Die Nachkriegsjahre sind wenig dokumentiert, da die Menschen – und es soll nicht abwertend klingen – mit dem täglichen (Über-)Leben beschäftigt waren für die familiäre und berufliche Neuordnung. Lehrer Esser überstand relativ unbeschadet die Entnazifizierung, da er einhellig als unbedeutender Mitläufer charakterisiert wurde. Er war eine unproblematische Personalie für den Neuanfang, obwohl Esser schon im Nationalsozialismus als Hauptlehrer an der Scheidinger Schule tätig war.
Er und seine Schützlinge – wie hier 1948 mit einer Mädchenklasse – hatten bis zu Beginn der fünfziger Jahre mehr oder weniger den Unterrichtsalltag zu meistern gewusst. Wie man berichtete, entstanden in diesen Jahren – bedingt durch die angespannte Lebensmittelversorgung – Brieffreundschaften und Helferaktionen im Rahmen von Hamsterfahrten an den Wochenenden. Parallel zu dieser solidarischen Aktivität brachte sich Esser ein bezüglich eines Schulneubaus. Das waren Tätigkeiten, die in die Nähe von Herkules und Sisyphus zugleich gelegt werden mussten, da die Einwohnerzahl nach dem Krieg systematisch zurückging. 1950 waren 105 Schulkinder gemeldet, davon 97 Katholiken. 3 Lehrer organisierten den Schulalltag. Die Einwohnerzahl ging verständlicherweise zurück, da die Gemeinde die dort eingewiesenen Ostvertriebenen nicht mit den notwendigen Arbeits- und Entwicklungsmöglichkeiten versorgen konnte. Als die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Wohnraumsituation in den Ruhrgebietsstädten eine Erholung verzeichneten, kam es naturgemäß zu einer Ab- und Rückwanderung. Esser sah seine vordergründige Aufgabe auch darin, konstante Schülerzahlen zu sichern für einen Bestandsschutz der Scheidinger Schule. Am 23. April 1955 konnte der Werler Anzeiger dann auch offiziell die Planungen für den schulischen Neubau in Scheidingen herausgeben. Seit Sommer 1955 wurden konkrete Maßnahmen umgesetzt, um den Schulneubau zu realisieren, und das Vorhaben musste aus organisatorischen Gründen vor dem Wintereinbruch umgesetzt sein. Interessant war, dass an den Bauarbeiten auf dem Schulgelände auch Strafgefangene der Werler Justizvollzugsanstalt Verwendung fanden und Fahrzeuge aus dem Bestand des Bürgermeisters zum Einsatz kamen. Die Strafgefangenen mussten wenige Zentimeter an Mutterboden auf dem Schulgelände entfernen, da für die dreiklassige Schule ein Ausheben einer Baugrube nicht erforderlich war wegen der Nichtunterkellerung. Übrigens, bei der Entfernung des Mutterbodens war der eigentliche Hausbau noch gar nicht an eine Firma vergeben. Das lässt nur den Schluss zu, dass der damalige Werler Amtsdirektor Hiltenkamp die möglichen Kandidaten auch nachträglich ohne Bedenken mit dem entsprechenden Bauauftrag versehen konnte oder die Scheidinger Fraktion hatte die sprichwörtlichen Hummeln im Gesäß und startete in Eigeninitiative und vorauseilend die Bautätigkeiten, was dann aber auf eine Gefahr im Verzug vermuten ließ. Der nachfolgende Zeitungsartikel informiert über den Beginn der Baumaßnahmen aus jener Zeit.
Noch während der Bauarbeiten ging eine Ordnungs- und Reinlichkeitsinstanz in den Ruhestand. Alfred Hansel, der über dreißig Jahre den Hausmeister der Schule abgab, im Winter für die korrekte Funktion der Öfen Verantwortung trug und den Schulhof sauber hielt, verabschiedete sich aus familiären Gründen aus dem Schuldienst. Wie schon erwähnt, die Bauarbeiten mussten zügig vollzogen werden, denn der Winter 1955/56 nahte. Im Werler Anzeiger vom 16. November 1955 berichtete man dann nicht ohne Stolz von mammutösen Arbeitsaktionen wie Dachkonstruktion in einem Tag oder Es wird so lange wie möglich gearbeitet. 1956 war es dann endlich gerichtet. Die nachfolgenden Zeitungsartikel geben einen Eindruck wieder, nach dem offenbar die neue Schule wie ein besonderes Ereignis in Entstehung und Aura zelebriert worden war.
Was Wortelkampdazu meint, lässt den aufmerksamen Leser dazu verleiten, dass offenbar nicht nur in diesem gereimten Festbericht zur Einweihung der Scheidinger Schule platt geschrieben, sondern tatsächlich im schulischen Umfeld auch so kommuniziert wurde. Die Vermutung ist nicht nur richtig, sondern es gab auch tatsächlich einen bildungspolitischen Erlass für nordrhein-westfälische Volksschulen aus jener Zeit, wie aus nachfolgendem Zeitungsbericht zu entnehmen:
Am 1. April 1957 wurde passend zur neuen Schule ein Jubiläum einer pädagogischen Institution gefeiert. 25 Jahre fungierte Lehrer Esser als Schulleiter der Scheidinger Schule. Der allseits beliebte Lehrer hatte bereits den Sechzigsten überschritten und war seit dem 19. Februar 1914 im Schuldienst tätig. 1951 erfolgte dann im Rahmen der Einführung der Dreiklassigkeit in Scheidingen die Berufung zum Hauptlehrer. In der öffentlichen Danksagung honorierten und hofierten die Dorfältesten dann auch die Leistungen des Dienstjubilars. Zwei Jahre streifte Esser noch durch das neue Gebäude, dann senkte sich am 31. März 1959 sein Kopf bei der nach Zeugenaussagen emotional ergreifenden Abschiedsvorstellung und Lehrer Esser ging in den Ruhestand. Monsieur Esser, merci pour votre soutien. Am 20. August 1959 übernahm Lehrer Hötte das le sceptre éducatife.
Darüber hinaus muss eine Lehrerpersonalie zwingend Erwähnung finden, da seit den fünfziger Jahren die Scheidinger Schule in Fräulein Cäcilie Scholz eine Pädagogin das Regiment führte, bei der Außenstehende mindestens eine Besinnungspause nach der persönlichen Bekanntschaft mit dieser pädagogischen femme fatale einlegen mussten. Unter Umständen war auch nach der zweiten Besinnungspause noch ein unklares Fragezeichen in den Gesichtern der Zurückgebliebenen, weil diese schwierige Person ein konkurrenzloses Selbstbewusstsein an den Tag legte und mit dem pädagogischen Zeigefinger gerne die Richtung anzeigte. Möglicherweise gab es nur bösen Zungen, die die liebe Cäcilie Scholz als verbitterte Frau charakterisierten und ihre Sympathiewerte in den Nanobereich einlagerten. Und der pädagogische Züchtigungsstab hatte nicht nur eine grammatikalische Bedeutung für diese Vollblutfrau. Ob es an der Ausbildung bei den Nationalsozialisten lag oder sie von Natur aus den herrischen Sergeant mimte, blieb ihr bis zum Schluss vorbehalten. Aber sie blieb auch eine prägende Institution.
Diese Personalie soll aber nichts Unnötiges dramatisieren und den negativen Teil demonstrieren. Auch eine Frau Scholz brachte sich mit Leib und Seele in den Unterrichtsalltag ein. Jeder sitzt im Glashaus und braucht daher nicht mit (unnötigen) Steinen zu werfen. Und die letzten Jahre fungierte die nette Cäcilie mit Anstand und Würde als Schulleiterin bei der Abwicklung der Dorfschule.
Die sechziger Jahre läuteten dann die Endphase der Dorfschule ein. Der Hintergrund war die abnehmende Schülerzahl. Es gab natürlich Diskussionen, besonders mit Blick auf die mammutösen und von der Gemeinschaft getragenen Baumaßnahmen zur Realisierung der neuen Schule, deren Grundsteinlegung noch nicht einmal 10 Jahre alt war. Es half aber nichts. Und die Hoffnung auf unverhältnismäßigen Schülerzuwachs konnte nur in Verbindung mit der Mär von den Störchen einhergehen. Nur noch gelegentlich gab es Berichte, die sich mit der Ausstattung der Schule beschäftigten, so wie 1962 die Lieferung von neuen Kachelöfen oder eine neue Dachwetterfahne, die vom Goldschmiedemeister Lahme aus Geseke angefertigt werden sollte. Das Ende der Schule wurde für den Abschluss des Schuljahres 1967/68 beschlossen. Naturgemäß ging es nicht ohne hitzige Debatten vor Ort, wie der nachfolgende Zeitungsartikel vom März 1968 zu berichten wusste. Seit Sommer 1966 hatten ohnehin schon die oberen Jahrgänge die Volksschule in Welver besucht. Es ging nur noch um das ebenfalls emotional belastete schwierige Thema der Schulzuweisung der Scheidinger Schüler. Welver war durch den Ortsverband Welver-Scheidingen verwaltungsschlussfolgern die Hauptanlaufstelle, aber Werl vereinnahmte die historisch gewachsene Verbindung mit Scheidingen, da Scheidingen stets im „Norden von Werl“ angesiedelt war seit dem Mittelalter.
Mit Wehmut ist das letzte Klassenbild einer Scheidinger Klasse zu betrachten aus dem Jahr 1968. Auch Fräulein Scholz war mit auf dem Bild. Die Entscheidung war jedoch gefallen. Und ungenutzt blieb die Schule nicht, denn hier wurde dann der katholische Kindergarten einquartiert. Es war eine vernünftige Ressourcenbindung –weiternutzung. Viel blieb aber auch von der Schulgeschichte nicht mehr übrig. Hors de vue, hors d´esprit, sagen die Franzosen. Und mit dem verwaltungstechnischen Abschluss ist oft – und auch – irgendwann ein gedanklicher Abschluss vollzogen. Heute existiert noch der Kindergarten, und das alte Schulgebäude war noch einmal ein Thema Ende der achtziger Jahre wegen Renovierungsarbeiten und deren anhängenden Kosten. Heute dient das Gebäude als Mietshaus.
Resümee
Die Chronologie einer Dorfschule ist als enzyklopädische Darstellung nicht möglich. Das ist kein Eingeständnis eines gescheiterten Versuches, sondern liegt in der Natur einer schulischen Institution, die erst mit der Frühen Neuzeit über ein ausreichendes Niveau an schriftlichen Quellen verfügte über sich etablierende Dokumentationen und trotzdem größere Lücken auf der Zeitleiste aufweisen kann. Neben diesen technischen Problemen und der oft vergeblichen Suche nach altem Bild- und Kartenmaterial für eine Dorfschule zeigt sich noch problematischer die Wertigkeit der Auswahl von Alltäglichem für eine Darstellung. Das ohnehin rare Quellenmaterial – und je weiter man auf der Zeitleiste zurückgeht, desto rarer wird der Status quo der Dokumentation – erhält durch die Notwendigkeit einer Auswahl weiterhin eine Verringerung der Basis am Darzustellenden. Das Banale, das Redundante, die verstärkte Gefahr einer einseitigen Bewertung von Lehrkörpern oder auch die Vernachlässigung der Würdigung – bis hin zur unberechtigten Nichtbeachtung der Zeitzeugen – von Außenstehenden bei der Darstellung von schulischen Aktivitäten erschwert eine populärwissenschaftliche Darstellung für den direkten und breiten Zugang zu der Materie. Ich will es an zwei Beispielen aus der punktuellen Schulchronologie hervorheben:
Die nachträgliche Bewertung von Lehrkräften aus der Scheidinger Schulgeschichte, sofern keine offiziellen Bewertungsbögen auf amtlicher Seite existieren, ist eine Gratwanderung. Ein einseitiger Tenor ist darzustellen bei Vorliegen von einseitigen Zeitzeugenaussagen. Diese Einstufung muss aber nur ein Teil des Ganzen widerspiegeln und ist es auch in der Regel. Der Historiker ist zur Multiperspektivität verpflichtet. Aber wie ist es um den Historiker geschehen bei lückenhafter Darstellung von Psychogrammen? Es ist eine unmögliche Mission, die im realen Versuch nur eine auf Sand gebaute These hervorbringen kann. Das ist der Preis dieser Darstellungen. Lehrer Esser war unwiderruflich beliebt bei den Scheidingern. Und seine Tätigkeit als Lehrer im Nationalsozialismus? Die Nationalsozialisten hatten zumindest ein Grundvertrauen in der Umsetzung seines Sozialisationsauftrages in der Schule, und viele Lehrplanthemen waren von undemokratischem und rassischem Gedankengut. Und die armen Fräuleins Beine und Scholz werden mit leichtem oder auch direktem Unterton in dieser Darstellung in die negative Aura katapultiert. Zumindest bei Fräulein Scholz gehört nachträglich eine positive Ergänzung postuliert, da sie in den letzten Jahren der Existenz der Scheidinger Volksschule mit Fach- und Verwaltungskompetenz die Schule führte.
Die Gemeindemitglieder, der Gemeinderat, die Stadtoberen aus Werl und die Vertreter der Schulbehörden hatten das notwendige Engagement gezeigt bei der Planung und Durchführung des Schulneubaus in Scheidingen. Die detaillierte Schilderung der Handlungsabläufe und –personen würde den Rahmen sprengen oder das Desinteresse beim Leser forcieren. Dieses unbeachtete Wissen – unabhängig vom realen Vorliegen dieser Wissenselemente – nähert sich ungewollt dem vergessenen Wissen. Und das ist verlorenes Wissen, zumal mit dieser Alltagsgeschichte oft im Nachhinein die Funktionsweise und das soziale Klima in (Dorf-)Gemeinschaften erschlossen werden können. Ein unentbehrlicher Fundus geht für Wirtschafts- und Sozialhistoriker sehenden Auges in die Verbannung. Unabhängig davon, das soziale Engagement Einzelner kann so nicht voll in der Würdigung ausgeschöpft werden.
Die Chronologie trägt einen ambivalenten Charakter in sich. Der Historiker kann seinen methodischen Werkzeugkasten weder voll ausschöpfen noch darf er es. Un dilemme technique! Vielmehr gehört eine Chronologie stets auf den Prüfstand, denn stets zeigen sich neue Überreste, die Aufklärendes, Erhellendes oder Ergänzendes beitragen können. Die Scheidinger Schulgeschichte ist nicht komplett, das Komplette wurde auch nicht eingebaut und die Sammlung von neuen Überresten ist ein fortlaufender Prozess. Die vorliegende Chronologie will und kann nur eine Momentaufnahme in Aufarbeitung und Dokumentation sein.
Abbildungsnachweis:
Abbildung 1:
Bild der alten Schule
Abbildung 2:
Schulklasse mit Lehrer Esser. Das Foto befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Abbildung 3:
Zeitungsartikel. Werler Anzeiger, 23. April 1955. Der Zeitungsartikel befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Abbildung 4:
Zeitungsartikel. Werler Anzeiger, 14. November 1955. Der Zeitungsartikel befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Abbildung 5:
Zeitungsartikel. Werler Anzeiger, 16. November 1955. Der Zeitungsartikel befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Abbildung 6:
Zeitungsartikel. Werler Anzeiger, 05.Oktober 1956. Der Zeitungsartikel befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Abbildung 7:
Zeitungsartikel. Werler Anzeiger, 01. Oktober 1955. Der Zeitungsartikel befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Abbildung 8:
Zeitungsartikel. Werler Anzeiger, 31. März 1959. Der Zeitungsartikel befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Abbildung 9:
Frl. Cäcilia Scholz. Das Foto befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe.
Im Jahr 1925 wurde endgültig eine kulturelle und verwaltungstechnische Symbiose in Scheidingen zum Schlussakkord angesetzt. Die Trennung der Küster- und Schulstelle wurde von Amts wegen eingeleitet. Das ging naturgemäß nicht reibungslos, da die Gemeinde Illingen offenbar noch aus dem Dotationsvermögen der zu trennenden Stelle Ansprüche erhob, die aber logisch schlüssig abgewiesen wurden im September 1925 von der zuständigen Abteilung in Arnsberg. Die dortige Argumentation gegen die Sicht der Illinger Gemeinde kann aus der betreffenden Stellungsnahme vom 17. September 1925 herausgelesen werden:
Regierung, Abteilung für Kirchen und Schulwesen, II 8 Nr. 1034
Kasten 216
Auf das dortige Schreiben vom 21. Mai 1925 betreffend Trennung des vereinigten Schul,- und Kirchenamtes erwidern wir ergebenst. Wir haben keinen Anlass gefunden, die Gemeindevertretung von Scheidingen in der Trennungsangelegenheit nicht als selbstständig vertretungsberechtigt anzusehen.
Der angeführte Abs. 1 des § 47 des V.U.G. sagt, dass der Schulverband in Landgemeinden, welche einen eigenen Schulverband bilden, für die Verwaltung der Angelegenheiten der Volksschule ausschliesslich der im § 46 Abs. 1 bezeichneten einzusetzen ist. Absatz 1 § 46 bestimmt, dass die vermögensrechtliche Vertretung nach aussen durch die verfassungsmässigen Organe der Gemeinde d.i. Gemeindevertretung zu erfolgen hat.
Scheidingen und Illingen bilden je einen selbstständigen Schulverband. Die combinierte Lehrstelle, um die es sich handelt, gehört dem Schulverband Scheidingen, nicht Illingen an. Dementsprechend ist die Gemeindevertretung Scheidingen über das Dotationsvermögen in der trennungsfrage verfügungsberechtigt. Zwischen den Schulverbänden Scheidingen und Illingen hat s. Zt. Eine Auseinandersetzung stattgefunden, bei der Illingen abgefunden wurde, und bei der das Dotationsvermögen der vereinigten Stelle verblieb, die wie gesagt nach der Abtretung, was den Zusammenhang mit der Schulstelle angeht, lediglich mehr dem Schulverband Scheidingen angehört. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern die politische Gemeinde Illingen noch Ansprüche auf das Dotationsvermögen der vereinigten Stelle im Schulverband Scheidingen haben soll.
Es trifft zwar zu, dass das Pfarrgebäude und das Küstereigebäude gemeinschaftliches Eigentum der Politischen Gemeinde Scheidingen und Illingen sind, doch sind diese Gebäude nicht dem Dotationsvermögen der in Frage stehenden vereinigten Stelle zuzurechnen.
(siehe auch § 6 Ziffer 3 des alten Lehrerbesoldungsgesetzes)
Wohl erstreckt sich die Kirchengemeinde über den Bereich desjenigen Schulverbandes hinaus, dessen Schulamt mit ihr verbunden ist. Die daraus für die Einwohner von Illingen entsprechenden Rechte und Pflichten bleiben durch die vorstehenden Ausführungen unberührt. Insoweit werden die Rechte der Illinger Einwohner durch ihre Vertretung im Kirchenvorstande gewahrt.
Wir können deshalb die Ungültigkeit des beanstandeten Beschlusses der Gemeindevertretung von Scheidingen nicht anerkennen.
Falls Seitens der Kirchengemeinde sonst keine Bedenken in der Sache selbst vorliegen, kann das Trennungsverfahren seinen Fortgang nehmen.
Der Bedeutung dieses Ereignisses Rechnung getragen, hier ein Auszug aus dem Protokoll des Kirchenvorstandes von Scheidingen hinsichtlich der Verhandlung der Trennung des Dotationsvermögens vom 14. Februar 1926:
Der Kirchenvorstand besteht aus dem Pfarrer als Vorsitzender und zehn gewählten Mitgliedern. Gegenwärtig waren unter dem Vorsitze des Pfarrers Ortner
A. Ammermann stellvert. Vorsitzender
J. Bettermann
J. Stratmann
F. Lutter
C. Sauer
Heinrich Vickermann.
Die Gemeindevertretung von Scheingen als Vertreterin der Schulgemeinde besteht aus dem Gemeindevorsteher und sechs gewählten Mitgliedern.
Es waren anwesend
B. Hagemann stellvert. Vorsitzender
J. Schulte – Bisping
Wilhelm Schulte Euler
Paul Sürig
Die Gemeindevertretung von Illingen als Vertreter der Schulgemeinde die mit der Gemeindevertretung von Scheidingen das Kirchenspiel Scheidingen / Illingen vertritt, besteht aus dem Gemeindevorsteher und sechs gewählten Mitgliedern.
Es waren anwesend unter dem Vorsitz des Gemeindevorstehers Fr. Foschepoth
Theodor Wilm
Heinrich Deitel
Theodor Notz
Franz Hagedorn
In der heutigen gemeinsamen Sitzung des Kirchenvorstandes des katholischen Schulverbandes von Scheidingen vertreten durch die Gemeindevertretung von Scheidingen / Illingen wozu die Mitglieder unter Mitteilung der Tagesordnung vorschriftsmäßig eingeladen und in beschlußfähiger Anzahl erschienen waren, wurde über die Trennung des Vermögens der kombinierten Küster und Lehrerstelle vorbehaltlich der Genehmigung der kirchlichen und staatlichen Aufsichtsbehörden folgendes verhandelt und beschlossen.
1.) Der Beschluß der Gemeindevertretung Scheidingen vom 14. März 1924 wonach 2/3 der Ländereien der Küsterei und 1/3 der katholischen Schulgemeinde zufallen sollen, unter der Bedingung dass, das an dem Schulplatz grenzende, der Küsterei gehörende Gärtchen Flur 3, Nr. 698/298, 3 ar 17 qm groß der Schulgemeinde zu erkannt werde, wird als undurchführbar zurückgenommen.
2.) Das unter No. 1 genannte Gärtchen, dass nach dem Grundbuch Eigentum der Küsterei ist, verbleibt bei der Küsterei, weil es zu dieser gehört, nicht an den Schulplatz, sondern an die Küsterei gehörende Düngestätte grenzt und beim eventuellen Neubau des Küstereigebäudes nicht entbehrt werden kann.
3.) Die katholische Schulgemeinde Scheidingen zerfällt zu alleinigen Besitze:
a.) Den ganzen Raum zwischen der Schule und dem Küstereigebäude: Flur 3 N Nr. 601/296 3 ar 8 qm groß, Flur 3 Nr. 602/296 19 qm groß, Flur 3 No. 603/296, 38 qm groß. Die auf den beiden ersten Parzellen, die nach dem Grundbuch Eigentum der Schule sind, eingetragene Erbpacht von jährlich 12 Mark wird gelöscht, die letzte Parzelle ist nach dem Grundbuch Eigentum der Küsterei.
6.) Nach dem Abbruch des Küstereigebäudes Flur 3, No. 604/297 — 605/297 2 ar 57 qm des Eigentum der Kirchspielgemeinde Scheidingen / Illingen ist, zur Erweiterung und Gradelegung des Schulplatzes der Stücke bis zum westlichen Posten des Scheunentores ( 2m75 cm breit) der Küsterei von der Kirchstrasse bis zum Patoratgarten, das nach der Kirchstrasse hin sich etwas erbreitert und am Pastoratgarten mit dem westlichen Ecke des Küstereigebäudes abschliesst.
Ca 40 – 50 qm) Vgl. zeichung
c.) den Garten Flur 3 No. 215, 4 ar 75 qm groß und No. 216, 6 ar 30 qm groß, damit die Lehrperson einen Garten Dorfe haben. Der Garten ist nach dem Grundbuch Eigentum der Küsterei und Schule.
4.) Die katholische Kirchengemeinde erhält:
a.) ¾ der übrig bleibenden Ländereien des kombinierten Vermögens nämlich der Parzellen, die nach dem Grundbuch Eigentum der Küsterei und Schule sind.
Flur 2 No. 179. 17 ar 32 q, No. 183. 11 ar 66 qm, No. 210 14 ar 9qm
Flur 3 No. 200. 39 ar 87 qm, No. 902/328 18 ar 83 qm
Flur 3 No. 373/11 97 ar 84 qm, No. 329/124 11 ar 58 qm
Diese Forderung ist abgesehen von dem unter No. 3 gebotenen Entgegenkommen der katholischen Kirchengemeinde durchaus berechtigt, denn:
1.) die hiesige Schule ist nach ihrer historischen Entwicklung zweifellos eine sogenannte Küsterschule, weßhalb auch der Inhaber der kombinierten Ämter bis auf Herrn Lehrer Ammermann, nicht Lehrer sondern Köster, Küster genannt wurden, das Stellenvermögen also nicht Schulvermögen sondern Kirchenvermögen. Vgl. Reichsgerichtsentscheidung vom 13. Juni 1888.
In der Kommissionsberatungen des Abgeordnetenhauses zum V:U:G: ist von einem Vertreter der Unterrichtsverwaltung ausdrücklich anerkannt worden dass das gegenwärtige Vermögen solcher Stellen zum größten teil aus kirchlichen Quellen herrühre.
Die Regierung zu Arnsberg hat diese auch schon anerkannt, da sie dem zwischen einem Vertretung der Regierung, dem Herrn Lehrer Ricke und Herrn Pfarrer Ortner getroffenen Uebereinkommen, wonach Herr Lehrer Ricke von dem 330 Mark jährliche Zinsen seinem Stellvertreter als Küster pro Jahr 300 Mark vom 1. Dezember 1923 an jährlich auszuzahlen muß, zugestimmt hat.
b.) Das Grundstück Flur 2 No. 4 der Gemeinde Werl 46 ar 96 qm groß, das irrtümlich im Grundbuch auf den Namen der Schulgemeinde Scheidingen eingetragen ist, wofür diese aber keinen Erwerbstitelaufweisen kann, da dasselbe am 20. August 1751 der Kirche für die Unterweisung armer Schulkinder vermacht und nie von der Schulgemeinde, sondern von Herrn Küster Lehrer Ammermann und dessen Vorgängern stets selbst bewirtschaftet ist.
Der Gemeindebezirk Scheidingen gehörte bekanntlich zum alten Herzogtum Westfalen, welches bis 1803 zum Erzbistum Köln und von da an zum Großherzogtum Hessen gehörte und erst 1814 bezw. 1816 zur Krone Preußens kam.
Durch patent vom 2. Juni 1825 ist der A.B.R. eingeführt und erst von dieser Zeit an von einer Schulgemeinde im Sinne 7/2 Tittel 12 die Rede sein, die aber erst 1829 mit Marogorativen Rechten gebildet ist. Nach kanonischen Rechte welches bis 1803 unzweifelhaft Anwendung fand, waren die niederen Schulen rein kirchliche Institute. Das fragliche Grundstück ist hiernach zweifellos Kircheneigentum. Vgl. Entscheidung des Reichsgerichts V Zivilsenat vom 26.6.1924 V. 909/23. Eine Verjährung liegt nicht vor, weil die Kirchen und Schulgemeinden durch die Küster und Lehrer in einer Person das Grundstück genutzt hat.
c.) Das Grundstück Flur 1 No. 36 im Elsbruch, Gemeinde Sönnern, 12 ar 96 qm groß, dass im Grundbuch erst im Jahre 1917 irrtümlich auf den Namen der Schule eingetragen ist, aus dem unter 4b angegebenen Grunde, weil nämlich das Grundstück schon im 18 Jahrhundert der katholischen Kirchengemeinde Scheidingen gehörte und daher stets vom Herrn Küster und Lehrer Ammermann und dessen Vorgängern, aber nie, von der katholischen Schulgemeinde bewirtschaftet wurde.
5.) Die Tilgung der Grundstücke soll nach den von der Generalkommision für die Separation von Scheidingen fest gesetzten Bonitierungsweite erfolgen.
6.) Das Küstereigebäude soll auf Abbruch verkauft und den Erlös für den Neubau des Küstereigebäudes verzinslich angelegt werden.
7.) Der Organistendienst der nicht fundiert ist, sondern stets aus der Kirchenkasse bezahlt wurde, soll mit der Lehrstelle organisch verbunden bleiben.
Der Kirchenvorstand
Gez. Ortner Pfr.
Ammermann
Bettermann
Weißmann
Franz Lutter
Palz
Stratmann
Die Gemeindevertretung von Scheidingen
Gez. Kaiser Vorsteher
Schulte – Bisping
Hagemann
Paul Sürig
Wilh. Schulte
Den unter 3b gefassten Beschlüsse dem zufolge nach Abbruch des Küstereigebäudes das genannte Stück zum Schulplatz kommen soll, stimmen wir unter der Bedingung zu, dass die katholische Kirchengemeinde die unter 4 a und b und c genannten Grundstücke erhält.
Die Gemeindevertretung von Illingen gez. Foschepoth, Vorsteher, Heinrich Deitel, Theodor Wilm, Franz Hagedorn, Theodor Notz
In fidem Scheidingen, den 17. Februar 1926
Gez. Ortner Pfarrer
Der Trennungsakt war dann doch zähflüssiger als gedacht. Das Küstereigebäude wurde auf einer öffentlichen Auktion im Oktober 1926 veräußert. Und noch 1928 wies man in einem Schreiben an die Amtskasse in Werl auf die Auseinandersetzung zwischen Kirchen- und Schulgemeinde hin bezüglich der weiterzuleitenden Pachterträge:
Die Schule in Scheidingen hatte in den zwanziger Jahren eine hohe Fluktuation an Lehrern. Besonders prägend waren offenbar nach Überlieferung die Lehrer Ricke, Langenhorst und Pfaffhausen, die mit Disziplin und Menschlichkeit die Kinder zu nehmen wussten. Gerade Ricke (hier auf einem Bild von 1925) hatte einen Wandlungsprozess hingelegt vom Mauerblümchen im Schatten des großen Ammermann hin zu einem selbstbewussten, auf Neuanfang setzenden Junglehrers. Gerade die Streitigkeiten mit der Wohnsituation im Lehrerhaus zu Beginn der zwanziger Jahre polarisierte die Schulgemeinschaft. Aber Ricke konnte verlorenen Kredit zurückerobern mit seinem Einsatz für die Pflege des Schulaußengeländes und bei schulisch organisierten Freizeitaktivitäten für die Kinder. Distanzierter, aber stets mit seinem non multa, sed multum im Sprachgepäck, agierte Lehrer Pfaffhausen (hier auf einem Bild von 1927) geradlinig. Er redete stets Fraktur und konnte so seinen Schützlingen ein wahrhaftes Vorbild in Ehrlichkeit und Anstand geben. Legendären Status erarbeitete sich aber – wobei die Leistungen und der Leumund für die beiden Vorgenannten in keiner Weise Abbildung 5: Schulklasse 1927
traktiert werden sollen – Lehrer Langenhorst, der 1929 mit seinen Sieben- und Achtklässlern – wie hier auf dem Bild – den Schulalltag bereicherte und den Laissez-Faire-Erziehungsstil vorlebte, jedoch im Mathematikunterricht klar das quod erat demonstrandum am Ende einer Herleitung sehen wollte. Wenigstens hier wollte er seine Passivität aufgeben und die Initiative übernehmen. Seine Schüler dankten es ihm aber. Ob dieser Dank heute von Schülern ausgestellt wird, bleibt dem Leser überlassen. Als Langenhorst 1930 versetzt wurde, waren die Schüler mit einer Traurigkeit ausgestattet. Zahlreiche Hilfslehrer waren bis zum Ende der Weimarer Republik zeitlich befristet in Scheidingen aktiv. Lediglich ein Joseph Esser konnte sich langfristig etablieren und blieb bis 1952. Wie übrigens zu jener Zeit ein probléme urgent in der Scheidinger Lehrerwohnung bearbeitet wurde, geht aus einem Erlass vom 31. Mai 1931 hervor:
Amt Werl J.Nr. 2888
Werl, den 30. Mai 1931
Einmaligen Ergänzungszuschuss den Schulverband Scheidingen
Ohne Verfügung
Die Lehrer – Dienstwohnung in Scheidingen hat keine Abortanlage. Die beiden Wohnungsinhaber ( 1 Lehrer und 1 Lehrerin) müssen, um zu der Klosettanlage zu gelangen, dass für die Schulkinder geltende Abortgebäude aufsuchen. Dieses Gebäude ist etwa 20 Meter vom Eingange der Lehrerdienstwohnung entfernt. Das Fehlen einer Abortanlage in der eigentlichen Dienstwohnung wird von den Wohnungsinhabern hart empfunden, insbesondere in Krankheitsfällen. Dabei trägt dieser Übelstand in gesundheitlicher und hyginischer Hinsicht schwerwiegende Bedenken in sich.
Weiter hat der Schulhof, der auch als Spielplatz der Kinder dient, keine Einfriedigung. Auch ist das Schulgrundstück nächst der nachbargrenze nicht eingefriedigt.
Der Schulhof liegt an einer sehr verkehrsreichen Straße (Kreisstraße) die insbesondere viel von Autos befahren wird, sodass die Nichteinfriedigung eine direkte Gefahr für die Kinder bedeutet.
Der Schulvorstand bezw. die Gemeindevertretung hat sich, trotz der wirtschaftlichen Nöten der Steuerzahler der Notwendigkeit nicht verschließen können, beide Übelständen abzuhelfen und die Ausführung einer Abortanlage in der Lehrer Dienstwohnung, sowie die Einfriedigung des Schulplatzes beschlossen. Wie aus den Anlagen hervorgeht, belaufen sich die gesamtkosten auf 2545.—Reichsmark. Der Schulverband ist ausserstande, diese Kosten aus eigenen Mitteln voll aufzubringen-
Die Schulverbandsmitglieder betreiben vorwiegend Ackerbau und sind, abgesehen von der wirtschaftlichen Notlage im allgemeinen, durchweg erheblich verschuldet. Ein kleiner Teil gehört dem Arbeiterstande an. Neben der sehr erheblichen gemeindlichen Belastung sind noch rund 40.000 Reichsmark Separationskosten zu verzinsen bezw. zu decken.
Ich überreiche hierbei:
a) 2 Kostenanschläge
b) 2 Zeichnungen über die beabsichtigten baulichen Anlagen
c) die Beschlüsse der zuständigen Körperschaften
mit der Bitte, einen einmaligen Ergänzungszuschuss zu gewähren.
Der Bürgermeister
Schon vor der Machtübernahme 1933 gab es wie andernorts auch die Hitlerjugend in Scheidingen. Alle wurden uniformiert, militärisch eingeteilt und im Dienst soldatisch ausgebildet. Die ganze Art und Weise der Bestätigung dieser Organisation wies darauf hin, dass man über kurz oder lang mit einem Krieg rechnete. Auch die Jugend – und Volksfeste erhielten einen militärischen Charakter mit Umzügen und Paraden. Hinter dem sogenannten Dienst musste alles andere wie Schule, Elternhaus, Religion und Kirche zurückstehen. Ein Zeitzeuge berichtete, dass es der Hitlerjugend Spaß machte, vor der Wallfahrtskirche zu singen, besonders das Lied:
Auf seinen Säcken Goldes sitzt,
der vollgefressene Jud.
Doch wenn das Blut vom Messer spritzt,
doch wenn das Blut vom Messer spritzt,
dann geht’s nochmal so gut.
Hängt die Juden, hängt die Juden! Stellt die Pfaffen an die Wand.
Vordergründig sah man in der Schule – und Werl stand dem in nichts nahtlos zur Verfügung – den Vermittlungsort für die Rassenideologie und als Vorstufe für die Wehrmacht. Die Bildungsideale wie Mündigkeit, Kritikfähigkeit und Selbständigkeit gehörten nicht in den Zielkatalog der Nationalsozialisten, sondern die Erziehung zu fanatischen Nationalsozialisten. Hier wollte man aus Sicht der Staatsführung so früh wie möglich beginnen. Die Hitlerjugend und der Bund deutscher Mädel lieferten den Organisationsrahmen für die Gleichschaltung und den vormilitärischen Drill. Bereits im Frühjahr 1933 mussten die ersten Lehrer aus dem Staatsdienst, denn durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 befreite sich die neue Führung von den pazifistischen und kommunistischen Gruppierungen unter den Lehrern. So wurde nach Verabschiedung des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums « im Regierungsbezirk Köln im Frühjahr 1933 ein Ausschuss von »Vertrauensmännern« damit beauftragt, die politische Zuverlässigkeit aller Lehrkräfte zu überprüfen.
In den folgenden Monaten wurden nicht nur die jüdischen und kommunistischen Lehrer entlassen, sondern zahlreiche politisch missliebige Pädagogen versetzt oder vorzeitig pensioniert. Bis Ende 1933 waren hiervon an den Kölner städtischen höheren Schulen und Berufsschulen rund zehn Prozent des Lehrpersonals betroffen. Allerdings verfügte das NS-Regime in der Lehrerschaft über erheblichen Rückhalt, und der größte Teil auch jener, die ihm nicht nahestanden, passte sich ohne größere Widerstände der neuen Situation an. Tatsächlich lässt sich in den Kölner Schulen Gegenwehr gegen Forderungen nationalsozialistischer Schulpolitik kaum nachweisen. Innerhalb kurzer Zeit änderten sich die Lerninhalte, wobei die NS-Ideologie nicht zu einem eigenen Fach, sondern zum Unterrichtsprinzip für alle Fächer wurde. Vermittlung von »Rassenkunde«, besondere Gewichtung des Sportunterrichts, spezifische Mädchenausbildung zur Hausfrau und Mutter sowie vormilitärische Erziehung der Jungen wurden so auch Kennzeichen nationalsozialistisch geprägter schulischer Ausbildung. »Weltanschauliche« Schulungen, Schulfeiern mit eindeutig politisch-ideologischem Hintergrund –
etwa die Feiern zum »Geburtstag des Führers« oder zum »Tag der nationalen Arbeit« – und Rituale wie das morgendliche Hissen der Hakenkreuzfahne auf dem Schulhof prägten bald den schulischen Alltag. Nationalsozialistische Wertesysteme und Symbole wurden damit auch jenseits von HJ und BDM im Bewusstsein der Jugendlichen verankert, traditionelle, insbesondere christliche Werte dagegen verdrängt. Gerade die Sozialisation von Kindern war den Nationalsozialisten eine Herzensangelegenheit. Je früher ein Gedankengut im Denken und Handeln Platz fand, umso größere Erfolgsaussichten waren zu erwarten hinsichtlich einer gleichgeschalteten Bevölkerung. Besonders die Kinder konnten sich dieser Perfidie nicht entziehen. Ein trauriges und entlarvendes Beispiel dieser pervertierten Auffassung von Wissensvermittlung stellte der Giftpilz dar, der hetzerisch im Kinderbuchformat Stimmung gegen die zusatzbürgerlichen Juden machte. Oft war den Lesern, also den kleinen Jungbürgern mit Arierausweis, nicht bewusst,
wie sie durch die Hintertür zu im Unterbewusstsein gefügigen Nationalsozialisten wurden. Das Kinderbuch war dabei ein starkes Instrument. Nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 war es den Nationalsozialisten ein Anliegen, deren von Feindbildern durchsetzte Weltanschauung jeder Bevölkerungsgruppe anzutragen. Der Giftpilz von 1938, von Ernst Hiemer geschrieben, listete „Merkmale“ auf zur Erkennung von Juden. Natürlich wurde hier der Jude als Faktotum des Schlechten, Bösen und Unreinen verunglimpft, womit tiefenpsychologisch auch ein Greuel und eine Antipathie bei den Lesern hervorgerufen werden sollte. Der Verunglimpfungskatalog beinhaltete krumme Nasen, aufgeblasene Lippen, dicke und fleischige Augenbrauen, kurze Beine, Plattfüße und eine schräge Stirn. Das entsprach ganz und gar der Kriminellentypisierung der Nationalsozialisten, die auch am Berufsverbrecher eine schräge Stirn erkannt haben wollten. Beleidigungen, der Vorwurf der notorischen Lügerei und die Nähe zum Brigantentum werden unter Einsatz bunter Bildmotive im Giftpilz als Selbstverständlichkeit in der Darstellung und als Warnsignal für die arischen Kinder angeboten. Böses Ungeziefer galt es auszumerzen und dieses deutsche Unglück über den Jordan zu hieven. Jede Boshaftigkeit wurde im Giftpilz den Juden unterstellt. Jüdische Ärzte wurden diskreditiert und pauschal die jüdische Bevölkerung in die Nähe der Tierquälerei gesetzt.
Im Schlussakkord wurden dann die kleinen Leser fast prophetisch in die alltägliche Judenhetze entlassen:
„Die Welt erwacht in Juda`s Ketten
Deutschland alleine kann sie retten.
Deutsches Denken und Deutsch sein
Wird einst die ganze Welt befreien.
SIEG HEIL!“
Ergänzt wurde diese Leitfibel noch durch eine Aussage Hitlers in seinem geistreichen Müllkippenkonglomerat namens „Mein Kampf“, in dem er unverblümt das Verständnis der nationalsozialistischen Erziehung formuliert:
„Der völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie nicht auf das Einimpfen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten.“
Im katholischen Scheidingen waren die jüdischen Kinder zu der Zeit schon nicht mehr präsent. Näheres ist zu ihnen aber nicht überliefert. Wie andernorts auch, in Scheidingen galt es mit Beginn des Schuljahres 1934/35 auf die einheitliche, der Sütterlinschrift verwandte Verkehrsschrift zu wechseln. Der erste Jahrgang in Gleichschaltung hatte sich 1934 zum Schuljahresbeginn noch vor der Scheidinger Kirche unbekümmert positioniert, aber die unbekümmerten Bildungsideale waren bereits unwissentlich verkümmert.
Natürlich hatte Lehrer Esser ein Erscheinungsbild, das eine gewisse Ähnlichkeit zum Führer Adolf Hitler aufwies. Nach Zeitzeugenaussagen war der Herr Esser aber kein vorbildlicher NS-Pädagoge gewesen, sondern beschränkte sich auf die Pädagogik mit zwischenmenschlichem Augenmaß und einer merklichen Portion Toleranz gegenüber den Mitmenschen. Die Schüler seiner Abschlussklasse dankten es ihm gebührend und gaben ihm – von ungewollter Vorahnung behaftet – viel Kraft und Durchhaltevermögen mit auf den Weg, der immer mehr von nationalsozialistischen Attitüden zugeparkt wurde.
1935 trat eine Aushilfslehrerin namens Blawath den Schuldienst in Scheidingen an. 1936 stießen noch die Lehrerinnen Klawathaus, Rosenthal und Lehmkuhl dazu. Allen vorgenannten Pädagoginnen konnte man das notwendige Engagement nicht abstreiten, aber sie trugen durch ihre Tätigkeiten zur Verankerung der nationalsozialistischen Erziehungsideale bei. Es soll aber keine unsachliche Kritik geäußert werden, denn sie verhielten sich dem Zeitgeist entsprechend mit den dazugehörigen Werten und Normen. Und dafür brauchen die nachfolgenden Generationen kein „Säbelrasseln“ oder martialische Sprüche wie „Hier wird kein Pardon gegeben“ an die Wertung zu heften.
Die Nationalsozialisten mussten für einen generationenübergreifenden und langlebigen Wertewandel auf die Jugend zurückgreifen. Die Erziehung war der archimedische Punkt. Wichtig für die wachsende Bedeutung der Hitler-Jugend (HJ) war auch, dass sie in kürzester Zeit innerhalb des Schulwesens eine starke Machtposition aufbauen und aggressiv ihre Interessen durchsetzen konnte. So wurden Lehrer und Schulbehörden nachdrücklich aufgefordert, die Mitgliedschaft in den NS-Jugendorganisationen zu fördern. Zudem erhielten HJ-Veranstaltungen vielfach Vorrang gegenüber schulischen Belangen. „Nationalsozialismus ist organisierter Jugendwille“ hieß eine verbreitete Losung der Zeit. Nachdem schon im Kinderzimmer die Indoktrination durch das auf die Ideologie des NS-Regimes ausgerichtete Spielzeug begonnen hatte, sollte anschließend die HJ Standesunterschiede beseitigen und die nationalsozialistische Gesinnung fördern. Die anfangs noch formell freiwillige Mitgliedschaft wurde am 1. Dezember 1936 durch das „Gesetz über die Hitler-Jugend“ zur Zwangsmitgliedschaft. Die HJ – neben Familie und Schule für die
Mehrheit der Heranwachsenden die wichtigste Sozialisationsinstanz – stützte sich jedoch nicht nur auf Zwang, sondern vor allem auf attraktive Freizeitangebote. Mit Feldausflügen – wie hier auf dem Ausflugsfoto in der Scheidinger Gemarkung mit Lehrerin Blawath 1935, mit Geländespielen, Zeltlagern, Radtouren oder durch das ansonsten privilegierte Segelfliegen und Reiten wurde das Interesse der jungen Menschen geweckt. Daneben gehörten Sammelaktionen für das Winterhilfswerk sowie mühsame Ernteeinsätze in der Landwirtschaft
zu den unumgänglichen Pflichten in der Hitler-Jugend. Der HJ schloss sich ab 1935 für männliche Jugendliche der halbjährige Reichsarbeitsdienst (RAD) an. Ursprünglich diente er der Bewältigung der Arbeitslosigkeit, ab 1936 aber vornehmlich der vormilitärischen Erziehung und körperlichen Ertüchtigung. Das „Heranzüchten kerngesunder Körper“ und die sogenannte Volksgesundheit waren Leitbilder der Nationalsozialisten sowie Bestandteile ihrer Rassentheorien. Körperliche Ausbildung und Körperkult wurden in NS-Organisationen, Schulen und den rund 43.000 ab 1934 im Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (DRL) gleichgeschalteten Sportvereinen umgesetzt.
Pädagogisch korrekt waren die 1936 anwesenden Lehrer Lehmkuhl und Michels, die trotz rigider Umsetzung der Lehrpläne die notwendige Nähe zur Schülererreichung und das pädagogische Maß an Toleranz mitbrachten. Das war eine Gratwanderung, denn die klassischen nationalsozialistischen Themen verlangten eine Positionierung abseits von Menschlichkeit und Toleranz. Hier war zum einen der nationalsozialistische Körperkult eine Barriere auf den Weg zur Verständigung. Wohlwissend, dass das mit der Körperlichkeit eine facettenreiche Individualeigenschaft des Menschen ist, sahen sich auch die Scheidinger Pädagogen in der Körperkulturistik vor einem Dilemma, da eben nicht alle Schüer die notwendige physische Belastbarkeit an den Tag legten. Im Sportunterricht konnten die Lehrer aber
noch gut kaschieren. Gerade Lehrer Michels ließ sich einiges einfallen, um nicht die Unterschiede zwischen den Deutschen derart zu veranschaulichen, dass daraus möglicherweise Ausgrenzungstendenzen hätten sich entwickeln können. Schwieriger war es da schon mit der Rassenlehre als nationalsozialistisches Steckenpferd. Die Nationalsozialisten verfolgten eine radikale Rassenlehre. Hinter dieser steckte die Annahme, die in Deutschland lebenden Menschen gehörten verschiedenen Rassen an, veranschaulicht auf Rassetafeln. Die Nazis unterschieden hierbei zwei Rassen: die Arier und die Juden. Die Arier erklärten sie zum menschlichen Ideal und zur Herrschaft über die anderen Rassen bestimmt. Ihre Qualität sahen die Nazis jedoch durch unvorteilhafte Einflüsse gefährdet. Dazu zählten ihrer Meinung nach vor allem die Juden. Der Bevölkerung verkauften sie diese Idee als eine endgültige, wissenschaftliche Wahrheit, auch als Pseudowissenschaft abgestempelt. Die Nationalsozialisten leiteten ihre Rassenlehre aus zwei Pseudowissenschaften ab: der Rassentheorie und der Rassenhygiene. Beide entwickelten sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Aus der Rassentheorie übernahmen die Nazis die Vorstellung, die Menschheit ließe sich in verschiedene Rassen einteilen. Sie setzten jedoch den Begriff der Rasse mit dem des Volkes gleich. Das deutsche Volk erklärten sie zu einem Vertreter der sogenannten arischen Rasse. In der Rassentheorie galt diese als vollkommen: Als Urrasse sei sie allen anderen Rassen überlegen und daher zum Herrschen über diese bestimmt. Der Rassenhygiene entlehnten die Nazis die Idee der sogenannten Rassenpflege. Dahinter steckte die Auffassung, die arische Rasse müsse ihre Reinheit und Qualität erhalten. Nur so könne sich die Menschheit zu Höherem entwickeln. Es war klar, dass die mit dem notwendigen Maß an Menschlichkeit ausgestatteten Pädagogen wie Michels in Scheidingen – diese Charakterisierung gilt übrigens auch allgemein und andernorts – hier im Zugzwang waren. Nach Zeitzeugenaussagen wurde mancher Unfug aus dieser Pseudowissenschaft süffisant im Nebensatz ohne Betonung erwähnt … eben für das vorschriftsmäßige Protokoll. Nicht zwingend eine standfeste Form des passiven Widerstandes, aber dieser Unterrichtsstil von Esser oder Michels war in Scheidingen nicht verpönt. Auch die ikonische Heranführung an die Euthanasie gehört zur schwarzen Pädagogik auf deutschem Boden, denn bei solchen „Arierdiagrammen“ aus den „Arierprogrammen“ wie dem Qualitativen Bevölkerungsabstieg… war die blanc de chaux des homo necans in der nationalsozialistischen Sinfonie nicht mehr zu verniedlichen.
Die Juden stellten für die Nazis den Hauptfeind der arischen Rasse dar. Sie erklärten diese zu einer eigenen Rasse und unterstellten ihr, einen schädlichen Einfluss auf die Qualität der arischen Rasse zu haben. Daher müsse sie vernichtet werden. Für die Nazis galt es zuerst, auch das deutsche Volk von einer angeblichen Bedrohung durch die Juden zu überzeugen. Dazu betrieben sie eine gezielte Propaganda. Diese war von einer radikalen Gegenüberstellung geprägt: Auf der einen Seite stand der Arier. Für die Nazis war er der Prototyp der arischen Rasse und das Idealbild. Sie beschrieben ihn als blond, blauäugig, tatkräftig und treu. Im Standardwerk „Das Buch vom Mann“, verfasst von Dr. Hermann Paull, konnte auch im Schulunterricht das Idealbild des Ariers nachgelesen werden. Als sein bedrohliches Gegenbild entwarfen sie den Juden. Er war nach Ansicht der Nazis all das, was der Arier nicht war: dunkelhaarig, dunkle Augen, faul und hinterlistig. Zahlreiche Propagandaplakate lebten von dem Gedankenkonstrukt „Arier gegen Jude“. Die Nationalsozialisten verteilten unter anderem Faltblätter, auf denen sie zwölf Gebote zur Rassenreinhaltung auflisteten. Eines davon hieß: „Halte das deutsche Blut rein.“ Durch die Gebote sollte die nationalsozialistische Rassenlehre einen religiösen Status erreichen. Auch im Schulunterricht propagierten die Nazis ihr jüdisches Feindbild. In jeder Schule gab es einen sogenannten Rasseatlas. Dieser enthielt 30 großformatige Bildtafeln mit bildlichen Gegenüberstellungen von Ariern und Juden. Darunter standen Sätze wie „Aus diesem Gesicht spricht die Seele der Rasse.“ Am Ende der Schulzeit sollte jeder Schüler glauben, die Juden stellten eine Bedrohung für das deutsche Volk dar. Wie weit die nationalsozialistische Schallplatte die Köpfe der Heranwachsenden zum Musizieren anregte, zeigt ein Schülerbrief an das Hetzpamphlet Der Stürmer:
„Lieber Stürmer!
Gauleiter Streicher hat uns so viel von den Juden erzählt, daß wir sie ganz gehörig hassen. Wir haben in der Schule einen Aufsatz geschrieben unter dem Titel: „Die Juden sind unser Unglück“. Ich möchte bitten, meinen Aufsatz in Abdruck zu bringen. Die Juden sind unser Unglück. Leider sagen heute noch viele: „Die Juden sind auch Geschöpfe Gottes. Darum müßt Ihr sie auch achten.“ Wir aber sagen: „Ungeziefer sind auch Tiere, und trotzdem vernichten wir es.“ Der Jude ist ein Mischling. Er hat Erbanlagen von Ariern, Asiaten, Negern und Mongolen. Bei einem Mischling herrscht das Böse vor. Das einzige Gute, das er hat, ist die weiße Farbe. Ein Sprichwort der Bewohner der Südseeinseln lautet: „Der Weiße ist von Gott, und der Schwarze ist von Gott. Der Mischling aber ist vom Teufel.“ Jesus sagte einmal zu ihnen: „Ihr habt zum Vater nicht Gott, sondern den Teufel.“
Die Juden haben ein böses Gesetzbuch. Das ist der Talmud. Auch sehen die Juden in uns das Tier und behandeln uns danach. Geld und Gut nehmen sie uns mit aller List weg. Auch schon am Hofe Karls des Franken regierten Juden. Deshalb wurde das römische Recht eingeführt. Dieses paßte aber nicht für den deutschen Bauern: es war aber auch kein Gesetz für den römischen Ackerbürger, sondern es war ein jüdisches Händlergesetz. Sicherlich sind die Juden auch Schuld an dem Mord Karls des Franken. In Gelsenkirchen hat der Jude Grüneberg Aas an uns verkauft. Das darf er nach seinem Gesetzbuch. Aufstände haben die Juden angezettelt und zum Krieg haben sie gehetzt. Rußland haben sie ins Elend geführt. In Deutschland gaben sie der KPD Geld und bezahlten die Mordbuben. Wir standen am Rande des Grabes. Da kam Adolf Hitler. Jetzt sind die Juden im Auslande und hetzen gegen uns. Aber wir lassen uns nicht beirren und folgen dem Führer. Wir kaufen nichts beim Juden. Jeder Pfennig, den wir Ihnen geben, tötet einen unserer Angehörigen. Heil Hitler!“[1]
Auch die schulischen Traditionen – und so wurde es in Scheidingen umgesetzt – zeigten eine tiefe Verwurzelung mit dem Regime, denn es gab ein besonderes Zeremoniel von 1939 – 1944 zu Ferienbeginn und -ende in den Werler Volksschulen und bei der Oberschule für Jungen. An diesen Tagen traten Lehrer und Schüler geschlossen auf den Schulhöfen an, um nach einem Dreifachen „Sieg Heil“ das Deutschlandlied und das Horst- Wessel –Lied zu singen. Während der ganzen Zeit musste die rechte Hand zum Gruß gehoben werden. Die Cantate des Horst Wessels hatte sich aber 1945 zum musikalischen Totemrequiem gemausert, so dass nach der Kapitulation am 8. Mai 1945 der nationalsozialistische Geist aus den Schulen – zumindest offiziell – verbannt wurde.
Die Ära Fräulein Beine neigte sich dem Ende entgegen. Verstärkt setzten die Zuständigen im Regierungsbezirk Arnsberg auf neue Lehrerinnen, u. a. Elisabeth Ostenkötter, Maria Höller oder Elisabeth Rosenthal. Von den genannten Lehrkräften kann für Ostenkötter die Personalkarte zur Ansicht, so dass sich der Leser ein Bild machen kann von den Amtsblättern im Zweiten Wilhelminischen Reich und in der Weimarer Republik. Diese Personalien zeigen auch, dass die Lehrerbesetzungen nicht mehr männerlastig waren, sondern auf Ausgleich geachtet wurde. Ohnehin waren gewisse Organisationen bei Mädchen nur von Frauenhand bestimmt und gestattet. Immerhin wurden 1896 50 Mädchen geführt in der Schuljahresliste. Der überwiegende Teil war katholischer Konfession, aber auch zwei Mädchen mit jüdischem Glauben waren in der Mädchenklasse geführt. Die Religion war immer noch die Institution, obwohl eigentlich seit Bismarck die Trennung von Staat und Kirche das religiöse Primat auch in der Bildung zurückdrängte. Discite iustitiam moniti et non temnere divos blieb eben in den Köpfen.
Pfarrer Moenikes stellte offiziell 1897 einen Antrag auf Vertretung für das Fräulein Beine, die mit einer Magenkrankheit ausfiel. Ob die Scheidinger Schüler aufatmeten oder nicht unglücklich waren, kann heute nicht mehr ermittelt werden, aber mens sana in corpore sano. Fräulein Beine hatte schon seit geraumer Zeit körperliche Gebrechen, und der Geist passt sich dem physischen Defizit nun einmal an, denn abyssus abyssum invocat. Nun muss aber Einhalt geboten werden, da fama crescit eundo. Fräulein Beine war eine integre Person, die mit Leib und Seele den Scheidinger Schulbetrieb unterstützte. Und auch die Schüler hatten in ihrer Anwesenheit Zurückhaltung und Respekt, so wie auf dem mitgelieferten Klassenbild ersichtlich. Kurios, aber schon in Wilhelminischer Zeit gab es ohne Nachvollziehbarkeiten Unterschiede in der Lehrerbesoldung. Fräulein Beine erhielt als Grundgehalt 1150 Mark, mit Zulagen wurden es 1770 Mark, wohingegen Lehrer Ammermann auf 2200 Mark kam, hier allerdings die Vergütungen aus seiner Küstertätigkeit eingerechnet (Stand 1897). Beide gingen aber professionell mit dieser Angelegenheit um, da der Kampf gegen die geschlechterabhängige Bezahlung noch keine unangenehmen Auswüchse in Suffragettenton annahm wie mancherorts danach zu beobachten war. Beide stellten sich gerne für Bildmotive mit den Schülern zur Verfügung
vor dem Schulhaus, wie auf dem nebenstehenden Bild von 1900. Das Schulhaus war auch für Postkartenmotive gern genommen und auch ein Beleg dafür, dass der Schulhausbau zu Beginn der neunziger Jahre eine gelungene Sache darstellte, zumindest für damalige Verhältnisse ein bildlicher Werbeträger. Schule und Kirche als symbiotische Einheit, und die Postkarte verrät über das Meinungsbild der Scheidinger mehr, als möglicherweise im kanzelparagraphenverseuchten Reich nach außen dringen sollte. Aber es gilt auch bei der Postkarteninterpretation das quot homines, tot sententiae als zulässiger Grundsatz, also keine Überinterpretation.
Gerne zeigte sich Lehrer Ammermann auch mit „seinen Jungen“ mit dem Schulgebäude als Panorama, wie hier 1902 mit den Jahrgängen 1895-1897. Zu dieser Zeit musste sich Lehrer Ammermann schon mit einer Lehrerin namens Lisette Hennes aus Messinghausen verständigen, die seit dem 1. Januar 1902 in Scheidingen tätig war. Bekannt ist nur, dass sie stets mit Vehemenz ihre Überstunden ausbezahlt haben wollte, denn suum cuique. Einen sehr guten Überblick zum Ist-Zustand der zweiklassigen Volksschule in Scheidingen geben die nachfolgenden Amtsblätter vom 24. Mai 1911:
Lehrer Ammermann hatte – die Gründe sind nicht überliefert – offenbar seine Küsterverpflichtungen mit „konstanter Oberflächlichkeit“ versehen in den Vorkriegsjahren. Zumindest müssen sich Beschwerden und defizitäre Offensichtlichkeiten gehäuft haben, denn am 27. April 1913 gab es einen unmissverständlichen Tenor in der Sitzung des Kirchenvorstandes, wovon ein Auszug aus dem dazugehörigen Protokoll Auskunft gibt:
„(…) Am Schluße bemerkt der Kirchenvorstand noch, daß er sich in keiner Weise von persönlicher Abneigung gegen Herrn Lehrer Ammermann in dieser Sache habe leiten lassen, daß er vielmehr voll und ganz der persönlichen Ansicht sei, daß Herr Lehrer Ammermann die Reinigung der Wäsche besorgen müsse, wie auch die ganze Gemeinde derselben Meinung ist. Auch erlaubt der Kirchenvorstand Herrn Ammermann besser zu kennen, als das Hoch.-Generals – Vikariat denselben hat kennen lernen können. Wie er es jetzt mit der Kirchwäsche gemacht hat, so hat er es mit so vielen anderen Dingen als Küster und Organist versucht, so daß unser jetziger Pastor ihn einmal gründlich seine Phlichten klar machen mußte. Er konnte dem nicht um hin klein beizugeben, wie er aber den Herrn Pastor verfolgt und verleumdet hat, das weiß die ganze Gemeinde. Und so hat er es allen Geistlichen hier gemacht, die ihn mal an seine Pflicht erinnerten. Und so sieht ihn die ganze Gemeinde sowohl als Lehrer als auch als Küster lieber heute als morgen ziehen. Er hat sich durch sein Tun und Treiben um alle Achtung gebracht. Das ist voll und ganz die Wahrheit. Daher wünschen den Teile aus der Gemeinde ein Vorgehen bei der königlichen Regierung auf. Lehrer Ammermann hat es unserem Herrn Pastor zu verdanken, wenn es noch nicht geschehen ist, aber geschehen wird, das können wir nicht sagen. Auf Ersuchen des Vorsitzenden erklären die Mitglieder des Kirchenvorstandes, sich jeder persönlichen Rache zu begeben und so zu handeln, wie sie als Christen handeln müssen. (…)“
Foschepoth
Busemann
Linnemann
Berz
gesehen:
Büdenbender
Die Sache war heikel. Ammermann hatte im Pastor Büdenbender einen Fürsprecher, aber zwischen dem Schul- und dem Kirchenvorstand musste er diplomatische Drahtseilaktionen realisieren, um die Kirchengemeinde nicht zu spalten. Im September 1915 – jetzt schon mit den Kriegswirren als emotionale Last – ging Büdenbender in den „Erholungsurlaub“, um nicht die „Einladungen“ [Anmerkung der Verfasserin: „Vorladungen“ trifft besser auf die Situation zu] des Schulvorstandes umsetzen zu müssen, empfahl aber – der Dringlichkeit Rechnung getragen – der zuständigen Kirchenbehörde die Trennung von Küsterei und Lehrerstelle. Im Oktober 1915 lehnte der Schulvorstand jedoch ab. Es ist gut möglich, dass Lehrer Ammermann durch persönliche Schicksalsschläge aus der „Küsterbahn“ geworfen wurde, denn u. a. am 2. März 1915 erlag sein Sohn Joseph den Kriegsverwundungen. Die untenstehende Auflistung enthält den Scheidinger Ammermann.
Die Kriegserlebnisse hatten konkrete Auswirkungen auf den Schulalltag, und Scheidingen stand dem in nichts nach. Die 158 Kinder, die im August 1914 in Scheidingen zur Schule gingen, litten im Ersten Weltkrieg, wie andernorts auch. Die Tatsache, dass ihre Väter an die Front gingen und die Mütter gezwungen waren, sich Verdienstmöglichkeiten zu suchen, brachte ihr Leben völlig durcheinander. Den Müttern ist der Krieg nun einmal ein Dorn im Auge, dieser Ausspruch galt nicht nur für die Mütter, sondern auch für die Kinder. Auch ihr normaler Alltag in der Schule sah plötzlich ganz anders aus als zuvor. In den Klassenzimmern wurden Landkarten aufgehängt, an denen man mittels kleiner eingesteckter Fähnchen den Verlauf der Front erkennen konnte. Für ältere Schüler bestand die Gefahr, an die Front zu kommen. Diese Tatsachen ließen die anfängliche Kriegsbegeisterung nach und nach schwinden. Der Krieg schlich sich in den normalen Unterricht ein. Schüler der unteren Klassen übten wie die Soldaten. Kinder arbeiteten auf den Feldern als Erntehelfer oder wurden zu einfachen Arbeiten herangezogen. Gab es wieder einen Sieg an der Front, dann jubelten alle und die Kinder
erhielten „siegfrei“. Das klingt vielleicht ganz gut, doch so war auf Dauer kein richtiger Unterricht möglich. Und schon bald nach den ersten Siegen im Jahr 1914 gab es auch nicht mehr so viel zu feiern. Sehnlichst sprachen die Menschen mit nulla salus bello, pacem to poscimus omes den Vergil die Worte nach mit nach Möglichkeit sofortiger Umsetzung. Die Unterrichtsmaterialien waren jedoch noch auf den Burgfrieden zum Zwecke des Endsieges programmiert, aber die pädagogische Wertigkeit blieb überschaubar. Es war ein schlechtes Beispiel für eine Instrumentalisierung, da der Zwiespalt zwischen Lernort und Gefühlslage im Privathaushalt bei den Kindern in der Regel vergrößert wurde. Dieser le crime pédagogique gehört nicht zu den Sternstunden in der Wissensvermittlung, zeigte aber die enge Verknüpfung von Schule und Staat.
Auch das Scheidinger Lehrerpersonalkarussell drehte sich verdächtig in den Kriegswirren. Seit Januar 1916 vertrat Angela Podemski Lehrerin Henns, die im Juli 1916 in Rente ging. Lehrerin Podemski wurde aber im Dezember 1916 auf eigenem Wunsch hin versetzt. Und die neue Lehrerin Ostenkötter (siehe Personalbogen zu Beginn) trat im Januar 1917 den Dienst nicht an wegen einer „Lungenkrankheit“. Darüber hinaus gab es von Pfarrer Büdenbender Einspruch hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Lehrerwahl. Was die genauen Hintergründe waren, blieb offiziell verborgen, aber Lehrer Ammermann muss eine Schlüsselrolle eingenommen haben. Vielleicht hatte es mit seinem nahen familiären Dienstjubiläum zu tun, denn am 14. Januar 1918 konnte die Familie Ammermann auf eine einhundertjährige Lehrertradition in Scheidingen zurückblicken.
Da Ostenkötter immer noch abwesend war, trug der pädagogische Haudegen die alleinige Verantwortung und beantragte für diese Mehrarbeit im Februar 1918 eine Vergütung. Lehrerin Ostenkötter hingegen verabschiedete sich 1918 etwas unrühmlich mit fadenscheinigen Diskussionen über die Neuvermietung ihrer Dienstwohnung, die nicht möbliert sei. Die Gemeindeverwaltung lehnte ab. Offensichtlich waren es Stellvertreterkriege für eine personelle Nichtpassung in Scheidingen. Die Maßnahmen zu Beginn der Weimarer Republik zeigten schon am Horizont das Ende einer pädagogischen Ära, denn am 26. September 1921 gingen mit Wilhelm Ammermann eine Institution und die zugehörige Familiendynastie in den Ruhestand. Das kaiserliche Relikt wurde mit honoris et honestatis verabschiedet. Bis dahin zog man sich peu á peu die Lehrer nach Scheidingen, die das Denkmal Ammermann würdig beerben sollten, wie Lehrerin Böhmer aus Rünthe im Oktober 1918 oder Lehrerin Fräulein Heimes im Januar 1919. Die Jungenklasse von 1919 mit
denn kleinen Scheidinger Urgesteinen war die Abschlussklasse des pädagogischen Dinosauriers, die ihn aber – trotz aller Lebhaftigkeit und schwieriger Disziplin im Unterrichtsalltag – beherzt verabschiedete. Auch die unendliche Litanei mit der Küsterei wurde mit dieser Personalie ad acta gelegt. Im August 1919 wurde die Symbiose aus Küsteramt und Lehramt beendet. Der Kirchen- und der Schulvorstand verständigten sich dahingehend. 1921 erhielt das Schulhaus elektrisches Licht, und die dritte Lehrerstelle wurde eingerichtet. Als ob man nur auf den Abgang gewartet hätte, aber nach der Pensionierung von Ammermann erfolgte erst einmal eine kreisärztliche Besichtigung der Volksschule in Scheidingen durch Kreismedizinalrat Dr. Wildenrath im November 1921. Vielleicht war dieser Erneuerungsmarathon insgesamt notwendig geworden, denn nach einer intensiven Schulinspektion im Herbst 1921 stellte man zahlreiche Mängel fest, die man nicht offen mit der Verabschiedung des dann doch altgedienten Pädagogen ansprechen wollte in seiner Nähe:
Der bautechnische Status quo listete feuchte Keller auf. Auch Teile der Lehrerwohnung waren feucht, und Dachrinnen defekt. Der Eingang zur Lehrerwohnung – vom Schulflur aus betrachtet – war ebenfalls renovierungsbedürftig.
Die Klassenzimmer bedurften eines neuen Farbanstriches. Die Malermeister waren also dringend anzuheuern. Wenigstens die Fußböden waren dicht.
Die Sitzbänke und deren Höhenunterschiede waren gänzlich unmodern, schlichtweg ohne zweite Meinung ein Kandidat für die Müllabfuhr. Auch die schon erwähnten Spucknäpfe fehlten. Aus heutiger Sicht zum Schmunzeln geneigt, war dieser abortus sputo ein hygienischer Frontalangriff auf die Ausbreitung zahlreicher Krankheiten. Exemplarisch hier einmal ein Auszug aus dem Maßnahmenkatalog gegen die Weiterverbreitung der Schwindsucht:
„Um zu verhüten, dass der Auswurf hustender Kinder dem Schulstaub beigemengt wird, ist in jedem Schulgebäude auf den Gängen, in den Schulzimmern und auf den Aborten eine genügende Zahl von Spucknäpfen aufzustellen oder anzubringen. Dieselben müssen aus festem, nicht zerbrechlichem Metall, aus emailliertem Eisen oder Bronze gefertigt sein und dürfen weder Sand noch Asche, Sägemehl noch sonstige trockene Bindemittel enthalten, müssen vielmehr beständig mit etwas Wasser versehen sein, um das Austrocknen des Auswurfs zu vermeiden. (…) Es ist die Pflicht der Lehrer, öfter hustende Kinder besonders zu beachten und dieselben in schonender Weise zu der regelmäßigen Benutzung der Spucknäpfe anzuhalten, das Ausspucken auf den Fußboden aber durch allgemeines Verbot strenge zu untersagen.“
Die Garderoben waren defekt oder „hingen in den Seilen“. Ein Turn- und Spielplatz waren praktisch nicht existent. Die Turngeräte gehörten in das Museum oder generalüberholt.
Die Abortanlagen spiegelten den allgemeinen Zustand wider der Scheidinger Schule. Es ließ einfach nur zu wünschen übrig. Die Urinale hatten keine Schamwände.
Die Trinkwasseranlage stand ganz besonders im Zentrum der Kritik bei den Mitgliedern der Besichtigungsunternehmung. Das Wasser war von trüber Natur; keine Becher und die zu große Nähe zur Schulwand und zur Abortbehausung erregten die Gemüter. Auch die Unabgeschlossenheit der Pumpenrohrreparatur veranlasste die Kommission zur Kritikäußerung.
Das Fazit war eindeutig. Der Zustand der Scheidinger Schule war mangelhaft. Und der dort jahrzehntelang tätige Ammermann hatte entweder durch Vernachlässigung oder durch eine irgendwie verursachte Blockade den unmodernen und renovierungsresistenten Platzhirsch leider dann mit Hingabe zelebriert. Aber auch hier mahlten die Mühlen langsam, denn die ungenügende Sportausstattung wurde erst im Juni 1923 behoben, als Scheidingen ein Reck und einen Turnbarren ausgehändigt bekamen. Das Denkmal namens Ammermann ließ natürlich nicht lange auf sich warten und „konterte“ im November 1922 hinsichtlich des Brunnens mit einem Regierungserlass aus dem Jahr 1878. Wir schauen uns einmal den genauen Inhalt an, um zur Gedankenwelt des Ammermann ein understanding bauen zu können:
„Auf jeden Schulhof ist ein Brunnen mit Pumpe und angeketteten Trinkgefäße in der gehörigen Entfernung von den Abtritten einzulegen. Bei Aufstellung der Pumpe ist Rücksicht auf den dort wohnenden Lehrer zu nehmen das dieser möglichst bequem die benutzen kann. Das Schöpfen der Kinder aus dem Geschirr ist auch aus gesundheitlichen Gründen unerlaubt, weil Krankheiten verbreitet werden können.“
Von jeher [Anmerkung der Verfasserin: Also, seit seinem Dienstantritt!] – so Ammermann – hätte man das Wasser auch für den Haushalt und Landwirtschaft im Küstereigebäude und zum Verbrauch der Kirche aus dem Schulbrunnen später aus der Pumpe entnommen. Auch die Unterbringung der Pumpe auf den Schulflur wäre bei Störung unzweckmäßig gewesen und hätte nur zu Unannehmlichkeiten und Streitereien geführt. Da lag Ammermann nicht falsch, aber den Status quo der Besichtigungskommission konnte auch er nicht in Abrede stellen oder verniedlichen. Am Neste kann man sehen, was für ein Vogel darin wohnt, und so kann man auch das Erbe des Herrn Ammermann interpretieren. Unabhängig von dieser unpersönlichen dommage monument, es regte sich etwas an der Scheidinger Schule: ein Schulreiniger wurde engagiert, der Schulgarten bekam einen Zaun, der Gemeinderat bewilligte noch im Kalenderjahr 1922 einen Ergänzungszuschuss für die Schule oder der neue Lehrer Ricke bekam einen Ofen und einen Herd. Warum Lehrer Ammermann nach wie vor in der offiziellen Lehrerwohnung logierte und seinen oisiveté freien Lauf zuließ, blieb wohl sein Dienstgeheimnis. Irgendwie konnte oder wollte er sich nicht von „seiner“ Parzelle trennen. Behördlicherseits schreckte man offenbar vor einer Beschlagnahmung der Lehrerwohnung zurück, die Zurückhaltung zeigte immer noch den Einfluss der Autorität des alten wilhelminischen Lehrers. Psychologisch interpretiert kann die
Trennung vom alten Kaiserreich auf den unteren Verwaltungsebenen als nicht geglückt angesehen werden im Umgang mit Dienern des alten Systems. Aber, der Blick war nun nach vorn gerichtet, und die Jahrgänge 1921 bis 1925 standen nicht mehr unter den Fittichen der Ammermanns.
Das Jahr 1840 war eine Zäsur in der Scheidinger Schulgeschichte. Erstmals trat die jüdische Gemeinde mit der Bitte zur Einstellung des jüdischen Lehrers Jakob Scharf an die Schulobrigkeit. 27 jüdische Einwohner und 6 schulpflichtige Kinder waren nicht das ausschlaggebende Moment, aber zeigten trotz der umfänglichen Reichsrechte für Juden im Deutschen Bund den seltenen Stellenwert hinsichtlich dieser Schulpersonalie. Auch die Vormärzdekade zeichnete sich in der Scheidinger Schulhistorie aus durch die Auflistung von mehr oder weniger interessanten Ereignissen, die aber den klassischen Schulalltag mit seinen typischen Eigenarten widerspiegelte:
Am 13. Februar 1840 nahm der Pfarrer Kook die Prüfungen mit Zufriedenheit ab. Auch lagen keine nennenswerten Versäumnisse vor. Belegt ist auch ein Schaden am Schuldach, verursacht durch einen Sturm. Und die Information ist hinterlegt, dass der Vorsteher die Reparatur zu organisieren hätte. Weiteres ist nicht aus der Chronik zu entnehmen.
Im Mai 1840 gab es ebenfalls keine Beanstandungen bezüglich der Prüfungsergebnisse, aber Lehrer Ammermann wurde angehalten, den zu dieser Zeit merklichen Fehlzeitenstand zu melden und Sanktionierungen durch die Eltern zu veranlassen. Im September des gleichen Jahres war nur erwähnenswert, dass Rechentafeln angeschafft werden mussten, wofür auch der Lehrer – nach Absegnung durch die Schuloberen – Sorge zu tragen hätte.
Im Jahr 1841 wird ein Mann namens Jacob Schiff als Praktikant an der Scheidinger Schule geführt, offiziell war er als Hauslehrer der Familie Nordheim angestellt. Diese Personalie ist nur deshalb ungewöhnlich, weil dieser Lehrer Schiff noch im 18. Lebensjahr war. Die pädagogische Ausbildung – wenn diese Begrifflichkeit überhaupt so formuliert werden darf – konnte selbst bei gutem Willen nicht heutige Maßstäbe erreichen. Weiteres ist zu Lehrer Schiff nicht notiert.
Die steigenden Schülerzahlen 1841 veranlassten die Schuloberen, neben Lehrer Ammermann einen Hilfslehrer einzustellen. Das war zunächst nicht als Zäsur einzustufen, nur dass es sich dabei um den eigenen Sohn handelte mit Namen Clemens Ammermann, und beide Lehrer unterrichteten gemeinsam bis 1847 in einem Schulzimmer; eine durch räumliche Not gezwungenermaßen neuzeitliche Form des Teamteachings. Erstmals wird das Lehrerjahresgehalt aufgeführt mit 75 Talern, finanziert über das Schulgeld der Kinder in Höhe von 18 Silbergroschen und 6 Pfennigen und Beträgen aus der Armenkasse. Es wurde ebenfalls eine Wohnung zur Verfügung gestellt.
Die Prüfungsjahreseinträge 1841 (4. Februar, 2. Juni und 27. Oktober) geben gänzlich Auskunft über gute Prüfungsergebnisse und problemfreie Fehlzeiten der Schüler. Das Problem mit den aus dem Vorjahr aufgeführten Rechentafeln muss jedoch noch nicht gelöst worden sein, da man Lehrer Ammermann anregte für die Beschaffung Sorge zu tragen.
Die Schülerzahl wird 1841 mit 170 geführt, und Clemens Ammermann, bis dato Hilfslehrer an der Scheidinger Schule, geht im Juli 1841 erfolgreich vom Bürener Lehrerseminar ab. Bedingt durch die hohe Schülerzahl erfolgt eine Vergrößerung des Schulzimmers. Auch ein zweiter Heizofen ist Aussicht gestellt.
Die Lehrerstellen waren auch zu der Zeit offiziell ausgeschrieben, und der nachfolgende Auszug aus den Amtsblättern der Regierung Minden gibt einen Einblick in die damaligen Bewerbungsszenarien der Seminarabgänger, also durchaus Parallelen zu heutigen Lehrereinstellungsverfahren:
Abbildung 1: Lehrereinstellungsverfahren
Die Prüfung im Februar 1842 war ohne Beanstandung, und die Schulversäumnisse lagen in einem akzeptablen Bereich. Der zweite Ofen – 1841 in Aussicht gestellt – war nun angeschafft und aufgestellt (im August 1842
erfolgte die neue Schornsteinlegung). Auch die Schulutensilien waren in der Ausstattung zufriedenstellend (u. a. eine Schullandkarte des Kreises Soest). Übrigens, Clemens Ammermann unterrichtete bereits eine Schulklasse in Eigenregie. Die Schaffung neuer Lehrerstellen war dringend geraten bei amtlich 213 Schülern (Stand: Februar 1848).
Kurz vor Weihnachten 1842 wurde eine Schulinspektion durchgeführt unter Führung des Landrates Bockum-Dollfs. Er bemängelte, dass der Schulvorstand 1842 nicht einmal die obligatorische Schulvisitation vornahm. Außerdem kam der Landrat vorbereitet zur Inspektion, denn er bemerkte die Abwesenheit von 6 Mädchen und 14 Jungen. Und die Abwesenheitslisten standen ebenfalls zur Disposition, denn die ordnungsgemäße Führung war seit dem Herbst 1842 von mangelhafter Natur. Dieses Ereignis verdeutlichte die Problematik im Scheidinger Schulalltag, denn der Landrat kam nicht ohne Grund mit dieser grundsätzlich negativen Einstellung zur Inspektion.
Im März 1843 erfolgten wiederum Prüfungen, wobei die Kopfrechenleistungen positiv herausragten. Und lediglich Caspar Hagedorn aus Illingen hatte nennenswerte Schulversäumnisse. Auch die Einführung einer Schulsteuer wurde verhindert, da das Schulgeld als sach- und zweckgebundene Abgabe ausreichend erschien.
Die Maiprüfungen 1843 müssen noch erfolgreicher gewesen sein, denn neben Kopfrechnen waren auch die Deutschleistungen und das Lesen erfolgreich im Abschluss. Der Illinger Hagedorn, noch im März als wuchtiger Absenter verschrien, konnte nachträglich seine Fehlzeiten legitimieren durch ein ärztliches Attest. Lehrer Ammermann hatte aber bereits mit den zu der Zeit schulpflichtig gewordenen Kindern seine größten Probleme, denn weder die Eltern noch die Kinder hatten eine ausgeprägte Neigung zur Schulpflicht. Ende Mai 1843 besuchten offiziell 157 Kinder die Scheidinger Schule.
Die August- und Novemberprüfungen 1843 verliefen ohne Beanstandungen, und die Versäumnisse hatten keine strafbaren Dimensionen erreicht. Einzelnen Kindern attestierte man jedoch ein Nervenleiden. Ob diese „nervlichen Belastungen“ im Zusammenhang mit den Prüfungen standen, konnte nicht geschlussfolgert werden, war aber zumindest aktenvermerkwürdig. Das jährliche Lehrerjahresgehalt von 75 Talern wurde vom Schulgeld der Kinder finanziert, das des Hilfslehrers aus der örtlichen Schulkasse.
Ob in der Scheidinger Schulordnung verankert oder als direkte Sofortmaßnahme für die Schulversäumnisse, die Einnahmen aus dieser Ordnungswidrigkeit betrugen 1844 7 Groschen und 6 Pfennige. Pfarrer Kook nahm ohne nachträgliche Kritiknahme die Prüfungen ab im Februar 1844. Einem Salinenbaumeister namens Wegener gab man den Auftrag, Reparaturarbeiten an der Scheidinger Küsterei durchzuführen. Im April 1844 wurde der Antrag auf Einführung der Sonntagsschule abgelehnt. Ob es eine organisatorische Notwendigkeit zur Kompensation der Schulversäumnisse sein sollte, war aus den Überlieferungen nicht zu deuten, aber der Sonntag war dann doch trotz möglicher Nachvollziehbarkeiten nicht in seiner Funktion als arbeitsfreier Wochentag im katholisch geprägten Scheidingen eine feste Institution.
Die Prüfungstermine im August und November 1844 verliefen ohne nennenswerte Beanstandungen. Am 8. November 1844 wurden die Ortsvorsteher von Scheidingen und Illingen, Vickermann und Ostermann, zu ständigen Mitgliedern des Schulvorstandes ernannt.
Im Kalenderjahr 1845 wurden 9 schulpflichtige Kinder gezählt, und die Prüfungssitzungen im Juni und August wurden ohne größere Beanstandungen durch den Pfarrer Kook abgenommen. Dem Polizeidiener wurde lediglich angeraten, die Eltern einiger schulsäumiger Kinder aufzusuchen als pädagogische
Erziehungsmaßnahme. Dass das mit den pädagogischen Erziehungsmaßnahmen auch kritisch gesehen werden konnte, zeigt die nebenstehende Abbildung aus dem Schulalltag einer – und Scheidingen stand dem in nichts nach – beliebigen Dorfschule. Die Theorie kann auch vertreten werden, dass die Fehlzeiten in Scheidingen durch solche oder ähnliche Lehrer ursächlich waren, denn die Prügel war immer schon ein demotivierendes, zur Flucht neigendes Element. Ende August kam der Schulvorstand überein, die Ferien vom 6. September bis zum 20. Oktober anzusetzen, um notwendige Umbaumaßnahmen zur Schulbauerweiterung durchzuführen. Pfarrer Kook erklärte sich hinsichtlich des Baulandes bereit, Teile seines Gartengeländes abtreten zu wollen nach vorheriger Genehmigung durch das Generalvikariat. Jährlich 4 Taler Mietentschädigung wurden dafür vom Schulvorstand als angemessen veranschlagt. In den Herbstferien hatte der schon erwähnte Salinenbaumeister seine Bautätigkeiten an der Küsterei durchgeführt. Die Prüfungsperiode im November 1845 verlief ohne besondere Vorkommnisse. Die Anmerkung, wonach strafbare Schulversäumnisse eingereicht werden sollten, lässt nach wie vor der Vermutung freien Lauf, dass die Umsetzung der Schulpflicht in der Scheidinger Schule ein konstantes, unterschwelliges Defizit bildete.
Im Februar 1846 gab es keine Beanstandungen der Prüflinge, und die Genehmigung hinsichtlich der Abtretung einer Parzelle des Kirchengartens wurde durch die zuständige Behörde gegeben. Im Juni 1846 gab man erneut die vorbildliche Führung der Fehlzeitenliste bekannt, und die Herbstferien wurden für den Zeitraum vom 7. September 1846 bis zum 19. Oktober 1846 festgelegt. Seit 1846 war auch ein Pfarrer Wernig namentlich erwähnt. Ob als reguläre Vertretung oder in Abkommandierung für den Prüfungsausschuss, war im Kalenderjahr 1846 bei dieser Personalie nicht zu erkennen. Am 13. August 1846 gab es offenbar wieder eine Durchsicht der Fehlzeitenliste. Entweder waren die Schulbehörden im 19. Jahrhundert völlig fixiert auf die Einsicht in die Fehlzeitenlisten oder – und das ist naheliegend – Scheidingen hatte schlichtweg ein Problem mit den Versäumnissen. Dieser Umstand kann nur aus der geringen Verankerung für die Schulpflicht innerhalb der Dorfbevölkerung erklärt werden, da jahrzehntelange Epidemie- und Erkältungswellen mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden konnten, weil nicht existent. Die schon erwähnte Prügelstrafe muss – der Multiperspektivität einfach geschuldet – noch als Erklärungsmodell herhalten, aber einen signifikanten Zusammenhang gäbe es nicht, da allerorts die Prügelstrafe zum pädagogischen Repertoire gehörte. Im November 1846 konnten die Schulvorstandsmitglieder die Einweihung des Schulneubaus in Augenschein nehmen, allerdings ohne Bezugsfertigkeit für den Unterrichtsbetrieb. Bis zur Nutzung sollten als Überbrückung die Unter- und die
Oberklasse zu verschiedenen Zeiten im alten Klassenraum unterrichtet werden. Übrigens, der nicht mehr zeitgemäße Spucknapf gehörte auch in Scheidingen zur Standardausrüstung eines Klassenzimmers, da noch bis in das 20. Jahrhundert hinein die medizinische Laiensicht dominierte, wonach das Speichelschlucken ungesund wäre. Anekdoten zu diesem Spuckabort sind nicht überliefert, aber es war zumindest hygienischer als das typische Bodenbeschießen mit dem Speichel.
In den Jahren 1847 bis 1850 gab es keine weiteren Auffälligkeiten oder besonderen Vorkommnisse, und Lehrer Ammermann und Pfarrer Werning leiteten den Scheidinger Schulstandort nach bestem Wissen und Gewissen. Schulvisitationen, Fehlzeitenlisten und Prüfungen bestimmten den gängigen Schulalltag. Lediglich eine Bemerkung aus dem Jahr 1848 zeigte deutlich auf, dass die Pfarrinstitution im Schulalltag stark verankert war, da der Pfarrer vom Lehrer eine Erklärung verlangte für einen eigenmächtigen Unterrichtsabbruch. Die Unterrichtsmaterialien wurden immer bebildeter. Offenbar war – in heutiger Zeit als ikonische Darstellungsebene bezeichnet – dieser Zugang zur Wissensvermittlung stark verbreitet; zeitlos besonders in unteren Jahrgängen kann diese Inanspruchnahme immer befruchtend sein, da abstrakte Zugänge belastend sein können und zu Schulverweigerungen führen. Die Abbildungen geben einen Einblick in damalige Unterrichtswerke, wie sie in Scheidingen sicher auch oder in ähnlicher Form Verwendung fanden.
Abbildung 5: ABC – und Lesebuch
1850/51 gab es lediglich zwei Bemerkungen mit erwähnungswürdigem Charakter. Zum einen wurde am 29. August 1850 vermerkt, dass die Eltern hinsichtlich der Erntehelfertätigkeiten ihrer Kinder nicht wegen vieler Schulversäumnisse zur Rechenschaft herangezogen werden sollten und zum anderen eine Bemerkung vom 11. Dezember 1851 wonach, der Schulhof mit Steinschlag oder Sand ausgelegt werden sollte.
1852 waren der Bürgermeister Franz Wilhelm Fickermann und der Pfarrer Werning als ständige Mitglieder des Schulvorstandes mit der Suche nach zeitlich befristeten Bestellungen von Schulvorstandmitgliedern beschäftigt. Geeignete Kandidaten waren in Scheidingen und Illingen (Quotenregelung) gefunden (Landwirte Sauer und Menze) oder wurden bestätigt (Landwirt Gerwin) und nahmen die Wahl an, wobei die zeitliche Befristung auf maximal vier Jahre festgelegt wurde. Quartalsvisitationen, Reparaturarbeiten und die leidlichen Absenzen prägten ansonsten – oder wie üblich – den Schulalltag.
Die fünfziger Jahre waren geprägt durch die Umsetzung königlicher Erlasse und organisatorischer Verpflichtungen seitens des Schulvorstandes[1] (Einführung neuer Schulbücher 1853, Umbau des Schulzimmers 1855 oder Einbindung der weiblichen Handarbeit in den Fächerkanon 1858). Lediglich die Personalie Wilhelm Ammermann ragte aus der Eintönigkeit eines standardisierten Schulalltages heraus, denn zunächst bewilligte man ihm 1856 eine Gehaltserhöhung in Anbetracht verteuerter Lebensmittel, finanziert aus der Schulkasse in Höhe von 15 Talern und zeitlich nicht viel später 1858 vom zuständigen Kreisgericht verurteilt zur Strafzahlung von 35 Talern, ersatzweise auch 14 Tage verschärfte Arrestierung wegen Regierungsdienerbeleidigung. Dieser Hilfslehrer hatte offenbar ein vielschichtiges Gemüt.
Die sechziger Jahre waren durch eine institutionelle Personalie Ammermann geprägt. 1863 feierte Adolf Ammermann fünfzigjähriges Jubiläum, und zu Beginn des Kalenderjahres 1863 beantragte Franz Wilhelm Ammermann die Beendigung seiner Hilfslehrertätigkeit, gültig ab den Herbstferien desselben Jahres.
Franz Wilhelm Ammermann starb allerding nur wenige Tage nach seiner
Ankündigung.
Cui honorem, honorem, aber auch die Familie Ammermann konnte die natürlichen Dinge nicht ändern, denn contra vim mortis non est medicamen in hortis. Adolf Ammermann verstarb schon 1866 mit 70 Jahren. Das bedeutete aber nicht
das Ende der Lehrerdynastie Ammermann, da im November 1867 bei 100 Talern Grundgehalt ein Wilhelm Ammermann als 1. Lehrer in der Scheidinger Schule angestellt wurde (siehe Porträt) und zu Beginn von einem Lehramtsanwärter namens Wilhelm Osthoff unterstützt wurde. Er war recht ambitioniert, denn schon wenige Monate später konnte er unter Mitwirkung und Vormundschaft des Pfarrers Müller für einen Schweinestall mit angrenzender Backstube werben…eine Form des praktischen Lernens.
1868 gab es eine weitere Zäsur in der Scheidinger Schullandschaft. Fräulein Ferdinande Beine, eine überaus attraktive und gesellige Frau, wurde im Februar 1868 mit der zweiten Lehrerstelle versehen zum Zeitpunkt der Errichtung einer Mädchenschule vor Ort. Vermutlich titulierten Zeitgenossen sie nicht abwegig und etwas despektierlich mit Fräulein, wie aus einem untenstehenden Zeitungsartikel der Streitbericht im November 1868 herauszulesen war. Difficile est saturam non scribere, jedoch muss man konsternieren, dass dieses pädagogische Fräulein nach den Aussagen mancher Zeitgenossen den Dienst mit Ehrgeiz und Hingabe absolvierte und als „Tante Lehrerin“ in die Scheidinger Dorfchronik einging. Aber Herr Lohmann aus dem Zeitungsbericht hatte sicher auch so seine Argumente bei diesem Tantenwunder. Der Leser möge hierzu selbstverantwortlich Stellung nehmen.
Fräulein Beine war sich auch nicht zu schade, 1875 beide Klassen selbstlos zu
übernehmen, als Lehrer Wilhelm Ammermann in jenem Jahr verstarb.Dessen Sohn, Franz Wilhelm Ammermann – Ackermann genannt – trat zu Beginn des Jahres 1877 seinen Dienst in Scheidingen an. Die Lehrerdynastie hatte ihren Fortbestand gesichert. Passable Leistungen konnte Ackermann vorweisen, wie nachfolgendes Zeugnis zum Ausdruck bringt, wobei Deutsch und Geschichte nicht seine Stärken widerspiegelten. Er war wohl eher der naturwissenschaftlich-mathematische orientierte Turner.
Und Ackermann hatte sicher keine Probleme mit Kindern, denn neben seiner beruflichen Tätigkeit war er voll und ganz ausgelastet mit seinen zahlreichen eigenen Kindern, von denen er 8 hatte mit seiner Frau, einer geborenen Vickermann. Ackermann und Fräulein Beine hatten Mitte der achtziger Jahre mehr als 200 Kindern zu versorgen. Es war nur naheliegend, dass eine dritte Lehrkraft den laufenden Unterrichtsbetrieb unterstützen musste. Hierfür wurde Elisabeth Hollenbeck aus Westernkotten zeitlich befristet eingestellt, und 1888 erfolgte mit Gertrud Liese die Einstellung der festen Lehrkraft, für beide Lehrerinnen in den beiliegenden Personalblättern dokumentiert.
Ende der achtziger Jahre wurde dem zuständigen Gremium aufgegeben, eine Schule für drei Klassen mit separater Lehrerwohnung in Scheidingen zu errichten. Die Maßnahme nahm bis 1892 Zeit in Anspruch, da der dafür notwendige Baulanderwerb zeitweise stockte und die konkreten Baumaßnahmen mehr Zeit in Anspruch nahmen durch Ergänzungen/Umänderungen. Endgültig konnten die Schuloberen dann 1891 vom Ackerer Wilhelm Schulte, von einigen Dorfbewohnern Euler genannt, Bauland erwerben (2,5 preußische Ruten für etwas mehr als 1300 Mark). Außerdem erfolgte ein Schulneubau in der Gemeinde Illingen. Der Schulverband Scheidingen/Illingen wurde aufgelöst. Als Entschädigung oder pädagogische Mitgift erhielt der neue Scheidinger Schulverband ein Fünftel des Schulvermögens (in Relation zu den Schülerzahlen). Am 8. Februar 1892 erfolgte dort die Neueinweihung mit dem Lehrer Adolf Stolle. Die Grundsteinlegung der Scheidinger Schule erfolgte im November 1891.
Offiziell wurde die Scheidinger Schule seit April 1892 mit drei Klassen, über 150 Schülern und zwei Lehrkräften geführt. Fräulein Beine selbst musste seit Sommer 1892 wegen Krankheit vertreten werden; Lehrerin Elfriede Granteier aus Hörde vertrat sie. [1] In der Schulvorstandssitzung vom 11. Mai 1854 wurde zum Beispiel vermerkt, dass keine größeren Beanstandungen bei den durchgeführten Schulvisitationen zu beobachten waren, die Schulversäumnisse keine bedenklichen Dimensionen erreichten, der königliche Erlass vom 27. Januar 1854 und die Landratsverfügung Vom 9.2.1854 No 480 bindend wären hinsichtlich der angesetzten Schulvisitationen. Auch die Abnahme der Schulkostenrechnung für 1853 und die Terminierung der Herbstferien gehörten zu den Tagungspunkten.
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.