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Von Asteroiden und Atombombe

Gedankenspiele im Wartestand

Es ist kurz nach 17 Uhr, nasskalt, grelldunkel, und der kaum sichtbare Sternenhimmel ist von wenig einladender Atmosphäre an diesem 26. Januar 2015. Das kaum durchdringende Mondlicht verliert jeglichen Charme in diesem tristen Waschküchenklima. Meine am Nachmittag mühsam errichtete Reflektor-Teleskop-Anlage auf der elterlichen Dachterrasse kommt nicht sonderlich gut zum Vorschein. Meine Arbeitseinheiten in der Vorbereitung zur Sternenschau im trüben Frühabend bleiben denn so mehr verborgen als offengelegt. Das Westfalenland war als Ausgangsort für die Beobachtung des Asteroiden mit der Kennung 2004BL86 ohnehin  nicht die beste Standortwahl, aber das mit der Hoffnung …

Ich stehe nun auf der Dachterrasse mit hoffnungslosem Versuch eines Weitblickes von fast einer Million zweihunderttausend Kilometern[1] in den abendlichen Wetterwolkenhimmel hinein auf der Suche nach 2004BL86. rrrrWenig Hoffnung gäbe es übrigens bei diesem Kaliber von  erdnahem Gesteinsgeschoss im Falle des Aufpralls. Die umgeknickten Bäume an der Steinigen Tunguska 1908 wären dagegen ein reiner Schuljungenstreich. Ein ungleich kleinerer metallischer Bahnkreuzer aus dem All zeigte ja schon seine Wirkung in Tscheljabinsk 2013. Ist das unterschätzte Gefahr oder Ausdruck einer unbewussten Verhaltensnorm? Mir kommen so die Gedanken, denn …

Auffallend ist, dass bei allen Lösungsstrategien die Kernphysik eine  „Ultima Ratio“ einnimmt mit der Atombombe als ihrer Versinnbildlichung, sozusagen das gute Mittel mit dem bösen Zweck. Es ist eine negative Besetzung. Natürliche Prozesse in Form von Spaltung und Kernfusion können einer Bedrohung von außen in Form eines Asteroideneinfalls begegnen. Nuklearer Sprengstoff ist wirkungsvoll als Impulsgeber für Umlaufbahnänderungen bei erdnahen Asteroiden. „Nuclear explosives are particularly powerful, and can be used to deflect an asteroid that is too large to be diverted by any other means”, meint eben nicht nur der amerikanische Astrophysiker David S. Dearborn  vom Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien.[2]

Meine Überlegungen kommen zum Stillstand. Der Nieselregen nimmt zu, so wie die Ungemütlichkeit auf der Dachterrasse. Der Aufprall der Regentropfen auf meinem übergroßen Regenumhang verursacht ein detonierendes Dauergeräusch in meinen Ohren. Die Wassertropfen perlen an der Schutzplane vom Orbinar 203-800 EQ4 Reflektor-Teleskop ab und vereinigen sich auf den Terrassenfliesen zu sternenförmigen Rinnsalmustern. Meine Gedankenspiele nehmen wieder  rasant Fahrt auf, da …

Die kosmischen Bomben aus Gestein und Metall können in Abhängigkeit von der eigenen Dichtebeschaffenheit nach der Kollision mit den  atomaren Gegenspielern im Kosmos zum atomaren Meteoritenhagel auf die Erdatmosphäre degenerieren. Dieses Szenario wird der außerirdischen Pest und der irdischen Cholera zugleich gerecht. „Was ist, wenn die von Menschenhand gemachte Atomkraft aus Versehen zurückkommt nach Explosion mit all den Spaltprodukten?“, wird nicht ohne Grund nicht nur der resolute Atomkraftgegner fragen.[3] Dieser Disqualifizierung der Asteroidenforschung kann eigentlich nur durch eine verstärkte Asteroidenforschung begegnet werden. Zwei Minuten vor Eintritt in die Erdatmosphäre brauchen die Alarmsirenen nicht mehr …

Hundegebell ertönt aus der Ferne, überdeckt das monotone Aufschlagen der Regentropfen und zwingt mich zur Abkehr jedweden Gedankens an Abwägungsplanspielen. Das Problem ist jetzt ganz irdischer Natur und setzt die bildlichen Alarmsirenen frei. Die permanente Dauerberieselung von oben fordert ihren Tribut. Der Regenumhang passt sich fast nahtlos meiner Körperoberfläche an. Diese zweite Haut ist für den Bewegungsdrang und das Tragegefühl unangenehm, obgleich die Regenbekleidung in Funktion und dunklem Farbton der Situation angemessen ist. Ähnliches erleidet das Teleskop. Die nasse Schutzplane legt sich in schwerer Last auf das Orbinar. Mein verlängertes Auge in den Abendhimmel hinein ist nicht nur sinnbildlich verdeckt. 2004BL86 ist mit seinen 15 Kilometern pro Sekunde kurz vor 19 Uhr auch aus meinem theoretischen Sichtfeld, aber die nun irdischen Gedankenspiele in das Blickfeld gerückt mit …

Die Asteroidenkrater im südafrikanischen Vredefort und auf der Yucatanhalbinsel zeigen den Endzeitcharakter dieser außerirdischen Bedrohung. Die Friedenstaube oder der verordnete Weltfrieden sind keine geeigneten Mittel. Die Bedenken zur atomaren Schlagkraft sind ausschließlich durch die irdischen Einsätze oder Aussetzer der Vergangenheit bedingt (Hiroshima, Nagasaki, Bikini-Atoll, Tschernobyl). Ein klares Bekenntnis kann es jedoch nicht geben, da der Mensch noch zu instabil an der Nahtstelle gegensätzlicher Auswirkungen im Umgang mit der Atomkraft steht. „Good or not resides in people and how they use nature”, formuliert treffend Dr. Dearborn. Die Logik des Kalten Krieges würde in den Weltraum exportiert. Der Endzeitasteroid verlangt aber einen gleichberechtigten Gegenspieler. Der potente Gegenspieler muss seine Ressourcen und Möglichkeiten ausschöpfen, und hier steht die atomare Schlagkraft auch auf der Angebotsliste . Im Schatten des Gegenspielers kann dabei übrigens der ökonomische Aspekt in der Asteroidenforschung gedeihen. Asteroid Mining ist keine Science-Fiction, sondern über kurz oder lang zwingend ein Szenario, um den gegenwärtigen Produktionsprozess mit Edelmetallen oder seltenen Erden zu versorgen. Abwehr- und Abbaumechanismen sind symbiotische Handlungsstränge. Warum soll die Gefahrenabwehr nicht mit ökonomischen Planspielen einhergehen?[4] Platin, Olivinbanden oder Scandium können der verdiente Rohstofflohn für…

Das gedankliche Abwägen wird barsch unterbrochen. Der Nieselregen intensiviert sich zum Dauerregen. Das Aluminiumstativ des Teleskopes wankt unter der Last der Schutzplane und wird torpediert von kleinen Windböen. Im Hintergrund ertönen warnende Stimmen aus dem Flur mit der Bitte um Nichtunterschätzung der nasskalten Windböen, die plötzlich und unerwartet über die Terrassenfliesen peitschen. Ich will nicht abwarten, und die Asteroidenforschung sollte nicht abwarten. Es gibt jetzt keine Alternative mehr zum Abbau meiner astronomischen Beobachtungsstation, und das Beobachtungsziel ist klar verpasst. Ich habe keine Wahl, aber die Gedankengänge lassen die Wahl und verpassen nicht das Ziel. ADAS[5] muss das Ziel auch nicht verpassen, aber die Entscheidungsträger sind hierfür ganz irdischen Ursprunges mit haushaltspolitischen Blickwinkeln. Nichtsdestotrotz darf es in keiner Weise eine Vorherbestimmung geben, und die Bedenken müssen versachlicht sein bezüglich möglicher Planspiele. Die gegenwärtig bestimmende Lebensform auf der Erde hat einen Handlungsspielraum durch alternatives Denken ohne Ideologiebehaftung. Das Denken in der späten Kreidezeit war ein Dinosaurier. Das Ergebnis ist bekannt.

[1] Earth Distance: 0.008 AU? Es handelt sich hierbei um die Astronomische Einheit AU, einer astronomischen Längeneinheit. 1 AU entspricht exakt 149 597 870 700 Metern, also sind 0.008 AU 1 196 782 966 Meter oder eben die knapp 1,2 Millionen Kilometer.

[2] Die in der Reportage verwendeten Aussagen von Dr. David S. Dearborn wurden aus einer Email-Korrespondenz zwischen ihm und mir entnommen. Es sind persönliche Ansichten von David S. Dearborn und repräsentieren nicht das offizielle Meinungsbild von US-amerikanischen Einrichtungen.

[3] Die renommierte Atomkraftgegenerin Prof. Dr. Schmitz-Feuerhake aus Deutschland vertritt diesen Standpunkt. Diese Sichtweise von der emeritierten Professorin war deutlich und nachvollziehbar aus einer Email-Korrespondenz zu diesem Thema zwischen ihr und mir herauszulesen. Die Erlaubnis zur Verwendung zumindest sinngemäßer Textpassagen aus dieser Korrespondenz liegt mir vor.

[4] US-amerikanische Firmen wie  Planetary Resources oder Caterpillar beschäftigen sich nicht nur aus einer Laune heraus mit Berg(ab)bautechnologien zur Gewinnung extraterrestrischer Ressourcen. Interessante Anekdote: James Cameron, Regisseur des bis heute kommerziell erfolgreichsten Filmes „Avatar – Aufbruch nach Pandora“, gehörte mit zur Investorengruppe bei der Ausrufung von Planetary Resources 2012 in Seattle. Kurioserweise behandelt der Film den geplanten Abbau von Rohstoffen eben auf dem Planeten Pandora.

[5] Die Abkürzung steht für Asiago – DLR Asteroid Survey, wobei DLR wiederum für Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Verwendung findet. Es handelt sich um ein Asteroidensuchprogramm zwischen der DLR und der Universität Padua.