10. Karte des Ptolemäus

Wenn man die Koordinaten von Ptolemäus einfach zeichnet, kommt völliger Unsinn heraus. Es wird die Interpretation von Reismann-Grone interessant, dass man vielleicht nur Koordinaten einer Reiseroute zueinander in Bezug setzen darf. Wenn jemand im Winter auf dem Hellweg vom Rhein nach Paderborn reiste und die Breitenangaben maß und ein anderer im Sommer an der Lippe entlang, kämen durch die unterschiedlichen Sonnenstände stark abweichende Werte für die zwei Routen zustande. Die einzelnen Raststationen aus einer Jahreszeit untereinander würden aber stimmen. Vielleicht wusste der viel näher am Äquator lebende Ptolemäus die Daten nicht umzurechnen und teilte sie daher in Klimata (=Sonnenstände) ein, die man nicht durcheinanderwerfen darf. Das bleibt aber alles Spekulation, solange man nicht möglichst alte Abschriften des Originalwerks von Ptolemäus vergleichen kann, die noch nicht interpretiert und verfälscht wurden. Überhaupt wäre wichtig zu wissen, ob damals die Koordinaten am Polarstern oder an der Sonne und dann zur Sommersonnenwende oder zur Wintersonnenwende gemessen wurden oder ob es eben zu einer Vermischung unterschiedlicher Messverfahren kam.

cfrvder


Die Geographie des Ptolemäus für Niederrhein – Westfalen

von Reismann – Grone

Fredebeul & Koenen AG, Essen 1938

im Vergleich zu

Jahn und die neuere Berliner Untersuchung

Reismann-Grone interpretiert die historischen Angaben nach praktischen Gesichtspunkten, wie sie für Händler und Militär relevant gewesen sein mögen, Jahn und die neuere Berliner Untersuchung stützen sich auf die mathematische Auswertung der Längen- und Breitenangaben. Mich persönlich überzeugt die Argumentation von Reismann-Grone, sie führt zu deutlich weniger Unstimmigkeiten, auch wenn sie auf den ersten Blick gewagt erscheint. Jahn hingegen erklärt die vielen aus seiner Interpretation resultierenden Ungereimtheiten mit Fehlern bei Ptolemäus. An dieser Stelle kann ich nicht glauben, dass ein antiker Gelehrter, der dabei war, sein Lebenswerk zu schaffen, nämlich die damals bekannte Welt zu erfassen, schludrig Orte einfach irgendwo in seine Karte eingetragen hat. Meines Erachtens widerlegt sich Jahn insofern mit seiner Karte auf Seite 33 von „Geschichte von Stadt und Stift Essen“ selbst. Derart viele ungenaue und verwechselte Ortsangaben hätte Ptolemäus nicht aufgezeichnet. Auf Seite 37 bemängelt Jahn außerdem die fehlende Verbindung zwischen „Arelatia“ und „Werl“. Muss es solch eine Verbindung im Wortstamm überhaupt geben? Folgt man Reismann-Grone, mag es für Reisende – seien es nun Händler oder Krieger – eine wichtige Information gewesen sein, dass man „are late“ (= am Sumpf, der durch die vielen Quellen und den Untergrund aus Mergel und Lösslehm entstand und erst durch Entwässerungsgräben (im Mittelalter?) trockengelegt wurde) eine Stelle zum Rasten finden konnte. Vielleicht hieß das Dorf lange Zeit aufgrund seiner Lage Arelatia, bis es (vielleicht erst nach Ptolemäus Tod) zunehmend militärische Wichtigkeit erlangte und sich der Wandel in seiner Bedeutung auch in der Veränderung des Namens niederschlug: Werlaha/Werlaon (= Wehrlager) [Topographisch-statistische Beschreibung der kaiserlichen freien Reichs-Stadt Goslar: zur Belehrung u. Unterhaltung für Leser aus allen Ständen von Sebastian Georg Friedrich Mund]. Auch andere Städte wurden umbenannt, je nachdem, wer an der Macht war und wie sich die Zeiten änderten, man denke nur an Byzanz/Konstantinopel/Istanbul. Zu dem angeblich zwischen Werl und Soest gelegenen Kalaigia/Kalisia findet man bei woerterbuchnetz.de: < Calegia  in der locativischen Form ‘Calegiae’ für Weimar1) [Ortsangabe in der Zeichnung G-s für das Studentenstammbuch Augusts] C-e ult Mart 1808 Corpus IV B,Nr262 ~ 263 1) Zur Diskussion um das Wort vgl WVulpius in JbGG17, 1931,120f, ferner M. Hecker in JbGG21, 1935,201f, der an Verschreibung für Caligae denkt, abermals Vulpius in GOETHE3, 1938,108f, der den Namen hier als eine alte Gattungsbezeichnung für versch Städte (Wittenberg, Helmstedt, Halle ua) angibt, ohne ihren genauen Inhalt bestimmen zu können.

Nach Pierer2 s v Galägia “Flecken der Cherusker, am Ende des Harzes, mit Salzquellen; jetzt Halle a. d. Saale”, s v Halle “wahrscheinlich der von Ptolemäos Kalägia genannte Ort”. ‘Calegiae’ scheint als Bezeichnung für Salinenorte od Orte der Salzlagerung, des Salzhandels denkbar. Hier vielleicht als Metapher für Weimar als Heimat, wo stets Salz als das alte Symbol der Hauszugehörigkeit bzw Gastfreundschaft bereitsteht. Maria Erxleben > Die Beziehung zum Salz scheint offensichtlich und würde hier in Verbindung mit der Lage genau zur Wüstung Rithem passen… Dies wäre wieder eine Ortsangabe des Ptolemäus, die mehr eine Eigenschaft oder praktische Bedeutung und weniger den heutigen Namen beschreibt.

Ich sehe hier den Stoff für weitere Arbeit, die den Gedanken von Reismann-Grone aufgreift und kritisch den Ansatz der Berliner Studie hinterfragt. Dafür ist eine intensive Beschäftigung mit dem Werk des Ptolemäus (Vergleich anderer Regionen mit heutiger Geographie) und anderer Quellen wie z.B. des auf Seite 31 zitierten „Itinerarium Antonini“ notwendig.

                                                       Fortsetzung folgt….