Archiv für den Monat: März 2018

Abstand zum thukydideischen Perikles?

Abstand zum thukydideischen Perikles?

Abbildung 1:

 

Inhaltsverzeichnis

 

  1. Perikles … Ein Denkmal wie der Nikiasfrieden?

 

  1. Erst einmal Thukydides!

 

  1. Der thukydideische Perikles

 

  1. Kritik gehört zum Geschäft

 

  1. Perikles … Der Mann wird nicht neu aufgebaut!

 

  1. Quellen- und Literaturverzeichnis

 

  1. Perikles … Ein Denkmal wie der Nikiasfrieden?
Abbildung 2: Perikles

Ist etwas faul am Staatsmann Perikles? War die Nähe zu seinem Intimus Phidias, dem Toreuten mit der Zeusstatue von Olympia, prekär wegen Verdachts auf Unterschlagung von Baumaterialien? Oder konnte er – ob inkompetent oder desinteressiert – die überlebensnotwendigen Getreidezufuhren aus dem Pontus über die Sicherung des Bosporus und Hellespont nur auf der Pnyx in eloquenten Redesalven sichern? Nichts von diesen Punkten wäre nach aktueller Quellenlage gerichtlich verwertbar gewesen zur angeblichen Tatzeit. Und die tatsächlichen juristischen Kalamitäten im Leben des Ersten Mannes in der Polis Athen betrafen das persönliche Umfeld des langjährigen Strategen. Darum soll und kann es nicht gehen in dieser Ausarbeitung. Noch heute kennen die Koryphäen der antiken Philosophie aber den platonischen Aphorismus von faulen und geldgierigen Athenern zu Perikles´ Lebzeiten. Das sind keine adäquaten Attitüden für den Hegemon des Attischen Seebundes und dem Triumphator über Dareios und Xerxes. Vielmehr scheinen hier die klassischen Geschichtsbilder von inkompletter Natur zu sein, postuliert über eine marginale Multiperspektivität. Der klassisch Gebildete konnte stets auf das Informationsprimat des griechischen Historikers Thukydides verweisen, der den deskriptiven Schreibstil zu erreichen versuchte. Ob es gelang, kann in toto hier nicht analysiert werden, aber Zeitgenossen des perikleischen Zeitalters wie Platon dürfen das Wort erhalten. Oder Thukydides selbst darf in den für die Ausarbeitung relevanten Kapiteln des zweiten Buches seiner Tradierung über den Peloponnesischen Krieg auf Ambivalenzen hin untersucht werden. Es ist dabei das Ziel, den athenischen princeps nicht in die Demontagehalle zu katapultieren, sondern ein differenzierteres Bild von einem Staatsmann zu erhalten, der sine dubio eine überdurchschnittliche Kohärenz in rhetorischen und sozialpolitischen Angelegenheiten sein Eigen nennen konnte.

2. Erst einmal Thukydides!

Hätte sich der Staatstheoretiker Platon im 4. Jahrhundert vor Christus mit seiner Politeia durchgesetzt, wäre das heutige Demokratieverständnis ad absurdum geführt worden. Sokrates, einst Lehrer des Platon, philosophiert in diesem Werk über das Naturrecht und entwickelt eine ständische Ordnung für die Res publica. Der Bauernstand, die Wächterkaste und die elitären Philosophenherrscher würden heute den gesellschaftlichen Alltag bestimmen. Gute Staatsführung verwirklicht die Gerechtigkeit. Und die Gerechtigkeit liegt in der Deutungshoheit bei den Philosophen. Es gäbe eine philosophische Oligarchie. Warum aber diese Abkehr von gleichem Recht? Unmissverständlich sieht Platon die für die Ausübung politischer Tätigkeiten notwendigen Charaktere bei den Aristokraten. Die Demokratie mit ihrer Neigung zu unersättlichem Freiheitsdrang würde in die Tyrannis münden, da die Drohnen mit ihrer apodiktischen Argumentation ein populistisches und plebiszitäres Demagogenterrain aus Zügellosigkeiten und Immoralitäten erschaffen.[1] Am Ende stünde nach Platon ein Bürger, der im ethischen Wertekatalog die Dekadenz zelebrieren würde mit übermäßigen und unkontrollierten Neigungen.[2] Dem Platoniker verbietet sich aber jegliche Form der verfassungsrechtlichen Schadenfreude, denn die platonische Kalamität ist von perfider Ambivalenz hinsichtlich einer generationenübergreifenden Psychogenese.  Die Idiopragieformel, die die Stärken des Individuums in das produktive Ganze überträgt, würde eine intellektuelle Saat erzeugen für den Homo necans. Die Triebgenese psychisch entarteter Philosophen und ein Konglomerat an ethisch-sittlichen Ansprüchen wären symbiotisch in die nachfolgenden Jahrhunderte kolportiert worden.

Abbildung 3: Thukydides

War der demos bei Platon auf Inakzeptanz gestoßen, bildete das gleiche Recht bei einem attischen Adligen den archimedischen Punkt in dessen zeithistorischen Geschichtswerk. Ein Mann namens Thukydides, um 460 v. Chr. geboren, wohl mit thrakischer Genealogie väterlicherseits[3], kannte in jungen Jahren den Strategen Perikles persönlich.  Thukydides´ Abhandlung über den Peloponnesischen Krieg kann daher zweifellos herangezogen werden als Primärquelle zur Gewinnung substanzieller Schlussfolgerungen bezüglich der politischen Vita des Strategen Perikles. Die Althistoriker können in ihren Diskursen die detaillierten Grundsatzreden des Perikles aus den

Abbildung 4: Die älteste erhaltene Handschrift des Geschichtswerks des Thukydides

ersten beiden Büchern des thukydideischen Geschichtswerkes entnehmen, um eine plastische Vorstellung von der politischen Heimat und den konkreten Initiativen dieses Strategen am Vorabend des Peloponnesischen Krieges zu erhalten – einschließlich der von ihm propagierten Strategie im Dualismus mit Sparta, seinen Peloponnesischen Bündnispartnern. Über diese beeindruckende Darstellung des Politikers und Redners hinaus hat Thukydides in diesem Werk auch in eigenem Namen, zu der Person und den politischen Leistungen des Perikles Stellung bezogen – in einem ausführlichen Nachruf, den der in seinem persönlichen Urteil sonst sehr zurückhaltende Historiker dem Andenken des im dritten Kriegsjahr verstorbenen Staatsmannes gewidmet hat. Dieser Nachruf verknüpft die persönliche Würdigung des Perikles mit einem kritisch argumentierenden Ausblick auf den weiteren Gang des Kriegsgeschehens und die Entwicklungen im politischen Leben Athens bis zur Entscheidung von 405/4 v. Chr. Thukydides´ Urteil über Perikles steht somit eindeutig im Zeichen der für Athen und seine Demokratie so fatalen Niederlage und der damit verbundenen Grundsatzfragen. Mit festem Blick auf das katastrophale Ende der athenischen Kriegsführung und den Zusammenbruch der athenischen Demokratie will Thukydides deutlich machen, dass man den führenden Staatsmann der 430er Jahre und seine damalige Politik gerade nicht vom fatalen Ausgang dieses Kriegsgeschehens her beurteilen dürfe. Dabei hat der antike Autor die Geschichte des Peloponnesischen Krieges bekanntlich nicht nur gründlich erforscht, sondern auf seinem schweren Lebensweg auch ganz persönlich erlitten. Für Thukydides kommt jedenfalls eine unmittelbare, persönliche Kriegsschuld des Perikles, in seinen Reaktionen und Initiativen während der über mehrere Jahre sich hinziehenden diplomatischen und politisch-militärischen Auseinandersetzungen vor dem eigentlichen Beginn des Peloponnesischen Krieges, nicht in Betracht. Ebenso wenig ist von gravierenden Fehlern des Politikers in der machtpolitischen Risikoabwägung im Verlauf der eskalierenden Konflikte an den Rändern der miteinander rivalisierenden Bündnissysteme die Rede.[4]

Darin liegt der fachwissenschaftliche Wert des thukydideischen Geschichtswerks. Und das ist die Initiative für eine distanzierte Verwendung der platonischen Argumentation hinsichtlich der Bewertung der perikleischen Ära, wobei die Kritik Platons an der Demokratie durchaus verständlich ist. Gerade in der letzten Phase des Peloponnesischen Krieges kam es zu latent abschreckenden Entscheidungen der Volksversammlung, dokumentiert über die Todesurteile gegen die Strategen, die man des Fehlverhaltens bezichtigte in der Seeschlacht bei den Arginusen 406 v. Chr.[5] oder die Einführung des oligarchischen Terrorkommandos Dreißig im Jahre 404 v. Chr. In diesem annus horribilis hatten die Athener nicht nur die Herrschaft verloren, sondern verloren auch die Oberhoheit über die Stadt, als diese gegenüber den Spartanern affine Kommission aus dreißig Oligarchen die Terrorbrigade exhibitionierte. Diese oder ähnlich gelagerte Volksbeschlüsse mögen Platon darin bestärkt haben, die Demokratie als instabil zu titulieren. Erst ein Stratege namens Thrasybulos, Veteran des Peloponnesischen Krieges, ermöglichte mit der Beseitigung der spartanischen Garnison und mit dem Sturz der despotischen Dreißig die Restauration der athenischen Demokratie. Allerdings scheint die radikale Kritik[6] des Platon überzogen, da Rechtsinstitutionen wie die Nomotheten oder die Klage graphē paranomon die Macht der Volksversammlung und der Demagogen relativierten. Offenbar ging es Platon nicht um eine dogmatische Ablehnung, sondern um eine pointierte Hinweisgebung auf ein Übermaß an demokratischer Freiheit. Und hier zeigt Platon analytischen Habitus, denn die Achillesverse der athenischen Demokratie lag in dem Ideal, jedem männlichen Bürger der Polis Athen die politischen Rechte in der Umsetzung zu gewähren.[7] Realiter konnte mit dem Ideal der politischen Gleichheit keine Gleichschaltung der ökonomischen Unabhängigkeit erreicht werden, denn der Bauernstand wäre monetär nicht potent gewesen, die Pnyx oder die Agora hochfrequentiert aufzusuchen.[8]

3. Der thukydideische Perikles

Dem versierten Historiker ist der Thukydides bekannt als der Begründer der politischen Geschichte, wenig merklich entfernt von der historischen Methode der neuzeitlichen Geschichtswissenschaft. Unabhängig von methodischen und fachwissenschaftlichen Diskursen, das thukydideische Bemühen um Nüchternheit und Aufklärung erhält eine Zustimmung.[9]  Eine Demonstration dieser vorzeigbaren Geschichtswissenschaft liegt in der Darstellung der Periklesgestalt. Dieser Staatsmann repräsentierte in der Hochphase der Polis Athen einen demokratischen Staat mit mehrjährigen, durchgehenden Erfahrungen als Stratege. Thukydides berichtet in seiner sachlichen Art über die Taten dieses Regenten, er lässt den Protagonisten des Perikleischen Zeitalters ausführlich in mehreren Grundsatzreden zu Wort kommen und lässt ihn die Grundgedanken seiner Politik darlegen. Der berichtende Teil der thudydikeischen Darstellung und die dem Perikles in den Mund gelegten Reden bilden eine in sich abgestimmte Kohärenz, so dass daraus eine Zustimmung des Geschichtsschreibers herausgelesen werden kann.[10] Mit dem Herannahen des Peloponnesischen Krieges erhält Perikles eine Überzeichnung als in Rede und Tat mächtiger Mann im Staat. Athen ist der Primus in der griechischen Welt. Die Politik Athens, das so den Anspruch des Staates mit der Würde des Bürgers in Einklang bringt und die anderen Poleis durch Wohltun, durch Vertrauen auf großmütige Gesinnung sich zu Freunden macht, wird als hellenistische Schule tituliert.[11] Die ehemals verbündeten Städte sind zu Untertanen geworden, ihre Abhängigkeit ist so klar, dass Athen unumwunden als ägäischer Hegemon bezeichnet werden kann. Das einheitliche Wirtschaftsgebiet, das so entstanden ist, macht Athen reich, der Staatsschatz ist gefüllt. Die Polis Athen ist möglichen kriegerischen Auseinandersetzungen gegenüber ressourcenintensiv.[12] Thukydides, der dieses maritime Bündnissystem analysiert, ist voll Bewunderung für den Strategen Perikles, der diesem ägäischen Gebilde in den ägäischen Gefilden einen hellenistischen Liktoren gibt. Das Zeitgenössische spricht zudem für Thukydides, da er persönlich diesen Staatsmann kannte oder sich doch zumindest dessen Auftritten auf der Pnyx vergegenwärtigte. Perikles den Demos lenkt, wie er in klarem Vorausschauen und in Begeisterung für seine Stadt die große Macht aufbaut und sichert. Perikles verkörpert den idealen Staatsmann mit den für einen Realpolitiker notwendigen Eingebungen für von markanter Demagogie befreite Volksversammlungsbeschlüsse, mit bezwingender Redegewalt, mit Vaterlandsliebe und persönlicher Uneigennützigkeit.[13] Thukydides erkennt darin die Harmonie zwischen demokratischer Verfassung und persönlicher Staatsführung, zwischen einem Kulturstaat und maritimer Hegemonie im Attischen Seebund. Die Gültigkeit dieser Norm, die Perikles aufgerichtet hat, erweist sich dem Geschichtsschreiber auch im Geschehen nach Perikles´ Tod, an dem Abgleiten der Epigonen wie Kleon oder Nikias, der Selbstaufgabe und Kapitulation Athens nach der deklassierenden Seeschlacht bei Aigospotamoi 405 v. Chr. Diese amourösenhafte Fremdinszenierung zur Etablierung eines normfokussierenden, über die Zeitgenossen hinaus vitalen Geschichtsbildes kommt im Abschnitt 65 des zweiten Buches deutlich zum Ausdruck.[14] Und genau dieses Urteil des Historikers qualifiziert diesen Thukydides als einen über den reinen Hofhistoriographen hinausgehenden Literaten, da dessen Geschichtswerk zu einer Zeit verfasst wurde, als Athen ressourcenverbraucht unter Oligarchen wie Peisandros, einem der Wortführer des oligarchischen Rates der 400, darbte.

4. Kritik gehört zum Geschäft

Da ist Perikles der erste Mann Athens, der Regent einer Bürgerschaft, die die Worte des Perikles beherzigt. Die nachfolgende Führungskaste zeichnete sich nach den Worten des Thukydides jedoch durch allzu großen Frevel aus hinsichtlich der charakterlichen Schwächen.[15] Offenbar war der Demos nach dem Tod des großen Strategen 429 v. Chr. wenig geneigt oder von limitierter Denkkraft, da die eloquente Kunst der Demagogie die Anfälligkeit für Fehlleistungen potenzierte. Aber waren es nur wirklich die Epigonen wie Diodotos, die das diabolische Schwert der Verführung schwangen? Gilt Perikles nicht als Begründer dieser Saturierungspolitik? Der Geschichtsschreiber berichtet der Nachwelt selbst, wie zu Lebzeiten des Perikles die Pest Athen in ihrem Atem hielt und der ausgemergelte Demos Signale der Verständigung mit den Peloponnesiern forderte.[16] Da lässt er dann seinen Staatsmann in der Gefallenenrede bittere Vorwürfe an die Bürger richten, ihren Wankelmut und ihre Niedergeschlagenheit tadeln. Da lässt Thukydides den Perikles posaunen, sie sollten nicht kleiner sein als die Vorfahren[17], aber wenige Monate zuvor trompetete er martialisch, dass die Vorfahren angesichts des gegenwärtigen Geschlechts zurücktreten.[18] Entweder ist es sprachlich tonierter innerer Wankelmut gewesen oder der Demagoge Perikles richtete sich nach den stimmungsträchtigsten Formulierungen auf der Pnyx. Auch wenn sie die auctoritas eines Perikles nicht gehabt haben, so sind die Epigonen frei von jeder totalen Schuldfrage hinsichtlich der byzantinischen Verhältnisse in der Volksversammlung. Wie formulierte es doch einer der bekannten Gegner des Perikles, Plutarch beim Namen, und in diesem Zitat steckt bereits der Verdacht des dialektischen Demosthenes:

Wenn ich ihn im Ringkampf zu Boden geschleudert habe, streitet er ab, überhaupt gefallen zu sein, und kann dabei erfolgreich sogar die Augenzeugen in ihrer Meinung umstimmen.[19]

Selbst im Kapitel 65 des zweiten Buches mit einer offensichtlichen parteiischen Würdigung des Perikles, kann und muss Thukydides mögliche Verfehlungen und Unpässlichkeiten in der politischen Vita des Perikles aufzeigen. Thukydides hält sich jedoch bedeckt, listet ohne abwägende Argumentation die Malusse auf und begibt sich anschließend mit bedeutend größerem Elan nach Erklärung in die perikleische Koketterie.[20] Hierbei darf man eine kleine Anmerkung in Kapitel 65 nicht überlesen, die von eminenter Bedeutung ist hinsichtlich der perikleischen Akzeptanz im attischen Demos. Perikles wurde trotz der Zermürbungsstrategie der innenpolitischen Gegner am Ende der dreißiger Jahre immer wieder im Strategenamt bestätigt:

Sehr bald danach freilich, wie die Menge pflegt, wählten sie ihn wieder zum Feldherrn und überließen ihm die wichtigsten Entscheidungen, da jeder in seinem häuslichen Kummer nun schon eher abgestumpft war und sie ihn für die Bedürfnisse der gesamten Stadt doch für den fähigsten Mann hielten.[21]

Die Wahl des Strategen war ursprünglich eine phylenweise Kandidatenauswahl, aber Änderungen in den Wahlmodi führten dazu, dass die Kandidaten mit den meisten Stimmen über die Phylengrenzen hinweg in das Strategenkollegium gewählt wurden. Perikles konnte sich also neben seiner Hausmacht auch auf eine überegionale Wählerschaft berufen.[22] Diese Singularität zeichnet dieses Kapitel aus. Es verrät über den Historiker Thukydides mehr persönliches als diesem es weniger beabsichtigt war. Um sich dem Vorwurf des politischen Pamphlets mit transgredienter Denkmalsetzung entziehen zu können, kam es zu unkommentierten Biographieversatzstücken, in denen der aufmerksame Leser aber die Brücken schlagen kann zu einer perikleischen Kritik.

Zwischen dem Ersten Mann im Staat und seinen Polisbürgern müssen eklatante Spannungen existiert haben. Das war das Ergebnis einer Politik, die nur den Demos befriedigen wollte. Nehmen wir die Kleruchienpolitik als veranschaulichtes Mittel der narkotisierenden Massenstimulation, um den negativen Frieden in der Polis Athen nicht ausufern zu lassen. Eine systematische Ansiedlung von Athenern in Poleis der Bundesgenossen war eine dekadente und kurzsichtige Portion des ägäischen Imperialismus und die enaktive Form einer egoistischen Polis namens Athen. Mit Zuckerbrot und Peitsche hantierte der Demagoge offenbar schon in der Antike. Gelegentliche Restriktionen bei Komödienaufführungen zeigten die Ambivalenz in der Amtsführung des griechischen princeps. Dass das mit der Wiedergeburt der Peisistratiden und deren apologetischen Redetitan Perikles sicher überzogen war, bleibt in der Annahme nicht fremd, aber ein Komödieninhalt dient durchaus für Revelationen und für Infantilisierungen des Demos.[23] Zudem müssen grundsätzlich imperialistische Neigungen unterstellt werden, und das gilt unisono für Thukydides und Perikles. Es war selbstverständlich, dass aus der anfänglichen Symmachie mit bilateralem Charakter eine attische Hegemonie wurde. Und ganz nebenbei und abwägungsfrei sprechen deren Befürworter Perikles und Thukydides davon, dass der Hass auf die Athener hingenommen werden müsse als Preis für den ewigen Ruhm.[24]  Unverblümt  demonstriert Perikles einen Stolz für die geographischen Ausläufer des Attisch-Delischen Seebundes.[25]

Daran anschließend kann die von Thukydides vorgetragene Kriegsstrategie[26] des Perikles als bedingt bevölkerungsfreundlich angesehen werden. Militärstrategisch war die perikleische Überlegung den attischen Stärken angepasst: die defensive Ausrichtung des Landheeres musste die Spartaner auf dem Land binden und die Stoßkraft abfedern, wohingegen die athenische Flotte an den peloponnesischen Küstenabschnitten in Partisanenmanier konstante ökonomische Nadelstiche fabrizieren sollte. Notfalls konnten die Ressourcen überseeisch bezogen werden, und der Umschlagsplatz in Piräus oder die Polis Athen waren durch die Langen Mauern geschützt. Die Ermattungsstrategie war durchdacht, aber lediglich einer Blitzkriegstrategie gegenüber affin oder auf die Unfähigkeit einer peloponnesischen Invasionsarmee ausgerichtet. Der spartanische König Archidamos II. erkannte diese verdeckte Achillesferse der Athener und setzte mit seinem Invasionsheer später in der Anfangsphase des Krieges auch dort ressourcenzerstörend an. Lediglich 429 v. Chr. verzichtete der spartanische Feldherr auf eine Invasion, aber da war die Pest in Athen ein unfreiwilliger apokalyptischer Reiter in spartanischem Dienst, dem auch Perikles zum Opfer fiel. Gerade die attische Landbevölkerung und deren Produktionskapazitäten und -möglichkeiten waren bei langer Kriegsdauer der Überforderung ausgesetzt.  Auch die Situation auf den Inselpoleis und die außenpolitischen Bündnismöglichkeiten Spartas waren nicht den langfristigen Planspielen angepasst. Selbst Thukydides weiß von dieser hasardeurischen Strategie[27] zu berichten, favorisiert aber die perikleische Rede mit herrischem Durchhalteparolen für die athenische Landbevölkerung.

5. Perikles … Der Mann wird nicht neu aufgebaut!

Der athenische princeps braucht nicht neu aufgebaut zu werden. Die Aussage ist weniger radikal und von moderatem Ton. Thukydides zeichnet einen Mann, der am Vorabend des Peloponnesischen Krieges trotz Avancen gegenüber einer imperialen Ägäis unter attischer Hegemonie die Volksherrschaft befürwortet, und der Einzelne hat lediglich in der auctoritas nach seinem Verdienst einen höheren Rang, sonst gilt gleiches Recht. Ob seine letzten Jahre als Stratege von saturierender Natur waren zwecks Ämtererhalts, seine innenpolitischen Feinde propagandistische Mittel aller Couleur nutzten zur Diskreditierung seines persönlichen Umfeldes und seiner Person oder Thukydides ambivalent und mit wenig Multiperspektivität ein Periklesbild für die Nachwelt zeichnete, bleiben doch die breite Akzeptanz in der Bevölkerung (natürlich nicht mit durchgehender Bewunderung), dokumentiert über die langjährige Tätigkeit als Stratege und die dem Perikles nachgesagten Worte aus dem Peloponnesischen Krieg, um den princeps des attischen Demos nicht aus der Ruhmeshalle bekannter Staatsmänner zu verfrachten. Das Geschichtswerk des Thukydides war in Methode noch nicht ausgereift für die Multiperspektivität in toto, so dass eine abwägende, diametrale Charakterstudie Grundlage hätte sein können für tragbare und facettenreiche Psychoanalysen.

„Die Verfassung, nach der wir leben, vergleicht sich mit keiner fremden; viel eher sind wir für sonst jemand ein Vorbild als Nachahmer anderer. Mit Namen heißt sie, weil der Staat nicht auf wenige Bürger, sondern auf eine größere Zahl gestellt ist, Volksherrschaft.“[28]

 

6. Quellen- und Literaturverzeichnis:

Quellenverzeichnis:

Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges 1, griech. – dt., übersetzt und mit einer Einf. und Erl. vers. v. Georg Peter Landmann, München 1993 (Sammlung Tusculum).

Thukydides: Geschichte des Peloponnesischen Krieges 2, griech. – dt., übersetzt und mit einer Einf. und Erl. vers. v. Georg Peter Landmann, München 1993 (Sammlung Tusculum).

 

Literaturverzeichnis:

Bleckmann, Bruno: Der Peloponnesische Krieg, München 2007.

Bleicken, Jochen: Die athenische Demokratie, Paderborn 1995.

Hornblower, Simon: Art. Thukydides, in: DNP 12 (2002), Sp. 505 – 512.

Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008.

Maurer, Reinhart: Platons Staat und die Demokratie, Berlin 1970.

Mittermeier, Karl/Mair, Meinhard: Demokratie. Die Geschichte einer politischen Idee von Platon bis heute, Darmstadt 1995.

Prestel, Georg: Die antidemokratische Strömung im Athen des 5. Jahrhunderts bis zum Tod des Perikles, in: Breslauer Historische Forschungen 12 (1939).

Ruschenbusch, Eberhard: Die Wahl der Strategen im 5. und 4. Jh. v. Chr. in Athen, in: Historia 24.1, S. 112 – 114, URL: http://www.jstor.org/stable/4435429. .

Vogt, Joseph: Das Bild des Perikles bei Thudydikes, in: HZ 182.2 (1956), S. 249 – 266, URL: http://www.jstor.org/stable/27611639.

Wiegand, Wilhelm: Platon´s Werke, Zehn Bücher vom Staate, Buch VIII, Stuttgart 1855.

 

[1] Mittermeier, Karl/Mair, Meinhard: Demokratie. Die Geschichte einer politischen Idee von Platon bis heute, Darmstadt 1995, S. 24.

[2] Wiegand, Wilhelm: Platon´s Werke. Zehn Bücher vom Staate 8, Stuttgart 1855, Pol. 564St 2A (im Folgenden zitiert als: Wiegand, Platon).

[3] Hornblower, Simon: Art. Thukydides, in: DNP 12 (2002), Sp. 505 – 512, Sp. 506.

[4] Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008, S. 16 – 17.

[5] Die Athener besiegten in dieser größten innergriechischen Seeschlacht die Spartaner vernichtend in der Endphase des Peloponnesischen Krieges. Ursprünglich hatte der spartanische Nauarch Kallikratidas die athenische Flotte auf Lesbos eingekesselt, doch konnte eine athenische Entsatzflotte an der Inselgruppe der Arginusen die Spartaner vernichtend schlagen unter anderem durch die Mitwirkung des Nauarchen Perikles des Jüngeren, einem Sohn des Staatsmanns Perikles. Die angespannte Situation spiegelte sich jedoch im nachfolgenden Arginusenprozess wieder, als man der Mehrheit der an der Seeschlacht beteiligten Strategen den Vorwurf der unterlassenen Bergung von Toten und Schiffbrüchigen vorwarf.

[6] Wiegand, Platon, Pol. 557 St 2A.

[7] Maurer, Reinhart: Platons Staat und die Demokratie, Berlin 1970, S. 186.

[8] Bleicken, Jochen: Die athenische Demokratie, Paderborn 1995, S. 464.

[9] Bleckmann, Bruno: Der Peloponnesische Krieg, München 2007, S. 13.

[10] Vogt, Joseph: Das Bild des Perikles bei Thudydikes, in: HZ 182.2 (1956), S. 249 – 266, S. 249 – 251, URL: http://www.jstor.org/stable/27611639.

[11] Thuk. II, 41.

[12] Thuk. II, 36.

[13] Thuk. II, 60.

[14] Thuk. II, 65.

[15] Thuk. II, 65.

[16] Thuk. II, 65.

[17] Thuk. II, 62.

[18] Thuk. II, 36.

[19] Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008, S. 156.

[20] Thuk. II, 36.

[21] Thuk. II, 36.

[22] Ruschenbusch, Eberhard: Die Wahl der Strategen im 5. und 4. Jh. v. Chr. in Athen, in: Historia 24.1 (1975), S. 112 – 114, URL: http://www.jstor.org/stable/4435429.

[23] Prestel, Georg: Die antidemokratische Strömung im Athen des 5. Jahrhunderts bis zum Tod des Perikles, in: Breslauer Historische Forschungen 12 (1939), S. 53.

[24] Lehmann, Gustav Adolf: Perikles. Staatsmann und Stratege im klassischen Athen, München 2008, S. 273.

[25] Thuk. II, 36.

[26] Thuk. II, 60-64.

[27] Thuk. I, 178.

[28] Thuk. II, 37.

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1:

 https://www.welt.de/geschichte/article159876548/Kleon-hiess-der-Trump-der-Antike.html

Zuletzt abgerufen am 30.03.2081

Abbildung 2:

 https://de.wikipedia.org/wiki/Perikles

Zuletzt abgerufen am 30.03.2018.

Abbildung 3:

 https://de.wikipedia.org/wiki/Thukydides

Zuletzt abgerufen am 30.03.2018.

Abbildung 4:

 https://de.wikipedia.org/wiki/Thukydides

Zuletzt abgerufen am 30.03.2018.

 

Bauprojekte auf dem Marsfeld

Bauprojekte auf dem Marsfeld

Politik und Selbstdarstellung anhand von Gebäuden

in

augusteischer Zeit

 

Abbildung 1: Kaiser Augustus

 

Abbildung 2: Karte militärischer Übungsplatz

Jahrhundertelang diente den Römern ein über 200 Hektar großes tiefebenes Feld zwischen dem Tiber, dem Quirinal und dem Kapitol als militärischer Übungsplatz. Es handelte sich um einen traditionsreichen Ort, da der Überlieferung nach während der Etablierung der römischen Republik (um 509 v. Chr.) die dort betriebene Landwirtschaft des letzten römischen  Königs Tarquinius Superbus zerstört wurde. Das hatte Symbolkraft, und wie bei den Römern üblich, gab es zu Ehren der dann bis 27 v. Chr. existierenden Republik einen Altar gesetzt, hier zu Ehren des

Abbildung 3: Campus Martius

Kriegsgottes Mars. Das einst unbedeutende Acker- und Weidefeld wurde zum Marsfeld, dem Campus Martius. Die siegreichen Soldaten und ihr Feldherr erhielten hier den wohlverdienten Triumphzug, ausländische Gesandtschaften wurden auf dem Feld von Vertretern der römischen Republik empfangen, bei Bedarf liefen gelegentlich Viehherden über dieses republikanische Gemeindeland oder im Circus Flaminus zwischen Tiberinsel und Kapitolhügel veranstaltete man Pferderennen. In der Spätphase der römischen Republik zu Zeiten der römischen Bürgerkriege (133 v. Chr. bis 30 v. Chr.) begann dann die gebäudetechnische Kultivierung des Marsfeldes. Diktatoren wie Sulla und Feldherren wie Pompeius oder Agrippa bauten das Ackerland förmlich zu, zumindest ließen sie es zu. Der freie Blick auf ein republikanisches Stück Land war zerstört. Die Gebäudeansammlungen konnten sich jedoch sehen lassen und verdeutlichten Sendungsbewusstsein und Leistungsstärke der römischen Architektur im 1. Jahrhundert v. Chr. Pompeius,

Abbildung 4: Das erste Steintheater in Rom

Gegenspieler des bekannten Julius Caesar, ließ 55 v. Chr. auf dem Marsfeld das erste Steintheater in Rom einweihen zu Ehren seiner Erfolge gegen Seepiraten und König Mithridates von Pontos. Die dort vorkommende Portikus (Säulengang) war übrigens an den Iden des März 44 v. Chr. Panorama für den Caesarmord durch Cassius und Brutus. Bereits an Pompeius zeigte sich ein typisches Muster architektonischer Ehrerbietung an die militärischen Erfolge der Bauherren. Dieser Baustil wurde wenige Jahre später

Abbildung 5: Portikus Octavia

durch Octavian perfektioniert, den Großneffen Caesars. Jeder kennt diesen Großneffen, denn es war der erste römische Kaiser Augustus. 33 v. Chr. finanzierte Octavian über die Einnahmen aus dem Krieg in Dalmatien (heutiges Kroatien) die Portikus Octavia auf dem Marsfeld,  und nebenbei nahm er mit der Säulengangehrung für seine ältere Schwester Octavia seinen Rivalen  und Schwager Marcus Antonius viel Rückhalt in der römischen Öffentlichkeit. Octavian wusste, dass er Triumphzüge, politische Rivalitäten und persönliche Zielsetzungen an geschichtsträchtigen Orten wie dem Marsfeld propagandistisch und architektonisch am besten fokussieren konnte. Wie er sich direkt sah und die Nachwelt ihn sehen sollte, kam gerade in den von ihm in Auftrag gegebenen Bauwerken nach der Seeschlacht bei Actium 31 v. Chr. zum Ausdruck, von denen die Aussagekräftigsten ebenfalls auf dem Marsfeld positioniert wurden.

 

Abbildung 6: Augustusmausoleum 29 v. Chr.

Ein Monument der familiären Dauerhaftigkeit und ein Selbstbildnis der eigenen Taten oder Verdienste wurden mit dem  Augustusmausoleum 29 v. Chr. hier offiziell eingeweiht. Der zylinderförmige Bau bestand aus Süßwasserkalkstein, dem sogenannten Travertino Romano. Diese frostsichere Fassadenverkleidung kam später auch beim Bau des Kolosseums zum Einsatz. Es ist davon auszugehen, dass sich – wie zu der Zeit in Rom üblich – ein kultivierter Erdhügel über dem zylindrischen Bau erhob.  Der Princeps senatus thronte dabei nach Überlieferung in metallischer Gestalt auf dem Gipfel des

Mausoleums. Oktavian selbst, nachfolgende Verwandte aus der julisch-claudischen Adelsfamilie oder verdiente Römer sollten mit dieser Grabstätte sicht- und spürbare Erinnerungen an die Anfänge des Prinzipats in den zukünftigen Generationen auslösen. Das war eine Legitimation über  den Tod hinaus. Nach dem Tod des Augustus 14 n. Chr. wurden auf dessen testamentarischer Veranlassung hin am Eingang des Mausoleums Bronzetafeln aufgestellt, die das Monumentum Ancyranum enthielten, einen Rechenschaftsbericht und eine Wohltatenbiographie des Kaisers, besser bekannt als Res Gestae Divi Augusti. Und Augustus hatte einiges zu erklären. Das republikanische Rechtsverständnis der Römer war in mehr als vier Jahrhunderten manifestiert. Die Erfahrungen der jahrzehntelangen Bürgerkriege schlossen aber die Alleinherrschaft nicht zwingend aus. Dieser Spagat wurde im Prinzipat überwunden und bedurfte einer Verankerung. Die formale Restitution der Republik wurde ergänzt um die Auctoritas des Primus inter pares, treffend verdeutlich in der Res Gestae:

Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri, qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt.“ Nach dieser Zeit überragte ich an Ansehen alle, an formaler Gewalt besaß ich jedoch nicht mehr als die anderen, die jeweils meine Kollegen im Amt waren.
Augustus: Res gestae 34
Abbildung 7: Pax Romana

Die augusteische Ära brachte eine mehrere Jahrzehnte andauernde Epoche des inneren Friedens. Stabile Verhältnisse in den Provinzen, ein Sicherheitsgefühl, kulturelle Blüte und zumindest eine Wohlstandsmehrung für die römischen Bürger erleichterten in dieser Pax Romana die Legitimationsbedürfnisse des ersten römischen Kaisers. Der 9 v. Chr. eingeweihte Friedensaltar – Ara Pacis Augustae genannt – gedachte den Friedensbemühungen von Augustus.

Abbildung 8: Friedensaltar – Ara Pacis Augustae

Zeitgenossen sollten selbstverständlich als Annahmeerleichterung den Initiator der eingeführten Monarchie mit republikanischen Versatzstücken (z.B. dem Senat) vordergründig mit der Pax Romana in Verbindung bringen, und der Nachwelt musste ein entsprechendes Bauwerk auf dem Marsfeld zur Ausprägung einer zugehörigen Erinnerungskultur präsentiert werden. Die Etablierung und Akzeptanz eines dynastischen Gedankens bedurfte einer Propaganda, und sein  Nachfolger Tiberius hatte somit zumindest theoretisch weniger Legitimationsdruck. Augustus scheute denn auch keine Kosten bei der Entstehung des

Abbildung 9: Carrara-Marmor aus der Toskana

Altars.  Feinster Carrara-Marmor aus der Toskana musste es schon sein. Reliefs mit mythologischen Darstellungen untermauerten das Sendungsbewusstsein oder den Machtanspruch für den Prinzipat. Die Julier um Augustus konnten dabei ihre familiären Wurzeln bis in die Gründungsakte Roms bebildern. Wie das?

 

Abbildung 10: Iulus Alba Longa

Namensgeber der römischen Patrizierfamilie war ein gewisser Iulus, der der Legende nach ein Sohn des Aeneas war. Aeneas war ein trojanischer Adliger von göttlicher Abstammung. Seine Mutter war die Aphrodite, und durch die Wirren des trojanischen Krieges (nach Herodot um 1230 v. Chr.) strandete dieser Halbgott an die italienische Küste bei Latium. Hier gründete eben jener Iulus Alba Longa und war deren erster König. In späterer Zeit saß dann ein Numitor Silvius auf diesem Thron. Das muss für den Zuhörer noch kein

Beweggrund sein für diese Motivwahl des ersten römischen Kaisers, aber die Tochter von Numitor Silvius, die Vestalin Rhea Silvia, gebar unter Mithilfe des römischen Kriegsgottes Mars die allseits dem Namen nach bekannten Zwillinge Romulus und Remus. Der Sage nach wurden diese Zwillinge von einer Wölfin (Lupa Capitolina) in einer Grotte (Lupercal) nahe dem Hügel Palatin gesäugt. Wenige Jahre später sollten sie hier die Stadt Rom gründen (753 v. Chr.). Nun war die Argumentationslinie der gewählten Bildmotive auf den Marmorplatten für

Abbildung 11: Alba Longa

die Nachwelt klar. Augustus konnte sich auf eine göttliche Abstammung berufen  (Aeneasmotiv) und in Alba Longa eine Mutterstadt Roms aufzeigen (Lupercalmotiv). Die Selbstverherrlichung hatte aber auch beim Princeps Grenzen. Er kannte nur allzu gut das brüskierende Auftreten seines Oheims Caesar, der bei jeder Gelegenheit diese königlich-göttliche Abstammung – vorzugsweise bei den republikanischen Senatoren – zur Schau stellte. Als Verantwortlicher der Sittenaufsicht seit 19 v. Chr. (cura morum) hatte er ebenfalls die klassischen römischen Tugenden im Blick, um sich auch persönlich von den Ausartungen der letzten Jahre des Bürgerkrieges zu distanzieren. Einige Szenen thematisierten daher auch respektvolle Opfergänge an die Götter zur Heraushebung der Frömmigkeit. Augustus wollte keine unnötigen Reize setzen bei der Etablierung des eigentlich für die Römer befremdlichen dynastischen Gedankens. Der gesicherte Fortbestand der julisch-claudischen Dynastie wurde in besonderer Weise durch ein Staatskameo eines Steinschleifers  namens Dioskurides zum Ausdruck gebracht, der im

Abbildung 12: Gemma Augustea

Auftrag von Augustus möglicherweise nach den Wirren der militärischen Katastrophe um Varus 9 n. Chr. in Germania magna ein Relief aus einem Schmuckstein herstellte. Dieser geschnittene Schmuckstein aus Sardonyx, einer Varietät des Minerals Quarz, kann heute noch im kunsthistorischen Museum in Wien betrachtet werden. Der Habsburger Rudolf II. hatte diese Gemma Augustea zu Beginn des 17. Jahrhunderts

käuflich erworben. Die Sicherung und Weiterführung der Herrschaft erfolgte bei diesem Kameo über die ikonographische Darstellung der

Abbildung 13: Augustus im Jupitertypus
Abbildung 14: Bisellium

verschiedenen Generationen aus der Kaiserfamilie. Im oberen Bildfeld thront Augustus gottgleich im Jupitertypus als oberste Gottheit in der römischen Mythologie mit der  Dea Roma und seinem Zepter auf einem bankähnlichen Thron (dem Bisellium).  Etwas versteckt hält er in der rechten Hand – aber bei genauerer Sichtung erkennbar – den Lituus. Es handelt sich hierbei um einen

Abbildung 15:  Augurenstab

Augurenstab,

 den der Princeps als Wahrzeichen der höchsten politischen und religiösen Macht trug (seit dem Tod seines alten Kampfgefährten Lepidus war Augustus auch Pontifex maximus). Interessanterweise ergibt sich hieraus auch ein Bezug auf die Anfänge der Stadt Rom. Der bereits

Abbildung 16: Der königliche Vogel des Jupiters

erwähnte Romulus legte der Legende nach mit dem Augurenstab die Stadtbezirke der neugegründeten Stadt Rom fest. Unter dem Thron befindet sich der Adler, der königliche Vogel des Jupiters.

 

Zwischen der Roma und dem Princeps positioniert sich

Abbildung 17:  Geburts-scheibe des ersten römischen Kaisers

offensichtlich eine Art Geburtsscheibe des ersten römischen Kaisers mit dem Steinbocksymbol.  Der sogenannte Capricornus war das Geburtszeichen des Kaisers. Die Gottheiten auf der rechten Seite des oberen Bildteils sind repräsentative Figuren für  die geographische Größe des Römischen Reiches.  Die Oikumene verleiht Augustus den Eichenkranz, offensichtlich die Corona civica (Bürgerkrone). Da Oikumene grundsätzlich für die bewohnten Erdteile stand, sah sich Augustus offenbar in Tradition zu Alexander dem Großen als Herr über die bewohnten Gebiete…imperialistische Züge

Abbildung 18: Oikumene verleiht Augustus den Eichenkranz

des Imperiums.  Der nicht unschwach dargestellte Oceanus symbolisiert

Abbildung 19: Oceanus

dabei als Weltenstrom die Umrahmung der von den römischen Legionen eroberten und erreichten      die        (Küsten-)Gebiete.  Erdgöttin

Abbildung 20: Erdgöttin Terra mater

Terra mater symbolisiert standardmäßig die Fruchtbarkeit und damit sicher auch in Stellvertretung die Wirtschaftlichkeit der eroberten Gebiete. Interessant ist, dass sie in Personalunion mit dem Jupitergestus auch bei den Römern für feierliche Eide stand. Entweder sah sich  Augustus zur ikonographischen Eidaussprechung genötigt durch die militärischen Kraftanstrengungen in Pannonien und Germanien (der am Boden liegende römische Brustpanzer auf dem unteren Bild spricht dafür) oder die Stellung des Princeps war zum Zeitpunkt der Erstellung des Kameos schon sakrosankt.

Abbildung 22: Die Söhne  Agrippa
Abbildung 21: Die Söhne  Agrippa

Augustus hatte die Nachfolgeregelung durch Adoptionen auf eine breitere personelle Basis gestellt. Nachdem die Söhne seines alten Weggefährten Agrippa als mögliche Nachfolgekandidaten ausfielen,  adoptierte Augustus Tiberius, der seinerseits seinen eigenen Neffen Germanicus  adoptieren musste. Dieser Tiberius verlässt gerade am linken oberen Bildrand die Biga, ein Zweiergespann. Die Wagenlenkerin ist die Siegesgöttin Victoria persönlich. Auffallend ist das Zepter, das Tiberius in die Mitregentschaft des Princeps überführt. Hier wird Gleichrangigkeit symbolisiert. Tiberius selbst besaß neben der tribunizischen Amtsgewalt spätestens seit 13 n. Chr. prokonsularische Amtsgewalt. Der Fortbestand der Dynastie und die Reichssicherheit durch die Dynastie waren die zentralen Botschaften des Staatskameos.  Tiberius hatte immerhin im Vorfeld erfolgreich in Pannonien und Dalmatien existenzbedrohende Aufstände niedergeschlagen, und daher konnten die Römer ohne Bedenken dem ankommenden Tiberius die Geschicke des Reiches

Abbildung 23: Aufstellen eines Tropaion

übertragen. Auf dem unteren Bildmotiv ist daher nicht ohne Grund das Aufstellen  eines Tropaion in Szenerie gesetzt, begleitet von den erzwungenen Blicken der Unterworfenen. Ob der Pfosten, an dem erbeutete Waffen angebracht wurden (umgangssprachlich auch als militärische Amüsierstange  bekannt), tatsächlich den militärischen Konflikten im pannonisch-dalmatinischen Raum zwischen 6 n. Chr. und 9 n. Chr. geschuldet ist, wissen wir mit absoluter Sicherheit nicht, könnte aber durch die Germanicusgestalt auf dem Kameo erklärbar sein (Figur vor dem Pferd, links neben Dea Roma). Germanicus war als übernächster Princeps vorgesehen, der Tiberius unterstützte in Pannonien in Feldherrenfunktion  (trägt das Paludamentum als sichtbares Rangabzeichen).

Abbildung 24: Horologium Augusti

Möglicherweise sah Augustus das schon andiskutierte eigene Geburtsdatum (23. September 63 v. Chr.) als Vorherbestimmung an und integrierte es in seine Propagandamaschinerie. Hierzu bediente er sich astronomischer Methoden.  Aus Heliopolis in Unterägypten ließ der Princeps einen mehr als 20 Meter langen Obelisken heranschaffen, der die Funktion eines Schattenzeigers ausübte. Das Horologium Augusti (Sonnenuhr) war so aufgestellt auf dem Marsfeld, das am Geburtstag des Princeps (dem Herbstäquinoktium, Tagundnachtgleiche) die Schattenlinie vom Morgen bis zum Abend durch die Ara Pacis Augustae führte. Das hatte selbstverständlich wieder eine symbolische Bedeutung, denn offenbar stand der Geburtstag des Princeps im direkten Zusammenspiel mit der Pax Romana.

Quellen:

http://www.roma-antiqua.de/antikes_rom/marsfeld/augustusmausoleum

http://www.markaurel.de/mausoleen.htm

http://elearning.unifr.ch/antiquitas/de/noticesimages/198

http://tarquinius-superbus.tiot.de/

http://www.roma-antiqua.de/antikes_rom/marsfeld/pompeius_theater

http://www.mbradtke.de/augustus01.htm

https://en.wikipedia.org/wiki/Porticus_Octaviae

http://www.remote.org/frederik/projects/frau-rom/

https://en.wikipedia.org/wiki/Mark_Antony

http://www.muenzen-ritter.de/wissenswertes/numismatikbibliothek/historia-romana/schlacht_bei_actium

http://www.pascua.de/antike/vergil/arapacis.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Pax_Romana

https://wilsonancientrome.wikispaces.com/Pax+Romana

http://www.learner.org/courses/globalart/work/175/index.html

http://www.laurentianum.de/schrefs/lref4100.htm

http://lexomat.de/uploads/Italien/Toskana/Carrara/463.jpg

Abbildungsnachweis:

Abbildung 1:

https://www.tagblatt.de/Nachrichten/Althistoriker-

Zimmermann-zum-2000-Todestag-des-Kaisers-Augustus-73436.html

abgerufen am 04.02.2017

Abbildung 2:

Karte militärischer Übungsplatz

https://de.wikipedia.org/wiki/Sieben_H%C3%BCgel_Roms

abgerufen am 04.02.2017

Abbildung 3:

 Campus Martius

https://de.wikipedia.org/wiki/Campus_Martius

abgerufen am 05.02.2017

Abbildung 4:

 Das erste Steintheater in Rom

http://khs11cityofrome.weebly.com/pompeys-theatre.html

abgerufen am 02.02.2017

Abbildung 5:

Portikus Octavia

https://en.wikipedia.org/wiki/Porticus_Octaviae

abgerufen am 03.02.2017

Abbildung 6:

Augustusmausoleum 29 v. Chr.

http://www.mbradtke.de/augustus/aug_mausoleum.htm

abgerufen am 02.02.1017

Abbildung 7:

Pax Romana

https://wilsonancientrome.wikispaces.com/Pax+Romana

abgerufen am 03.02.2017

Abbildung 8:

 Friedensaltar – Ara Pacis Augustae

http://www.f1online.de/de/bild-details/3944142.html

abgerufen am 04.02.2017

Abbildung 9:

 Carrara-Marmor aus der Toskana

http://urlaubsfoto.org/archives/98-Der-weisse-Marmor-von-Carrara.html

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 10:

 Iulus Alba Longa

https://en.wikipedia.org/wiki/Latium

abgerufen am 07.02.2017

Abbildung 11:

 Alba Longa

Zonaras: Lavinium and Alba Longa (7.1 Part II)

abgerufen am 04.02.2017

Abbildung 12:

Gemma Augustea

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 13:

 Augustus im Jupitertypus

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 14:

 Bisellium

http://warehouse-13-artifact-database.wikia.com/wiki/Vespasian%27s_Bisellium

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 15:

 Augurenstab

http://museum.zib.de/sgml_internet/sgml.php?seite=5&fld_0=me000741

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 16:

 Der königliche Vogel des Jupiters

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 17:

 Geburtsscheibe des ersten römischen Kaisers

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 18:

 Oikumene verleiht Augustus den Eichenkranz

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 19:

 Oceanus

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 20:

 Erdgöttin Terra mater

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 21:

 Die Söhne  Agrippa

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 22:

 Die Söhne  Agrippa

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 23:

 Aufstellen eines Tropaion

https://www.studyblue.com/notes/note/n/etruscan-and-roman-art/deck/14986222

abgerufen am 06.02.2017

Abbildung 24:

 Horologium Augusti

http://fracademic.com/dic.nsf/frwiki/790535

abgerufen am 08.02.2017

Stupor mundi … Die Obere Wasserbehörde nimmt Stellung zu Schwermetallen!

Im Rahmen des 5. Abiturfaches erfolgte in den Jahren 2015 und 2016 eine besondere Lernleistung von mir hinsichtlich einer Bachuntersuchung des Baches Geithe, in der westfälischen Stadt Hamm gelegen. Unter dem Titel „Die Geithe, ein Altarm der Lippe – eine ökologische Untersuchung vor dem Hintergrund der historischen und aktuellen Situation“ wurden in Wasserproben des Baches Geithe Schwermetalle nachgewiesen, die in der Konzentration mit dem unrühmlichen Prädikat „Stark belastet!“ versehen werden konnten. Seinerzeit wiesen die zuständigen Behörden unter lautsprecherischer Federführung der Stadt Hamm meine Ergebnisse mit dem Totschlagargument zurück, dass die Wasserproben nicht nach standardisierten Messungen mit korrekter Normierung durchgeführt worden wären. Nun musste ich die obere Wasserbehörde in Arnsberg informieren, die eine offizielle oberbehördliche Untersuchung in Gang setzte, die im Ergebnis nun vorliegen. Interessanterweise erhielten meine Ergebnisse – wenn auch nicht deckungsgleich – in starker Tendenz eine amtliche ausgestellte Bestätigung und darüber hinaus weitere eklatante Umweltverschmutzungen. Was war denn nun amtlich registriert oder zugegeben? Nach den Untersuchungen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV) wurden die Richtwerte für Arsen und Zink deutlich überschritten und die Umweltqualitätsnorm für Blei nicht eingehalten. Diese Aussagen beziehen sich zunächst nur auf die von mir und dem LANUV untersuchten Wasserproben, können aber ohne Bedenken für eine Generalisierung verwendet werden. Natürlich – und es gebietet die wissenschaftliche Zurückhaltung in einem aber demonstrativ geforderten Diskurs – können dogmatische Aussagen über die Giftigkeit der vorgenannten Substanzen nur über weitere Eigenschaften des Wassers auf eine breite Basis gestellt werden.

Besorgniserregend war an den Ergebnissen, dass der Messwert von Benzo(a)pyren im Wasser mit bis zu 0,97 ng/l mehr als das Fünffache des Grenzwerts der Umweltqualitätsnorm betragen hatte. Benzo(a)pyren kommt im Kohlenteer vor, entsteht bei Verbrennungsprozessen von organischen Materialien und zählt zu den am besten untersuchten krebserregenden Stoffen. Daher kann auch deutlich formuliert werden, dass dieser wenig ökologische Stoff bei Schornsteinfegern und Rauchern für das signifikant erhöhte Krebsrisiko Mitverantwortung tragen. Ohne große Verwunderung war dann auch zu beobachten, dass das grundsätzlich schlecht lösliche Benzo(a)pyren erwartungsgemäß auch im Sediment der Geithe zu finden war.  Es ist ein wichtiger Vertreter einer ganzen Gruppe von chemischen Verbindungen, der sogenannten Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK). Insgesamt wurden 12 dieser PAKs im Schlamm der Geithe nachgewiesen, wobei vier dieser Substanzen einen Grenzwert überschritten, ab dem eine schädliche Wirkung zu erwarten ist. Darunter war das krebserregende, für Wasserorganismen sehr giftige Chrysen, das gewässergefährdende Phenanthren sowie vor allem das giftige Naphtalin, dessen Konzentration mit bis zu 1,5 mg/kg fünfmal höher lag als der oben erwähnte ½-PEC-Grenzwert. Die Messungen des LANUV bestätigten – wie bereits erwähnt –  die von mir ermittelten (eigene Werte in Klammern) Grenzwertüberschreitungen verschiedener Schwermetalle und ergaben in allen Fällen sogar noch höhere Belastungen der Sedimente in der Geithe. Bei Zink wurde beispielsweise mit 890 mg/kg (536 mg/kg) eine Überschreitung des Grenzwerts der Umweltqualitätsnorm festgestellt. Bei dieser Substanz steht vor allem die Giftigkeit für Pflanzen und Wasserpflanzen im Vordergrund. Das gleiche gilt für Nickel, bei dem die Konzentration mit bis zu 48 mg/kg (20 mg/kg) das Doppelte des ½-PEC-Grenzwerts betrug. Darüber hinaus ist Nickel als Kontaktallergen bekannt, das schwere Hautentzündungen hervorrufen kann und als krebserregend gilt, insbesondere, wenn Stäube inhaliert werden. Zynisch formuliert, meine Untersuchungen waren nicht vollständig aufdeckend in der Konzentrationsmessung, also eine negative oder pervertierte Diskreditierung meiner eigenen Untersuchungsergebnisse. Mit diesem Makel kann ich leben! Bei den drei giftigsten Schwermetallen Blei, bis 90 mg/kg (51 mg/kg), Cadmium, 3,4 mg/kg (2,9 mg/kg) und Quecksilber, bis 0,95 mg/kg (0,03 mg/kg) kam es sogar jeweils zur Überschreitung der oben genannten Grenzwerte um ca. 50%. Alle drei Substanzen können sich im Körper anreichern und zu chronischen Vergiftungen mit Schädigung des Nervensystems und verschiedenen Stoffwechselstörungen führen. Sie gehören daher schon seit Jahren zu den sogenannten Prioritären Stoffen der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die als besonders gefährlich eingestuft werden und besonderer Beobachtung unterstehen.

Zwingend war daher die Einleitungsgenehmigung zu modifizieren, wobei die diplomatische Wortwahl der tatsächlichen Gefährdungssituation klar nachsteht. Mit behördlicher Genehmigung konnte der Betreiber des Kohlekraftwerks in Hamm-Uentrop die Abwassermengen aus dem Kohleabsetzbecken in die Geithe leiten. Offensichtlich – zumindest bestätigt seit 2011, aber mit sattelfestem Verdacht wohl seit der Inbetriebnahme – waren eklatante Eingriffe in die standardisierte Abwasserbehandlung an der Tagesordnung. Für diese Genehmigung war die Untere Wasserbehörde der Stadt Hamm zuständig, die realiter das Gefährdungspotenzial des Kraftwerkskomplexes ignorierte oder in fachlicher beziehungsweise behördlicher Unkenntnis argumentierte.Hinweise zu einer erhöhten Belastung liegen mir auch nach Abgleich der bisherigen Untersuchungen im Rahmen des Monitorings der WRRL oder eigener Untersuchungen beispielsweise des Makrozoobenthos bzw. chemisch-physikalischer Parameter oder der Fischfauna nicht vor“, kam es souverän aus der Unteren Wasserbehörde, namentlich durch Dr. Schmidt – Formann kolportiert, meinen Ansprechpartner beim Umweltamt Hamm. Diese Aussage verdeutlicht entweder eine dogmatische Inkompetenz oder das unsichtbare Gemüt hinsichtlich eines empathischen Umweltbewusstseins kann hochfrequentiert in der Unteren Wasserbehörde bestaunt werden. Nicht zur fachlichen Nachahmung geeignet oder mit dem satirischen Gütesiegel verwandt waren die Äußerungen des Mitarbeiters Cigelski der Unteren Wasserbehörde, wonach das Geithewasser nur Regen- und Oberflächenwasser sei und er sich auch in der Vorstellung verankert sehe, seine Kinder im Bach spielen zu lassen. Selbstverständlich können Vertreter von Umweltbehörden den Ganzkörperkontakt mit Schwermetallen propagieren, denn ich werde vielleicht irgendwann dem eine Nachvollziehbarkeit abringen. Versprechen kann ich es aber nicht! Durch diese Einleitungsgenehmigungen erhielt der Kraftwerksbetreiber einen Freibrief für die Entsorgung von schädlichen Abwässern. Letzten Endes lässt sich von Glück sagen, dass sich die Obere Wasserbehörde in diesen Fall eingeschaltet und Untersuchungen vorgenommen hat, die das wahre Ausmaß der Umweltschädigung/-belastung zeigen.

[Quellen: Schreiben von Dr. Rosenbaum-Mertens, LANUV; GESTIS-Stoffdatenbank des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), http://gestis.itrust.de; Lenntech Water Treatment Solutions, https://www.lenntech.de; Umweltbundesamt, https://www.umweltbundesamt.de;]