Archiv für den Monat: November 2015

2. Wo nimmt Heinrich eigentlich Platz in der Finkenherdlegende?

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Voglermotiv der Grünsandsteinstatue Kunstsammlung des Regensburger Museums St. Ulrich

Bisher läuft alles wenig legendär, vielmehr zum historischen Kern der Königswahl passend und wenig widersprüchlich ergänzend. So wie das untenstehende Voglermotiv der Grünsandsteinstatue aus dem Spätmittelalter in der Kunstsammlung des Regensburger Museums St. Ulrich[1] einen festen Standort hat, so unklar ist der Aufenthaltsort des Sachsenherzogs im Vorfeld der Königskrönung in Fritzlar im Mai 919. Ich stimme bedenkenlos Julius Mosen zu, der schon 1836 in seinem historischen Schauspiel Sachsen als Vogelstandort lokalisiert ( „Ich denk´ an meinen Vogelherd in Sachsen.“[2] ).

Jetzt beginnen aber die Schwierigkeiten. Was ist eigentlich mit Dinklar („…auf seinem Hofe Dinklar des Winters Rauhigkeit meidend…“) in den Pöhlder Annalen? Die Entfernung vom Hof Dinklar zum  eigentlichen Jagdgebiet (vom Solling in Richtung Harz) ist zu groß für eine stundenweise Lieblingsbeschäftigung des Auceps. Hellmut Diwald äußert das schon in seiner Heinrichbiographie, und mein Eindruck in den Sommerferien 2014 in Dinklar vor Ort gibt da auch Anlass zum Zweifel.[3] In der Literatur hält sich dieser Ort nicht lange, denn schon im Lohengrin am Ende des 13. Jahrhunderts lässt sich eine scherzhafte Interpretation herauslesen.[4] Hinzu kommt, dass Bernward von Hildesheim Dinklar nicht für notierungswürdig hält, und dieser Bischof ist Zeitzeuge der letzten Liudolfinger. Dinklar verdanken wir es zumindest, dass wir unseren Finkler haben.[5] Nicht ohne Grund erscheint Dinklar in späterer Zeit nicht mehr. Gut möglich, dass in den Pöhlder Annalen ein eigentlich für den adligen Status unpassender Zeitvertreib namens Vogeljagd eine Ausschmückung erhält, um dem 1180 entmachteten Löwen aus Braunschweig einen besseren Leumund auszustellen gegenüber Barbarossa: Bodenhaftung, Bezug zur Basis, tiefe Verwurzelung mit dem Fahnenlehen im Sachsenland und Traditionspflege bis zur Geburtsstunde des Deutschen Reiches.

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Vogelherd in Quedlinburg
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Eingang zum Vogelherd in Quedlinburg

Quedlinburg steht nicht besser da, obwohl schon eher mit dem Vogelherdstandort in Verbindung gebracht. Die Harzstadt aus Sachsen-Anhalt lässt daher auch verständlich den touristischen Magneten nicht außen vor. Quedlinburg selbst wird dem Namen nach 922 erstmals erwähnt ( „…;actum in villa quae dicitur Quitilingaburg; in dei nomine feliciter amen.“[6] ).  Zugegeben, die namentliche Ersterwähnung ist verlockend für den Standort, kann aber als Dinklarersatz betrachtet werden, da Quedlinburg im Mittelalter nicht in Verbindung steht zum Vogelherd. Möglicherweise sind die Anmerkungen des Sigebert von Gembloux ( „Mons, ubi postea rex Henricus sepultus est, flammas multis in locis evomebat.“[7] ) später willkommener Bestandteil in Sammlungen zu Harzsagen, und damit gibt es eine ausschmückende Verwurzelung mit dem Vogelherdstandort, obwohl der Tod Heinrichs 936 hier Ausgangspunkt ist:

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In der Stiftskirche Quedlinburg
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Quedlinburg Stiftskirche Krypta

Nach dieser Zeit, ungefehr A. 928 hat Kaiser Henrich das Stifft und die Stadt zu bauen angefangen, welche er aber nicht ausführen können, da er A. 936 zu Memmleben an der Unstrut gestorben, und allhie zu Quedlinburg in S. Petri oder Servatii Kirche begraben worden, und schreibt der Mönch Sigebertus, daß der Bild20Berg, worauf er begraben worden, hernach von allen Seiten feurige Flammen von sich gegeben, darum auch seine Witwe Mathildis nach seinem Tode nicht nur viel arme Leute speisen, sondern auch den Vögeln unter dem Himmel täglich ihr Futter geben lassen, vermeynend, ihm dadurch desto leichter die Vergebung seiner Sünde zu wege zu bringen;…[8]

Wir wissen es nicht, und die Quedlinburger besitzen seit der frühen Neuzeit eben gekonnte Strategien bei der Fokussierung und Vermarktung des Vogelherdstandortes…die passenden Zeiträume abgepasst zum Auffüllen des Vakuums nach dem Wegfall des ersterwähnten Dinklar. Auffallend jedoch, dass bei meinen Standortbesuchen ein klares Bekenntnis stets fehlt.

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Ob ein Buchladenbesitzer am Finkenherd inQuedlinburg, Einheimische ohne Kenntnis von der Vogelherdlegende in Dinklar oder Anwesende am Burgwall König Heinrichs Vogelherd auf dem Pfalzgelände der Wallburg Pöhlde. Der Grundtenor ist immer identisch: „Der Sage nach…“, „Keine Bestätigung, dass…“ oder „Die Ausgrabungsergebnisse zeigen so nicht…“ sind Aussagen, die letztlich die unsichere Quellenlage zur spätkarolingischen Epoche auf sächsischem Boden dokumentieren. Manche Regionalliteratur der letzten Jahre verneint sogar den eigenen Standort.[9] Archäologisch ist in der Tat nur die Wallburg Pöhlde interessant, da die dortigen Fundstücke bei den jeweiligen Ausgrabungen in das Frühmittelalter hineindatiert werden können…Art und Umfang des liudolfischen Herrschaftsbesitzes sind daraus nicht zu schließen, geschweige denn Aufenthaltsorte der sächsischen Herzöge. Standortbetrachtungen bleiben so ein historischer Segen und archäologischer Fluch, eine nicht unschwierige Argumentationsbasis für den nun folgenden Standortkandidaten aus der Scheidinger Gemarkung im Westfalenland.

                                                              Fortsetzung folgt…

[1] Vgl. hierzu Diwald, Hellmut, Heinrich der Erste, Bergisch Gladbach 1987, Bildmotive zwischen den Seiten 290 und 291.

[2] Vgl. hierzu Mosen, Julius, Heinrich der Finkler, König der Deutschen: ein historisches Schauspiel in fünf Acten, Leipzig 1836, S. 129.

[3] Vgl. hierzu Diwald, Helmut (Anmerkung 13), S. 289. In den Sommerferien 2014 gab es eine Bildungsreise zu den bekanntesten Vogelherdstandorten im alten Sachsenland. Neben Dinklar zählten auch Pöhlde und Quedlinburg dazu. In den entsprechenden Passagen der Arbeit werden die Erfahrungseindrücke thematisiert.

[4] Vgl. hierzu Rückert, Heinrich, Lohengrin, Zum Erstenmale kritisch herausgegeben und mit kritischen Anmerkungen versehen, Quedlinburg und Leipzig 1858, S. 85.

[5]Vgl. hierzu Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.), Vita Bernwardi episcopi Hildesheimensis auctore Thangmaro, in Scriptores (in Folio) 4: Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici, Hannover 1841, S. 754–782 und Nachrichten von der Georg-Augusts-Universität und der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Göttingen 1856, S. 103.

[6] Vgl. hierzu Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde (Hrsg.),, in: (Anmerkung 12), S. 42.

[7] Sigeberti Gemblacensis chronica cum continuationibus. in: Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.): Scriptores (in Folio) 6: Chronica et annales aevi Salici. Hannover 1844, S. 347.

[8] Vgl. hierzu Pröhle, Heinrich, Unterharzische Sagen, Wernigerode 1855, S. 18.

[9] Vgl. hierzu Eisold, Norbert und Kühn, Peter, Quedlinburg, Rostock 2002, S. 7.

1. Verbürgtes zur Vogelherdlegende

Erstmals findet die Vogelherdlegende eine literarische Erwähnung in den Jahrbüchern von Pöhlde aus dem 12. Jahrhundert, in denen der Sachsenherzog Heinrich passenderweise den Beinamen „der Vogler“ davonträgt.

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Jahrbücher von Pöhlde

Schauen wir uns diesen literarischen Ausgangspunkt näher an[1]:

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Karl der Große

Dass die Liudolfinger in der karolingischen Tradition stehen, geht nicht nur aus der Namensnennung Karls [des Großen][2] und dem Thron zu Aachen hervor, sondern findet auch in der Jagdbetätigung Heinrichs seinen Ausdruck. Karolinger und die in ihrem Erbe stehenden Liudolfinger sind begeisterte Jäger, Heinrich sagt man sogar eine gewisse Obsession bei der Wilderlegung nach ( „In venatione tam acerrimus erat, ut…“ ).[3]

Heinrichs Wesen ist von schlichtem und einfachem Gemüt, sein Standesdünkel gering ausgeprägt, mit dem Beinamen „der Vogler“ charakterisiert man Heinrich treffend, denn die Vogeljagd ist zu dieser Zeit den niederen Ständen vorbehalten, und die in den Pöhlder Annalen erwähnten Knaben gehören dazu. Ob es sich bei den „lustigen Knaben“ tatsächlich um seine eigenen Söhne Thankmar und Otto handelt, wissen wir nicht mehr, scheint nach den Worten Eike von Repgows in der sächsischen Weltchronik aber nicht ganz ausgeschlossen zu sein ( „…Dit is Heinric de Vogelere geheten, wande he to Vinkelere ward vunden, do he van den vorsten gekoren ward; do vogelede he mit sinen kinden.“ ).[4] Unabhängig von Anzahl oder Verwandtschaftsgrad der genannten Kinder passt es zum Vogler mit Familiensinn und zur standesunabhängigen Bodenhaftung, ein elitärer Herzog ist Heinrich nicht. Treffend für die Nachwelt, wenn auch mit persönlicher Note behaftet im Krönungsjahr 919, die Aussagen der Dichterin Roswitha von Gandersheim aus dem 10. Jahrhundert in den Gesta Oddonis:

Ad claram gentem Saxonum, nomen habentem

A saxo per duriciam mentis bene firmam,

Filius Oddonis magni ducis et venerandi,

Scilicet Henricus, suscepit regia primus

Fausto pro populo moderamine sceptra gerenda.[5]

Es ist ein bekannter Wesenszug, und der Vogler ist vor Aufsetzen der Pöhlder Annalen schon bekannt und wenig erklärungsbedürftig, denn um 1150 gibt es schon in der Reichschronik vom Annalista Saxo ohne Notwendigkeit einer  Beinamenbeschreibung den „ Auceps “…eben den Vogelfänger ( „Ita Heinricus, cognomento Auceps, communi…[6] ). In einigen Abwandlungen zur Vogelherdlegende gibt es sogar ein „Entschuldigungsmoment für den Vogler“, ein Indiz, dass die Vogelherdtätigkeit vor Ort bei Ankunft der Abordnung tatsächlich ausgeführt wird, und die Ehefrau Mathilde versucht noch die „Lage zu retten“ ohne Verlust der Auctoritas.[7]

Die Abordnung („…wurde er von den Fürsten gefunden…“) zum Sachsenherzog Heinrich, um den Liudolfinger die Königskrone anzubieten, darf hingegen als belegt  angesehen werden, obwohl der Wert der schriftlichen Belege zur Ereignisgeschichte des beginnenden 10. Jahrhunderts kritisiert werden kann. Die wesentlichen Autoren der erzählenden Quellen zu dieser spätostfränkischen Epoche wie Widukind von Corvey ( „Ut ergo rex imperarat, Evurhardus adiit Heinricum seque cum omnibus thesauris illi tradidit,…“[8] ), Adalbert von Magdeburg ( „Sed et Heinricum Saxonum ducem, filium Ottonis, virum strennuum…“[9] ) oder Liutprand von Cremona im liber antapodeseos ( „Heinricum, Saxonum et Turingiorum ducem prudentissimum, regem eligite, dominum constituite.“[10] ) berichten von dieser Gesandtschaft zum Sachsenherzog Heinrich um die Jahreswende 918/919. Die Voglerlegende enthält auch in der Abordnung ein verbürgtes Element, das sich aber trotz der zeitlichen Nähe zum Ereignis einer berechtigten Quellenkritik unterziehen muss.

Der „Historiograph“ Widukind, der „Hofgünstling“ Adalbert oder der „Memoirenschreiber“ Liutprand haben mit ihrer auffallenden (und nachvollziehbaren!) Nähe zum sächsischen Herrscherhaus sicher Schwächen bei der sachgerechten Auflistung einer Ereignisgeschichte mit ausgewogener Bewertung. Die Sprachkultur des 10. Jahrhunderts, in der das gesprochene Wort dem Wort in Schrift überlegen ist, begünstigt natürlich auch Veränderungen in der mündlichen Überlieferung. Die tatsächlichen Abläufe können mit dieser Gedächtniskultur für die Nachwelt schon nach wenigen Jahren durchaus verändert schriftlich abgefasst sein. Das ist nicht ausgeschlossen, bedeutet aber keine automatische Entwertung der ottonischen Geschichtsschreibung. Eine Erfindungsgeschichte kann nicht nach Belieben produziert werden für die nachfolgenden Generationen, zumal bei der Entstehung der Sachsengeschichte von Widukind noch Zeitzeugen aus der Ära des Sachsenherzogs leben und damit den Herbeidichtungen ottonischer Historiographie natürliche Grenzen gesetzt sind im Personenverbandsstaat.[11] Das ist Segen und Fluch zugleich für die Standortfrage nach dem Vogelherd. Der geringe Bestand an dokumentarischen Quellen lässt eine Rekonstruktion der Aufenthaltsorte im Winter 918/919 nach aktueller Quellenlage nicht zu. Die für diese Zeit maßgebliche Sickelsche Edition[12] der Urkundensammlung kann in einer ohnehin an schriftlichen Quellen armen Zeitepoche indirekte Rückschlüsse über Itenerarkarten nicht liefern. Dazu und zu den Standortbetrachtungen aber mehr in den nächsten Kapiteln.

                                                                                    Fortsetzung folgt…

[1] Vgl. hierzu Winkelmann, Eduard, Die Jahrbücher von Pöhlde, Berlin 1863, S. 10.

[2] Anmerkung der Verfasserin der Arbeit zur Identifizierung des Personennamens. Übrigens kann auch in der bekannten Ballade „Heinrich der Vogler“ von Johann Nepomuk Vogl aus dem Jahre 1835 mit `Hoch lebe Kaiser Heinrich!´ ein Bezug zum karolingischen Erbe nachgelesen werden. Die Ballade aus der Wiener Spätromantik bildet aber nicht den Ausgangspunkt der Arbeit, da die Verklärung und Theatralik von Werken aus dieser Zeit epochentypisch von stärkerer Natur sind. Vgl. zum Balladentext Vogl, Johann Nepomuk, Balladen und Romanzen, Wien 1835, S. 1-2.

[3] Vgl. hierzu Fenske, Lutz, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter, Aspekte ihres Verhältnisses, in: Rösener, Werner (Hrsg.), Jagd und höfische Kultur im Mittelalter, Göttingen 1997, S. 90 und Hirsch, Paulus (Hrsg.), Widukindi monachi corbeiensis, rerum gestarum saxonicarum libri tres, Hannover 1935, S. 58f.

[4] Vgl. hierzu Weiland, Ludwig (Hrsg.), Sächsische Weltchronik, Hannover 1877, S. 160.

[5] Vgl. hierzu Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.), Hrotsuithae Gesta Oddonis, in Scriptores (in Folio) 4: Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici, Hannover 1841, S. 319.

[6] Vgl. hierzu Pertz, Georg Heinrich u. a.  (Hrsg.), Annalista Saxo, in Scriptores (in Folio) 6: Chronica et annales aevi Salici, Hannover 1844, S. 594.

[7] Vgl. hierzu Fried, Johannes, Kaiser Friedrich II. als Jäger, in Rösener, Werner (Anmerkung 3), S. 149.

[8] Vgl. hierzu Bauer, Albert und Rau, Reinhold, Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, in: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe Band VIII,  Darmstadt 1971, S. 56.

[9] Ebd. , S. 192.

[10] Ebd. , S. 314.

[11]Vgl. zu den grundlegenden Problemen der oralen Kultur des 10. Jahrhunderts die Standardausführungen von Giese, Wolfgang, Heinrich I. Begründer der ottonischen Herrschaft, Darmstadt 2008, S.11ff. und zur Geschichtskontroverse über die Wertigkeit der Quellen Fried, Johannes, Die Königserhebung Heinrichs I. Erinnerung, Mündlichkeit und Traditionsbildung im 10. Jahrhundert, in: Borgolte, Michael (Hrsg.), Mittelalterforschung nach der Wende, München 1995, S. 273ff. und Althoff, Gerd, Geschichtsschreibung in einer oralen Gesellschaft. Das Beispiel des 10. Jahrhunderts, in: Althoff, Gerd, Inszenierte Herrschaft, Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 108ff. Die im Vorfeld erwähnte Roswitha von Gandersheim ist selbstverständlich in diese Quellenkritik einzubeziehen.

[12]Vgl. hierzu Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde (Hrsg.), Band 1:Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I., Hannover 1879-1884, S. 39-79.