2. Wo nimmt Heinrich eigentlich Platz in der Finkenherdlegende?

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Voglermotiv der Grünsandsteinstatue Kunstsammlung des Regensburger Museums St. Ulrich

Bisher läuft alles wenig legendär, vielmehr zum historischen Kern der Königswahl passend und wenig widersprüchlich ergänzend. So wie das untenstehende Voglermotiv der Grünsandsteinstatue aus dem Spätmittelalter in der Kunstsammlung des Regensburger Museums St. Ulrich[1] einen festen Standort hat, so unklar ist der Aufenthaltsort des Sachsenherzogs im Vorfeld der Königskrönung in Fritzlar im Mai 919. Ich stimme bedenkenlos Julius Mosen zu, der schon 1836 in seinem historischen Schauspiel Sachsen als Vogelstandort lokalisiert ( „Ich denk´ an meinen Vogelherd in Sachsen.“[2] ).

Jetzt beginnen aber die Schwierigkeiten. Was ist eigentlich mit Dinklar („…auf seinem Hofe Dinklar des Winters Rauhigkeit meidend…“) in den Pöhlder Annalen? Die Entfernung vom Hof Dinklar zum  eigentlichen Jagdgebiet (vom Solling in Richtung Harz) ist zu groß für eine stundenweise Lieblingsbeschäftigung des Auceps. Hellmut Diwald äußert das schon in seiner Heinrichbiographie, und mein Eindruck in den Sommerferien 2014 in Dinklar vor Ort gibt da auch Anlass zum Zweifel.[3] In der Literatur hält sich dieser Ort nicht lange, denn schon im Lohengrin am Ende des 13. Jahrhunderts lässt sich eine scherzhafte Interpretation herauslesen.[4] Hinzu kommt, dass Bernward von Hildesheim Dinklar nicht für notierungswürdig hält, und dieser Bischof ist Zeitzeuge der letzten Liudolfinger. Dinklar verdanken wir es zumindest, dass wir unseren Finkler haben.[5] Nicht ohne Grund erscheint Dinklar in späterer Zeit nicht mehr. Gut möglich, dass in den Pöhlder Annalen ein eigentlich für den adligen Status unpassender Zeitvertreib namens Vogeljagd eine Ausschmückung erhält, um dem 1180 entmachteten Löwen aus Braunschweig einen besseren Leumund auszustellen gegenüber Barbarossa: Bodenhaftung, Bezug zur Basis, tiefe Verwurzelung mit dem Fahnenlehen im Sachsenland und Traditionspflege bis zur Geburtsstunde des Deutschen Reiches.

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Vogelherd in Quedlinburg
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Eingang zum Vogelherd in Quedlinburg

Quedlinburg steht nicht besser da, obwohl schon eher mit dem Vogelherdstandort in Verbindung gebracht. Die Harzstadt aus Sachsen-Anhalt lässt daher auch verständlich den touristischen Magneten nicht außen vor. Quedlinburg selbst wird dem Namen nach 922 erstmals erwähnt ( „…;actum in villa quae dicitur Quitilingaburg; in dei nomine feliciter amen.“[6] ).  Zugegeben, die namentliche Ersterwähnung ist verlockend für den Standort, kann aber als Dinklarersatz betrachtet werden, da Quedlinburg im Mittelalter nicht in Verbindung steht zum Vogelherd. Möglicherweise sind die Anmerkungen des Sigebert von Gembloux ( „Mons, ubi postea rex Henricus sepultus est, flammas multis in locis evomebat.“[7] ) später willkommener Bestandteil in Sammlungen zu Harzsagen, und damit gibt es eine ausschmückende Verwurzelung mit dem Vogelherdstandort, obwohl der Tod Heinrichs 936 hier Ausgangspunkt ist:

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In der Stiftskirche Quedlinburg
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Quedlinburg Stiftskirche Krypta

Nach dieser Zeit, ungefehr A. 928 hat Kaiser Henrich das Stifft und die Stadt zu bauen angefangen, welche er aber nicht ausführen können, da er A. 936 zu Memmleben an der Unstrut gestorben, und allhie zu Quedlinburg in S. Petri oder Servatii Kirche begraben worden, und schreibt der Mönch Sigebertus, daß der Bild20Berg, worauf er begraben worden, hernach von allen Seiten feurige Flammen von sich gegeben, darum auch seine Witwe Mathildis nach seinem Tode nicht nur viel arme Leute speisen, sondern auch den Vögeln unter dem Himmel täglich ihr Futter geben lassen, vermeynend, ihm dadurch desto leichter die Vergebung seiner Sünde zu wege zu bringen;…[8]

Wir wissen es nicht, und die Quedlinburger besitzen seit der frühen Neuzeit eben gekonnte Strategien bei der Fokussierung und Vermarktung des Vogelherdstandortes…die passenden Zeiträume abgepasst zum Auffüllen des Vakuums nach dem Wegfall des ersterwähnten Dinklar. Auffallend jedoch, dass bei meinen Standortbesuchen ein klares Bekenntnis stets fehlt.

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Ob ein Buchladenbesitzer am Finkenherd inQuedlinburg, Einheimische ohne Kenntnis von der Vogelherdlegende in Dinklar oder Anwesende am Burgwall König Heinrichs Vogelherd auf dem Pfalzgelände der Wallburg Pöhlde. Der Grundtenor ist immer identisch: „Der Sage nach…“, „Keine Bestätigung, dass…“ oder „Die Ausgrabungsergebnisse zeigen so nicht…“ sind Aussagen, die letztlich die unsichere Quellenlage zur spätkarolingischen Epoche auf sächsischem Boden dokumentieren. Manche Regionalliteratur der letzten Jahre verneint sogar den eigenen Standort.[9] Archäologisch ist in der Tat nur die Wallburg Pöhlde interessant, da die dortigen Fundstücke bei den jeweiligen Ausgrabungen in das Frühmittelalter hineindatiert werden können…Art und Umfang des liudolfischen Herrschaftsbesitzes sind daraus nicht zu schließen, geschweige denn Aufenthaltsorte der sächsischen Herzöge. Standortbetrachtungen bleiben so ein historischer Segen und archäologischer Fluch, eine nicht unschwierige Argumentationsbasis für den nun folgenden Standortkandidaten aus der Scheidinger Gemarkung im Westfalenland.

                                                              Fortsetzung folgt…

[1] Vgl. hierzu Diwald, Hellmut, Heinrich der Erste, Bergisch Gladbach 1987, Bildmotive zwischen den Seiten 290 und 291.

[2] Vgl. hierzu Mosen, Julius, Heinrich der Finkler, König der Deutschen: ein historisches Schauspiel in fünf Acten, Leipzig 1836, S. 129.

[3] Vgl. hierzu Diwald, Helmut (Anmerkung 13), S. 289. In den Sommerferien 2014 gab es eine Bildungsreise zu den bekanntesten Vogelherdstandorten im alten Sachsenland. Neben Dinklar zählten auch Pöhlde und Quedlinburg dazu. In den entsprechenden Passagen der Arbeit werden die Erfahrungseindrücke thematisiert.

[4] Vgl. hierzu Rückert, Heinrich, Lohengrin, Zum Erstenmale kritisch herausgegeben und mit kritischen Anmerkungen versehen, Quedlinburg und Leipzig 1858, S. 85.

[5]Vgl. hierzu Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.), Vita Bernwardi episcopi Hildesheimensis auctore Thangmaro, in Scriptores (in Folio) 4: Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici, Hannover 1841, S. 754–782 und Nachrichten von der Georg-Augusts-Universität und der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Göttingen 1856, S. 103.

[6] Vgl. hierzu Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde (Hrsg.),, in: (Anmerkung 12), S. 42.

[7] Sigeberti Gemblacensis chronica cum continuationibus. in: Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.): Scriptores (in Folio) 6: Chronica et annales aevi Salici. Hannover 1844, S. 347.

[8] Vgl. hierzu Pröhle, Heinrich, Unterharzische Sagen, Wernigerode 1855, S. 18.

[9] Vgl. hierzu Eisold, Norbert und Kühn, Peter, Quedlinburg, Rostock 2002, S. 7.