kam es zu latent abschreckenden Entscheidungen der Volksversammlung, dokumentiert über die Todesurteile gegen die Strategen, die man des Fehlverhaltens bezichtigte in der Seeschlacht bei den Arginusen 406 v. Chr.[5] oder die Einführung des oligarchischen Terrorkommandos Dreißig im Jahre 404 v. Chr. In diesem annus horribilis hatten die Athener nicht nur die Herrschaft verloren, sondern verloren auch die Oberhoheit über die Stadt, als diese gegenüber den Spartanern affine Kommission aus dreißig Oligarchen die Terrorbrigade exhibitionierte. Diese oder ähnlich gelagerte Volksbeschlüsse mögen Platon darin bestärkt haben, die Demokratie als instabil zu titulieren. Erst ein Stratege namens Thrasybulos, Veteran des Peloponnesischen Krieges, ermöglichte mit der Beseitigung der spartanischen Garnison und mit dem Sturz der despotischen Dreißig die Restauration der athenischen Demokratie. Allerdings scheint die radikale Kritik[6] des Platon überzogen, da Rechtsinstitutionen wie die Nomotheten oder die Klage graphē paranomon die Macht der Volksversammlung und der Demagogen relativierten. Offenbar ging es Platon nicht um eine dogmatische Ablehnung, sondern um eine pointierte Hinweisgebung auf ein Übermaß an demokratischer Freiheit. Und hier zeigt Platon analytischen Habitus, denn die Achillesverse der athenischen Demokratie lag in dem Ideal, jedem männlichen Bürger der Polis Athen die politischen Rechte in der Umsetzung zu gewähren.[7] Realiter konnte mit dem Ideal der politischen Gleichheit keine Gleichschaltung der ökonomischen Unabhängigkeit erreicht werden, denn der Bauernstand wäre monetär nicht potent gewesen, die Pnyx oder die Agora hochfrequentiert aufzusuchen.[8]

3. Der thukydideische Perikles

Dem versierten Historiker ist der Thukydides bekannt als der Begründer der politischen Geschichte, wenig merklich entfernt von der historischen Methode der neuzeitlichen Geschichtswissenschaft. Unabhängig von methodischen und fachwissenschaftlichen Diskursen, das thukydideische Bemühen um Nüchternheit und Aufklärung erhält eine Zustimmung.[9]  Eine Demonstration dieser vorzeigbaren Geschichtswissenschaft liegt in der Darstellung der Periklesgestalt. Dieser Staatsmann repräsentierte in der Hochphase der Polis Athen einen demokratischen Staat mit mehrjährigen, durchgehenden Erfahrungen als Stratege. Thukydides berichtet in seiner sachlichen Art über die Taten dieses Regenten, er lässt den Protagonisten des Perikleischen Zeitalters ausführlich in mehreren Grundsatzreden zu Wort kommen und lässt ihn die Grundgedanken seiner Politik darlegen. Der berichtende Teil der thudydikeischen Darstellung und die dem Perikles in den Mund gelegten Reden bilden eine in sich abgestimmte Kohärenz, so dass daraus eine Zustimmung des Geschichtsschreibers herausgelesen werden kann.[10] Mit dem Herannahen des Peloponnesischen Krieges erhält Perikles eine Überzeichnung als in Rede und Tat mächtiger Mann im Staat. Athen ist der Primus in der griechischen Welt. Die Politik Athens, das so den Anspruch des Staates mit der Würde des Bürgers in Einklang bringt und die anderen Poleis durch Wohltun, durch Vertrauen auf großmütige Gesinnung sich zu Freunden macht, wird als hellenistische Schule tituliert.[11] Die ehemals verbündeten Städte sind zu Untertanen geworden, ihre Abhängigkeit ist so klar, dass Athen unumwunden als ägäischer Hegemon bezeichnet werden kann. Das einheitliche Wirtschaftsgebiet, das so entstanden ist, macht Athen reich, der Staatsschatz ist gefüllt. Die Polis Athen ist möglichen kriegerischen Auseinandersetzungen gegenüber ressourcenintensiv.[12] Thukydides, der dieses maritime Bündnissystem analysiert, ist voll Bewunderung für den Strategen Perikles, der diesem ägäischen Gebilde in den ägäischen Gefilden einen hellenistischen Liktoren gibt. Das Zeitgenössische spricht zudem für Thukydides, da er persönlich diesen Staatsmann kannte oder sich doch zumindest dessen Auftritten auf der Pnyx vergegenwärtigte. Perikles den Demos lenkt, wie er in klarem Vorausschauen und in Begeisterung für seine Stadt die große Macht aufbaut und sichert. Perikles verkörpert den idealen Staatsmann mit den für einen Realpolitiker notwendigen Eingebungen für von markanter Demagogie befreite Volksversammlungsbeschlüsse, mit bezwingender Redegewalt, mit Vaterlandsliebe und persönlicher Uneigennützigkeit.[13] Thukydides erkennt darin die Harmonie zwischen demokratischer Verfassung und persönlicher Staatsführung, zwischen einem Kulturstaat und maritimer Hegemonie im Attischen Seebund. Die Gültigkeit dieser Norm, die Perikles aufgerichtet hat, erweist sich dem Geschichtsschreiber auch im Geschehen nach Perikles´ Tod, an dem Abgleiten der Epigonen wie Kleon oder Nikias, der Selbstaufgabe und Kapitulation Athens nach der deklassierenden Seeschlacht bei Aigospotamoi 405 v. Chr. Diese amourösenhafte Fremdinszenierung zur Etablierung eines normfokussierenden, über die Zeitgenossen hinaus vitalen Geschichtsbildes kommt im Abschnitt 65 des zweiten Buches deutlich zum Ausdruck.[14] Und genau dieses Urteil des Historikers qualifiziert diesen Thukydides als einen über den reinen Hofhistoriographen hinausgehenden Literaten, da dessen Geschichtswerk zu einer Zeit verfasst wurde, als Athen ressourcenverbraucht unter Oligarchen wie Peisandros, einem der Wortführer des oligarchischen Rates der 400, darbte.

4. Kritik gehört zum Geschäft

Da ist Perikles der erste Mann Athens, der Regent einer Bürgerschaft, die die Worte des Perikles beherzigt. Die nachfolgende Führungskaste zeichnete sich nach den Worten des Thukydides jedoch durch allzu großen Frevel aus hinsichtlich der charakterlichen Schwächen.[15] Offenbar war der Demos nach dem Tod des großen Strategen 429 v. Chr. wenig geneigt oder von limitierter Denkkraft, da die eloquente Kunst der Demagogie die Anfälligkeit für Fehlleistungen potenzierte. Aber waren es nur wirklich die Epigonen wie Diodotos, die das diabolische Schwert der Verführung schwangen? Gilt Perikles nicht als Begründer dieser Saturierungspolitik? Der Geschichtsschreiber berichtet der Nachwelt selbst, wie zu Lebzeiten des Perikles die Pest Athen in ihrem Atem hielt und der ausgemergelte Demos Signale der Verständigung mit den Peloponnesiern forderte.[16] Da lässt er dann seinen Staatsmann in der Gefallenenrede bittere Vorwürfe an die Bürger richten, ihren Wankelmut und ihre Niedergeschlagenheit tadeln. Da lässt Thukydides den Perikles posaunen, sie sollten nicht kleiner sein als die Vorfahren[17], aber wenige Monate zuvor trompetete er martialisch, dass die Vorfahren angesichts des gegenwärtigen Geschlechts zurücktreten.[18] Entweder ist es sprachlich tonierter innerer Wankelmut gewesen oder der Demagoge Perikles richtete sich nach den stimmungsträchtigsten Formulierungen auf der Pnyx. Auch wenn sie die auctoritas eines Perikles nicht gehabt haben, so sind die Epigonen frei von jeder totalen Schuldfrage hinsichtlich der byzantinischen Verhältnisse in der Volksversammlung. Wie formulierte es doch einer der bekannten Gegner des Perikles, Plutarch beim Namen, und in diesem Zitat steckt bereits der Verdacht des dialektischen Demosthenes:

Wenn ich ihn im Ringkampf zu Boden geschleudert habe, streitet er ab, überhaupt gefallen zu sein, und kann dabei erfolgreich sogar die Augenzeugen in ihrer Meinung umstimmen.[19]

Selbst im Kapitel 65 des zweiten Buches mit einer offensichtlichen parteiischen Würdigung des Perikles, kann und muss Thukydides mögliche Verfehlungen und Unpässlichkeiten in der politischen Vita des Perikles aufzeigen. Thukydides hält sich jedoch bedeckt, listet ohne abwägende Argumentation die Malusse auf und begibt sich anschließend mit bedeutend größerem Elan nach Erklärung in die perikleische Koketterie.[20] Hierbei darf man eine kleine Anmerkung in Kapitel 65 nicht überlesen, die von eminenter Bedeutung ist hinsichtlich der perikleischen Akzeptanz im attischen Demos. Perikles wurde trotz der Zermürbungsstrategie der innenpolitischen Gegner am Ende der dreißiger Jahre immer wieder im Strategenamt bestätigt:

Sehr bald danach freilich, wie die Menge pflegt, wählten sie ihn wieder zum Feldherrn und überließen ihm die wichtigsten Entscheidungen, da jeder in seinem häuslichen Kummer nun schon eher abgestumpft war und sie ihn für die Bedürfnisse der gesamten Stadt doch für den fähigsten Mann hielten.[21]

Die Wahl des Strategen war ursprünglich eine phylenweise Kandidatenauswahl, aber Änderungen in den Wahlmodi führten dazu, dass die Kandidaten mit den meisten Stimmen über die Phylengrenzen hinweg in das Strategenkollegium gewählt wurden. Perikles konnte sich also neben seiner Hausmacht auch auf eine überegionale Wählerschaft berufen.[22] Diese Singularität zeichnet dieses Kapitel aus. Es verrät über den Historiker Thukydides mehr persönliches als diesem es weniger beabsichtigt war. Um sich dem Vorwurf des politischen Pamphlets mit transgredienter Denkmalsetzung entziehen zu können, kam es zu unkommentierten Biographieversatzstücken, in denen der aufmerksame Leser aber die Brücken schlagen kann zu einer perikleischen Kritik.

Zwischen dem Ersten Mann im Staat und seinen Polisbürgern müssen eklatante Spannungen existiert haben. Das war das Ergebnis einer Politik, die nur den Demos befriedigen wollte. Nehmen wir die Kleruchienpolitik als veranschaulichtes Mittel der narkotisierenden Massenstimulation, um den negativen Frieden in der Polis Athen nicht ausufern zu lassen. Eine systematische Ansiedlung von Athenern in Poleis der Bundesgenossen war eine dekadente und kurzsichtige Portion des ägäischen Imperialismus und die enaktive Form einer egoistischen Polis namens Athen. Mit Zuckerbrot und Peitsche hantierte der Demagoge offenbar schon in der Antike. Gelegentliche Restriktionen bei Komödienaufführungen zeigten die Ambivalenz in der Amtsführung des griechischen princeps. Dass das mit der Wiedergeburt der Peisistratiden und deren apologetischen Redetitan Perikles sicher überzogen war, bleibt in der Annahme nicht fremd, aber ein Komödieninhalt dient durchaus für Revelationen und für Infantilisierungen des Demos.[23] Zudem müssen grundsätzlich imperialistische Neigungen unterstellt werden, und das gilt unisono für Thukydides und Perikles. Es war selbstverständlich, dass aus der anfänglichen Symmachie mit bilateralem Charakter eine attische Hegemonie wurde. Und ganz nebenbei und abwägungsfrei sprechen deren Befürworter Perikles und Thukydides davon, dass der Hass auf die Athener hingenommen werden müsse als Preis für den ewigen Ruhm.[24]  Unverblümt  demonstriert Perikles einen Stolz für die geographischen Ausläufer des Attisch-Delischen Seebundes.[25]

Daran anschließend kann die von Thukydides vorgetragene Kriegsstrategie[26] des Perikles als bedingt bevölkerungsfreundlich angesehen werden. Militärstrategisch war die perikleische Überlegung den attischen Stärken angepasst: die defensive Ausrichtung des Landheeres musste die Spartaner auf dem Land binden und die Stoßkraft abfedern, wohingegen die athenische Flotte an den peloponnesischen Küstenabschnitten in Partisanenmanier konstante ökonomische Nadelstiche fabrizieren sollte. Notfalls konnten die Ressourcen überseeisch bezogen werden, und der Umschlagsplatz in Piräus oder die Polis Athen waren durch die Langen Mauern geschützt. Die Ermattungsstrategie war durchdacht, aber lediglich einer Blitzkriegstrategie gegenüber affin oder auf die Unfähigkeit einer peloponnesischen Invasionsarmee ausgerichtet. Der spartanische König Archidamos II. erkannte diese verdeckte Achillesferse der Athener und setzte mit seinem Invasionsheer später in der Anfangsphase des Krieges auch dort ressourcenzerstörend an. Lediglich 429 v. Chr. verzichtete der spartanische Feldherr auf eine Invasion, aber da war die Pest in Athen ein unfreiwilliger apokalyptischer Reiter in spartanischem Dienst, dem auch Perikles zum Opfer fiel. Gerade die attische Landbevölkerung und deren Produktionskapazitäten und -möglichkeiten waren bei langer Kriegsdauer der Überforderung ausgesetzt.  Auch die Situation auf den Inselpoleis und die außenpolitischen Bündnismöglichkeiten Spartas waren nicht den langfristigen Planspielen angepasst. Selbst Thukydides weiß von dieser hasardeurischen Strategie[27] zu berichten, favorisiert aber die perikleische Rede mit herrischem Durchhalteparolen für die athenische Landbevölkerung.

5. Perikles … Der Mann wird nicht neu aufgebaut!

Der athenische princeps braucht nicht neu aufgebaut zu werden. Die Aussage ist weniger radikal und von moderatem Ton. Thukydides zeichnet einen Mann, der am Vorabend des Peloponnesischen Krieges trotz Avancen gegenüber einer imperialen Ägäis unter attischer Hegemonie die Volksherrschaft befürwortet, und der Einzelne hat lediglich in der auctoritas nach seinem Verdienst einen höheren Rang, sonst gilt gleiches Recht. Ob seine letzten Jahre als Stratege von saturierender Natur waren zwecks Ämtererhalts, seine innenpolitischen Feinde propagandistische Mittel aller Couleur nutzten zur Diskreditierung seines persönlichen Umfeldes und seiner Person oder Thukydides ambivalent und mit wenig Multiperspektivität ein Periklesbild für die Nachwelt zeichnete, bleiben doch die breite Akzeptanz in der Bevölkerung (natürlich nicht mit durchgehender Bewunderung), dokumentiert über die langjährige Tätigkeit als Stratege und die dem Perikles nachgesagten Worte aus dem Peloponnesischen Krieg, um den princeps des attischen Demos nicht aus der Ruhmeshalle bekannter Staatsmänner zu verfrachten. Das Geschichtswerk des Thukydides war in Methode noch nicht ausgereift für die Multiperspektivität in toto, so dass eine abwägende, diametrale Charakterstudie Grundlage hätte sein können für tragbare und facettenreiche Psychoanalysen.

„Die Verfassung, nach der wir leben, vergleicht sich mit keiner fremden; viel eher sind wir für sonst jemand ein Vorbild als Nachahmer anderer. Mit Namen heißt sie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf eine größere Zahl gestellt ist, Volksherrschaft.“[28]

 

6. Quellen- und Literaturverzeichnis:

Quellenverzeichnis:

Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges 1, griech. – dt., übersetzt und mit einer Einf. und Erl. vers. v. Georg Peter Landmann, München 1993 (Sammlung Tusculum).

Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges 2, griech. – dt., übersetzt und mit einer Einf. und Erl. vers. v. Georg Peter Landmann, München 1993 (Sammlung Tusculum).

 

Literaturverzeichnis:

Bleckmann, Bruno: Der Peloponnesische Krieg, München 2007.

Bleicken, Jochen: Die athenische Demokratie, Paderborn 1995.

Hornblower, Simon: Art. Thukydides, in: DNP 12 (2002), Sp. 505 – 512.

Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008.

Maurer, Reinhart: Platons Staat und die Demokratie, Berlin 1970.

Mittermeier, Karl/Mair, Meinhard: Demokratie. Die Geschichte einer politischen Idee von Platon bis heute, Darmstadt 1995.

Prestel, Georg: Die antidemokratische Strömung im Athen des 5. Jahrhunderts bis zum Tod des Perikles, in: Breslauer Historische Forschungen 12 (1939).

Ruschenbusch, Eberhard: Die Wahl der Strategen im 5. und 4. Jh. v. Chr. in Athen, in: Historia 24.1, S. 112 – 114, URL: http://www.jstor.org/stable/4435429. .

Vogt, Joseph: Das Bild des Perikles bei Thudydikes, in: HZ 182.2 (1956), S. 249 – 266, URL: http://www.jstor.org/stable/27611639.

Wiegand, Wilhelm: Platon´s Werke, Zehn Bücher vom Staate, Buch VIII, Stuttgart 1855.

 

[1] Mittermeier, Karl/Mair, Meinhard: Demokratie. Die Geschichte einer politischen Idee von Platon bis heute, Darmstadt 1995, S. 24.

[2] Wiegand, Wilhelm: Platon´s Werke. Zehn Bücher vom Staate 8, Stuttgart 1855, Pol. 564St 2A (im Folgenden zitiert als: Wiegand, Platon).

[3] Hornblower, Simon: Art. Thukydides, in: DNP 12 (2002), Sp. 505 – 512, Sp. 506.

[4] Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008, S. 16 – 17.

[5] Die Athener besiegten in dieser größten innergriechischen Seeschlacht die Spartaner vernichtend in der Endphase des Peloponnesischen Krieges. Ursprünglich hatte der spartanische Nauarch Kallikratidas die athenische Flotte auf Lesbos eingekesselt, doch konnte eine athenische Entsatzflotte an der Inselgruppe der Arginusen die Spartaner vernichtend schlagen unter anderem durch die Mitwirkung des Nauarchen Perikles des Jüngeren, einem Sohn des Staatsmanns Perikles. Die angespannte Situation spiegelte sich jedoch im nachfolgenden Arginusenprozess wieder, als man der Mehrheit der an der Seeschlacht beteiligten Strategen den Vorwurf der unterlassenen Bergung von Toten und Schiffbrüchigen vorwarf.

[6] Wiegand, Platon, Pol. 557 St 2A.

[7] Maurer, Reinhart: Platons Staat und die Demokratie, Berlin 1970, S. 186.

[8] Bleicken, Jochen: Die athenische Demokratie, Paderborn 1995, S. 464.

[9] Bleckmann, Bruno: Der Peloponnesische Krieg, München 2007, S. 13.

[10] Vogt, Joseph: Das Bild des Perikles bei Thudydikes, in: HZ 182.2 (1956), S. 249 – 266, S. 249 – 251, URL: http://www.jstor.org/stable/27611639.

[11] Thuk. II, 41.

[12] Thuk. II, 36.

[13] Thuk. II, 60.

[14] Thuk. II, 65.

[15] Thuk. II, 65.

[16] Thuk. II, 65.

[17] Thuk. II, 62.

[18] Thuk. II, 36.

[19] Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008, S. 156.

[20] Thuk. II, 36.

[21] Thuk. II, 36.

[22] Ruschenbusch, Eberhard: Die Wahl der Strategen im 5. und 4. Jh. v. Chr. in Athen, in: Historia 24.1 (1975), S. 112 – 114, URL: http://www.jstor.org/stable/4435429.

[23] Prestel, Georg: Die antidemokratische Strömung im Athen des 5. Jahrhunderts bis zum Tod des Perikles, in: Breslauer Historische Forschungen 12 (1939), S. 53.

[24] Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008, S. 273.

[25] Thuk. II, 36.

[26] Thuk. II, 60-64.

[27] Thuk. I, 178.

[28] Thuk. II, 37.

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