Liberator Germaniae

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Entstehung und Rezeption des Hermannsdenkmals im Hinblick auf die deutsche nationale Frage

Inhaltsverzeichnis

Einleitung                                                         

Hauptteil                                                         

  • Mitte August 1875 … Einweihung mit Rückblenden
  • Hermann im Wilhelminischen Kaiserreich
  • Hermann in Weimar und bei den Nationalsozialisten

Schlussbetrachtungen                                       

Anhang                                                           

  • Abbildungsverzeichnis und verwendete Literatur

Einleitung

Seit 1875 ragt im Lippischen ein Denkmal über den Teutoburger Wald in Westfalen, das Jahr für Jahr Tausende von Besuchern anzieht. Es verkündet einen Meilenstein in der Deutschwerdung. Die rechtsrheinischen Germanenstämme unter Führung des Cheruskerfürsten Arminius konnten in einer mehrtägigen Schlacht im Jahre 9 unserer Zeit nicht nur die römischen Legionen unter dem Oberbefehl des Feldherrn Varus vernichtend schlagen, sondern sich auch der romanischen Sprachgruppe weitgehend entziehen. Die Hermannsschlacht war ein Symbol für die Abwehr feindlicher, hier römischer Truppen. Gerade im 19. Jahrhundert  konnte im Rahmen der nationalstaatlichen Euphorie die Geburtsstunde der Kulturnation mit Verehrung und Verklärung in Kunst und Kultur Einzug halten.

Der Bildhauer Ernst von Bandel setzte auf dem Teutberg bei Detmold dem Helden der Deutschen ein imposantes Landschaftsdenkmal. Ob mit dieser Standortwahl der historische Schlachtenort tatsächlich widergespiegelt wird, lässt sich bis heute nicht endgültig klären. Die vorliegende Hausarbeit will sich dem nicht verschreiben, sondern den Blick richten auf die Motivation zur Grundsteinlegung und den Bedeutungswandel in Grundzügen bis 1945 skizzieren. Ein Denkmal von überregionaler Bedeutung ist Spiegelbild einer Gesellschaft, zumindest in großen Teilen. Hermann wurde epochenübergreifend vereinnahmt. Die Kolossalstatue von der Grotenburg konnte demnach durch Transformation einen Zugang erhalten für den jeweils aktuellen Zeitgeist, und das war immer auch ein Stück Identitätsbildung und Nationalgeschichte.

Die nachfolgenden Aufzeichnungen thematisieren diese strapazierfähige Interpretationsplattform in Auszügen ohne ausländisches Presseecho[1] und die Kompatibilität des antiken Helden für das deutsche Nationalbewusstsein.

Hauptteil

  • Mitte August 1875 … Einweihung mit Rückblenden

Am 16. August 1875 blickte Joseph Ernst von Bandel auf das vor ihm stehende Hermannsdenkmal in der Grotenburg auf dem Teutberg bei Detmold im Teutoburger Wald. Nach siebenunddreißig langen Jahren stand das Ergebnis seines Geistes und seiner bildhauerischen Aktivitäten vor ihm als etwas mehr als 50 Meter hohe Kolossalstatue aus Sandstein und Kupferplatten, in romanischen und gotischen Stilelementen gehalten.  Die Arbeit an diesem Nationaldenkmal war aufopferungsvoll, von Unterbrechungen gekennzeichnet, in der Finanzierung oft schwierig, und nun stand der „Alte vom Berge“ auf dder Kaisertribüne Hand in Hand mit Kaiser Wilhelm I.[2] Sein Lebenswerk war vollendet, der Kaiser persönlich ehrte ihn und führte von Bandel an die Brüstung der Tribüne, akustisch begleitet von einem vielstimmigen Jubelorkan. Der Befreier Germaniens als Versinnbildlichung deutscher Kraft wurde daraufhin ganz offiziell dem deutschen Volk übergeben. Trotz aller gutgemeinten Ehrbekundungen, es war zu viel für den alten Künstler. Er musste zur Ruhe kommen, also war der Gang zu seiner altgedienten Waldhütte unvermeidlich:

Bandel wurde überschüttet mit Glückwünschen, so dass es ihm zu viel des Lärmes ward und er sich in sein verschlossenes Häuschen zurückzog.[3]

War es noch sein Hermann? Ja, denn aller Anfang nationaler Einheit lag im Teutoburger Wald. Die ersten skizzierten Gedankengänge stammten aus den Jahren nach den Befreiungskriegen gegen Napoleon. Das Symbol einer wiederkehrenden nationalen Einheit war zwar in Leipzig 1813 veranschaulicht, aber dieses etwas verklärende Symbol nahm seinen Anfang im Teutoburger Wald mit Hermann.  Bandels monumentales Denkmal bekannte sich zur freiheitlichen Ordnung und zur nationalen Einheit. Das restaurative Klima nach 1815 und die Metternichschen Repressionen spielten den Cheruskerfürsten Hermann den Vertretern des „Jungen Deutschlands“ in die Hände als Gallionsfigur eines demokratischen Grundgedankens. Unvermeidlich, blieb doch eben mit dieser liberalen Presse seine Baustelle in aller Munde. Heinrich Heine betätigte 1844 die literarische Werbetrommel im Wintermärchen:

„Das ist der Teutoburger Wald,

Den Tacitus beschrieben

Das ist der klassische Morast,

Wo Varus steckengeblieben.

 

Hier schlug ihn der Cheruskerfürst,

Der Hermann, der edle Recke;

Die deutsche Nationalität,

Sie siegte in diesem Drecke. […]

Gottlob! Der Hermann gewann die Schlacht,

Die Römer wurden vertrieben,

Varus mit seinen Legionen erlag,

Und wir sind Deutsche geblieben! […]

 

O Hermann, dir verdanken wir das!

Drum wird dir, wie sich gebühret,

Zu Detmold ein Denkmal gesetzt;

Hab selber subskribieret.“

Roth, Ursula (Hrsg.), Heinrich Heine, Deutschland: ein Wintermärchen, Stuttgart 1995, S. 82.

Bandel wollte sich dem auch nicht entziehen, und 1838 wurden die Grundsteinlegung und der Sockelaufbau durchgeführt. Auch 1841 konnte sich Bandel der demokratischen Sinnstiftung seiner Lebenswerkbaustelle sicher sein, indem der Festredner, Kanzleirat Petri, dem Hermann das Potenzial für die Völkerverständigung zusprach:

Das Denkmal wird fragen, ob die Nachfahren neben der Achtung fremder Sitte, fremden Rechtes, fremder Freiheit ungekränkt zu bewahren und zu schützen wissen die eigene Sitte, das eigene Recht, die eigene Freiheit.[4]

Geldmangel, Ärger mit dem Detmolder Förderverein und die wechselhaften politischen Ereignisse zerrten das Kräftereservoir des „Alten vom Berge“ auf. Im Argwohn blickte der greise Künstler zurück auf den jahrelangen Baustillstand am Teutberg oder die unzähligen Warteeinheiten in der hannoverschen Hermannswerkstatt. Treffend formulierte es 1867 nun ausgerechnet Karl Marx in einem Brief an Friedrich Engels in seiner Feststellung, dass „das Zeug ebenso langsam fertig werden würde wie Deutschland“.[5]

bErnst von Bandel konnte zufrieden sein an diesem 16. August 1875. Der Hermann war eine Identifikationsfigur für alle Bevölkerungsschichten. Hier gab es etwas für das Volk, und zu einem guten Stück wurde es auch vom Volk finanziert. Befürchtungen hinsichtlich eines Bedeutungswandels blieben aber auch Bandel nicht verborgen, als er wohlweislich schon 1874 an den damaligen Detmolder Bürgermeister Dr. Heldmann schrieb:

Ich schlage vor: in guter Jahreszeit – nicht an einem Tage irgendeines Sieges über Fremde, werde eine ganze oder halbe Woche festgesetzt als Zeit, in der das vollendete Denkmal dem Deutschen Volke übergeben werde, es möge es dann selbst übernehmen und die Übernahme durch selbstgewählte Handlungen beurkunden.[6]

  • Hermann im Wilhelminischen Kaiserreich

Der Geheime Justizrat Otto Preuß ließ in der Einweihungsrede bereits die Verlagerung hin zum Kriegerdenkmal mit antifranzösischer Ausrichtung erkennen:

In jubelnder Begeisterung hat zur Abwehr seines übermütigen Erbfeindes[7] das deutsche Volk wie ein Mann sich erhoben. Ein Heldengreis[8] unter seinen Fürsten, aus jenem Herrschergeschlechte, das stets, auch in trübster Zeit, das Banner der deutschen Ehre hochgehalten, hat die Wehrkraft des gesammten Vaterlandes aufgeboten, jugendmutig selbst sich an die Spitze gestellt, in beispiellosem Siegszuge durch des Feindes Land dessen Heeresmacht niedergeworfen, noch auf der Kampfesstätte, folgend dem einmütigen Rufe der deutschen Fürsten und freien Städte, unter dem Zujauchzen Alldeutschlands, die Kaiserkrone aufgesetzt[9] und dann, nach Wiedereinfügung einst schmählich uns entrissener Provinzen[10], ein Kaiserreich deutscher Nation wiederaufgerichtet, mächtiger und herrlicher, als je die Geschichte es gekannt hat.[11]

Die nationaldemokratische Grundausrichtung mit durchaus unpersönlichem Ermahnen an die französischen Befreiungskriege erhielt eine nationalpatriotische Begleitmusik mit den typischen Sprachnoten. Ernst von Bandel konnte sich jedoch nicht distanzieren von dieser antifranzösischen Ausrichtung, denn aus seinen Bildhauerhänden entsprangen in der letzten Bauphase eben jene aggressiven Untertöne, die dem völkerverbindenden Grundtenor bei der Grundsteinlegung widersprachen.

Blick und Schwertarm sind nach Westen gerichtet als wachsame Momente vor dem Erzfeind Frankreich, die Schwertinschrift „Deutsche Einigkeit meine Stärke. Meine Stärke Deutschlands Macht“ setzt den jungen Nationalstaat schlagkräftig in Szene und mit „Treufest“ als Schilderaufschrift wird symbolisch diese Interpretationsausrichtung verankert. Nachfolgende Nischensprüche des Denkmals in Auswahl bedürfen aber keiner Interpretation mehr, da sie den französischen Erbfeind in die Tradition der römischen Besatzer zu Zeiten des Cheruskersprößlings Arminius setzen:

Der lang getrennte Staemme vereint mit starker Hand,

Der welsche[12] Macht und Tücke siegreich überwandt,

Der längst verlorne Söhne heimführt zum Deutschen Reich,

Armin, dem Retter ist er gleich.

Am 17. Juli 1870 erklaerte Frankreichs Kaiser, Louis Napoleon, Preuszen Krieg, da erstunden alle mit Preuszen verbündeten deutschen Volksstaemme und züchtigten vom August 1870 bis Januar 1871 im[m]er siegreich franzoesischen Uibermuth unter Führung des Koenigs Wilhelm von Preuszen, den am 18. Januar Deutsches Volk zu seinem Kaiser erhob.

Arminius liberator haud dubie Germaniae et qui non primordia populi romani, sicut alii reges ducesque, sed florentissimum imperium lacessierit: proeliis ambiguus, bello non victus.

Ganz nebenbei, aber sicher auch nicht unwillkommen, ergab sich doch über den Nationalhelden Hermann die Möglichkeit zur Huldigung der kaiserlichen Monarchie. Diese „Hintertürpropaganda“ war der Preis, den Ernst von Bandel zu zahlen hatte. Es war gerade der „Kartätschenprinz“ Wilhelm[13], der nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 auch mit Privatvermögen den finanziellen Spielraum für die Endfertigung des Kupferplattenhelden auf dem Teutberg realisierte.

Der ausgrenzende und abwehrende Charakter machte in Zeiten des Kulturkampfes auch vor den „inneren Feinden“ der Kulturnation im Fürstenbund nicht Halt. So wie der Cherusker 9 unserer Zeitrechnung Rom auf urgermanischem Boden besiegte, sollte das Denkmal am Ausgangspunkt der Deutschwerdung als Symbol dienen im Kampf gegen die Ultramontanen.[14] Die Einweihungsfeier im August 1875 war denn auch nicht gänzlich frei von antikatholischen Gesängen. Der lippische Generalsuperintendent Adolf Koppen interpretierte offen auf diesem völkischen Einweihungsfest in der Grotenburg den katholischen Glauben als religiösen Vaterlandsverrat. Sicher nicht in Unkenntnis der aktuellen Tagespolitik, ließ der schon erwähnte Rudolf Scipio seinem Augenzeugenbericht ausdrücklich einen protestantischen Kampfchoral hinzufügen.[15]

ff

Stellvertretend für den etwas verdeckten Kulturkampf bei der Einweihungsfeier veröffentlichte im August 1875 der Kladderadatsch eine Darstellung zur Enthüllungsfeier, in der der antike Hermann als Sieger gegen das antike Rom neben dem protestantischen Reformator Martin Luther gleichrangig abgebildet wurde. Beide verdecken den in Nebelschwaden verhüllten Petersdom, und damit verkündet auch der Protestantismus seinen Sieg über den römischen Katholizismus aus dem nun neuzeitlichen Rom.[16]

Grundsätzlich vermochte und ermöglichte das Nationaldenkmal im Wilhelminischen ggKaiserreich latente Ausgrenzungen gegenüber religiösen und politischen Gruppierungen. Das Hermannsdenkmal hatte keine klare politische Ausrichtung und konnte dem Zeitgeist entsprechend vereinnahmt werden. Die Sedanfeier am 2. September hatte stets und gern den Hermann als Panorama, schon vor der Einweihungsfeier am 16. August 1875. Hermann war kompatibel, und so war es denn auch nicht verwunderlich, dass dann wiederum zur 1900jährigen Wiederkehr des Schreckgespenstes der römischen Legionen im August 1909 eher eine unpolitische Germanentümmelei mit Volksfesttenor zu beobachten war. Der Hauptredner Hans Delbrück warf versöhnliche Worte in die Zuschauermenge, Fürst Leopold IV. zur Lippe weihte das Bandeldenkmal ohne Anwesenheit von Politikgrößen aus Berlin ein, und die Besucher nahmen regen Anteil an den Hühnenring-Festspielen und flankierten die romantisch verklärten  Festzüge.

  • Hermann in Weimar und bei den Nationalsozialisten

Die Weimarer Republik war eine ungeliebte Republik. Die militärische Niederlage im 1. Weltkrieg, das Politikergebaren am 9. November 1918, die Dolchstoßlegende und das Ergebnispaket des Versailler Friedensvertrags programmierten die Vereinnahmung des Hermannsdenkmals auf den Geschichtsrevisionismus. Paramilitärs, Reaktionäre, Revanchisten oder Monarchietreue setzten dem Hermannsdenkmal den vielinterpretierbaren und epochenübergreifenden Stempel der Befreiung auf. Der antidemokratische Zeitgeist jener Tage, getragen von breiten Bevölkerungsschichten der Weimarer Gesellschaft, kam nun zum 50jährigen Bestehen des Hermannsdenkmals im August 1925 zum Vorschein, in Auszügen im Rundbrief des Stahlhelms anlässlich der Feierlichkeiten verdeutlicht:

50 Jahre hält Hermann, der Cherusker, dort oben auf der Grotenburg mit dem drohend nach Westen in die Luft gestreckten Schwert die Wacht. […] Deutschland hat unter ihm, dem greisen Held auf deutschem Kaiserthron, auf der höchsten Stufe seiner Entwicklung, seines Glanzes, seiner Macht gestanden. Verbrecherische Volksverführer haben unser Vaterland am 9. November 1918 in ein Chaos verwandelt, (…). […] So entstand der Stahlhelm. Mehr als zwei Millionen Männer haben sich im Laufe der Jahre zusammengetan, um in unserer Arbeit an der Erneuerung und Wiedergeburt des Vaterlandes unter der alten ruhmvollen Flagge Schwarz-Weiß-Rot zu wirken. Und nun, Kameraden, der heutige Tag erinnert uns an die von unseren Altvorderen erlittene Schmach, Versklavung und Unterdrückung, ähnlich der unseren in der Gegenwart, erinnert uns aber auch an die Erhebung des Vaterlandes und die Vernichtung der eingebrochenen Unterdrücker durch unsere Urahnen, deren erster Held Hermann, der Cheruskerfürst, war. Das gibt uns die Gewissheit, dass auch wir uns befreien werden aus fremder Knechtschaft, dass auch wir wieder den Grund legen werden zu deutscher Wiedererweckung, zu selbstbewusster Kraft und Macht. […][17]

Ludwig Fahrenkrog, Gründer der neopaganen Germanischen Glaubens-Gemeinschaft, nnsetzte um 1925 mit dem Gemälde „Germania, es kommt dein Tag“ bildlich die Erwartungshaltung und den Weimarer Geist gekonnt unter Hermanns Mithilfe um.

Im Nationalsozialismus hatte Hermann eine ambivalente Stellung im Weltbild und der Werbekulisse. Umgangssprachlich waren die Germanen schlichtweg Deutsche. In der Arierforschung kam den Germanen eine Schlüsselfunktion zu, denn die Rassenkundler sahen im Zeitalter der Germanen die Hochphase der nordischen Rasse, der Herrenmenschen. Das nationalsozialistische Weltbild war daher bis zu einem bestimmten Punkt auch eine germanische Weltanschauung mit den klassischen Beschäftigungsfeldern wie der Führerfigur und dem Gefolge, der Mannentreue, der Familie und der Stammeszugehörigkeit. Hermann war als germanischer Heerführer eine Leitfigur der nationalsozialistischen Chefideologen auf Identitätssuche. Die schriftlose Kultur der Germanen konnte nur über jene römischen Autoren wie Tacitus kompensiert werden, die sich in ihren Werken wie der Germania auch zu den rechtsrheinischen Vorfahren äußerten. Die Römer waren in Personalunion Besatzer und Wegbereiter zur Bereitstellung schriftlicher Quellen für die Germanenkunde. kkDieser Konflikt konnte nur durch die geographische Erweiterung des Arierbegriffes ermöglicht werden, und der Römer war so mit seinen alten Quellen schnell zum alten Arier ernannt.  Die außenpolitische Rücksichtnahme machte so auch vor Hermann nicht Halt. Benito Mussolini stand bei offiziellen Besuchsprogrammen nie auf dem Teutberg, obwohl gerade in den dreißiger Jahren die Besucherzahlen um ein Vielfaches höher waren als noch zu Zeiten des alten Kaisers Wilhelm. Die Brüskierung musste vermieden werden, und der Ruf nach einer nationalen Wallfahrtsstätte, besonders von der lippischen NS-Prominenz gewünscht, kam nie über eine einmalige Antragsablehnung hinaus. Hermann in Ehren, und als Führergestalt durchaus eine Legitimationsbasis für den Führerkult, aber das politische Tagesgeschäft über die Achse Berlin-Rom hatte Vorrang. Hermann war vordergründig Mittel zum Zweck.[18]

Schlussbetrachtungen

Dem Hermann auf dem Teutberg darf der Besucher vor Ort einen im Liberalismus innewohnenden demokratischen Grundgedanken zusprechen, aber die Identifikation ist nicht darauf beschränkt. Sie war es von der Enthüllungsfeier im August 1875 an nicht. Ob als Mahnmal für die nationale Einheit, die vereinte Menschheit oder als Ikone mit antifranzösischer Attitüde, zu gleicher Zeit konnten an Festtagen und zu Jubiläen die grundlegenden geistig-politischen Strömungen des 19. Jahrhunderts, die Subkulturen in der Weimarer Republik und die Germanenkunde bei den Nationalsozialisten am Hermannpanorama laben.

Ernst von Bandel verwirklichte seinen Lebenstraum mit großem Einsatz über einen längeren Zeitraum. Er hatte eine Idee, dafür gekämpft und stand am 16. August 1875 auf der Festtribüne neben Kaiser Wilhelm. Eine respektable Leistung, die aber einen Preis verlangte. Die Grundkonzeption und die Bauphasen durchliefen vom Befreiungsklima gegen Napoleon bis zur Kaiserproklamation im Januar 1871 zu viele Politikstationen, um eine einheitliche Ideologie oder eine begrenzte Themenbesetzung auf der Grotenburg zu ermöglichen. Der Katholikenabstinenzler im Kulturkampf, die Monarchisten, Anhänger einer wilhelminischen Jubelsäule,  der völkische Patriot mit Hang zum Herrenmenschentum oder die unpolitischen Romantiker auf den Germanenfestumzügen zur 1900jährigen Wiederkehr der Varusschlacht standen mit mehr oder weniger vernünftigen Argumenten im Stillgestanden vor dem Kupferplattenbefreier Germaniens.

Ist das Fehlen einer eindeutigen politischen Aussage nun ein unbewusster Konstruktionsfehler unserer Landsleute aus dem 19. Jahrhundert? Nein, denn alleine die Finanzierung durch Spenden, an denen breite Bevölkerungsschichten partizipierten, verdeutlichte den Grundgedanken eines nationalen Denkmals. Vielmehr sollte der Hermann als urdeutsches Freiheitssymbol jeder Couleur die Möglichkeit über seine Vereinnahmung aufzeigen und zu mahnen, sich mit kritischem Abstand der eigenen Geschichte bewusst zu werden.

Anhang

Die Bandelhütte. Die Abbildung kann unter http://www.google.de/imgres?imgurl = http%3A%2F%2F static3. akpool.de%2F images%2Fcards%2F14%2F147201.jpg& imgrefurl = http%3A%2F%2F www.akpool.de%2 Fansichtskarten%2F147393-ansichtskarte-postkarte-hiddesen-detmold-hermannsdenkmal-bandelhuette&h = 377&w=580&tbnid=lMCdEbfMVD_ rIM%3A&zoom=1&docid = 8HRh3URqCg_ezM&ei = 8igEVbywI4mrPJjJgLAE&tbm =isch&iact=rc&uact =3&dur=463&page=1&start = 0&ndsp = 19&ved=0CDMQrQMwBg abgerufen werden.

Barmeyer, Heide, Denkmalbau und Nationalbewegung, Das Beispiel des Hermannsdenkmals, in: Baltrusch, E., Meyer, Michael u. a. (Hrsg.), 2000 Jahre Varusschlacht, Berlin 2012, S. 301. Die Online-Ausgabe des Buches kann unter https:// books.google.de/ books? id=E5NlTrjl73IC&pg =PA287&lpg=PA287&dq=Barmeyer ,+Heide,+ Denkmalbau+und+ Nationalbewegung&source = bl&ots = Sk70Yb2dVL&sig = KSKTxfz THuKfnGKDXCKtywHDBbQ&hl=de&sa=X&ei=zOcDVbXjBsvcPdHQgKAG&ved = 0CDEQ6AE wAg#v= onepage&q = Barmeyer % 2 C% 20 Heide%2C%20Denkmalbau%20und %20 Nationalbewegung &f=false abgerufen werden.

Dohm, Ernst (Hrsg.), Kladderadatsch Jg. 28 (1875) Nr. 37/38, S. 152. Die Abbildung kann unter http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kla1875/0478 eingesehen werden.

Fahrenkrog, Ludwig, „Germania, es kommt dein Tag!“. Die Abbildung kann unter http://www. delcampe.net/items? language=E&catLists%5B0%5D=14727 abgerufen werden.

Hakenkreuz und Hermann. Das Bildmotiv kann unter http://www.google.de /imgres?imgurl=http%3A%2F %2Fwww.lwl.org% 2Fwestfaelische-geschichte%2Fmed%2F thumb%2Fmed1113.jpg&imgrefurl = http%3A%2F%2Fwww.lwl.org%2 F westfaelische-geschichte %2Fportal%2F Internet%2Finput _felder%2 FlangDatensatz_ebene4.php% 3FurlID%3D846%26ur l_tabelle%3Dtab_websegmente&h =127&w=80&tbnid =FtDruGT vqhwymM%3A&zoom= 1&docid=P21RPOQ5MxO4eM&ei = dTAEVbHUIYXDO um9gfAH&tbm = isch&iact = rc&uact=3&dur=1074&page=1&start=0&ndsp=27&ved=0CCQQrQMwAQ abgerufen werden.

Koselleck, Reinhard, Ein Jahrhundert Hermannsdenkmal, in: Günther, Engelbert (Hrsg.), Lippische Mitteilungen, Band 45, Detmold 1976. Der Literaturhinweis kann unter http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/input_felder/seite1_westf_bild.php?urlID=1731 abgerufen werden.

Lendzian, Hans-Jürgen (Hrsg.), Zeiten und Menschen, Geschichte, Einführungsphase Oberstufe Nordrhein-Westfalen, Paderborn 2014.

Schmidt, Hans, Das Hermannsdenkmal im Spiegel der Welt, 1838 · 1875 · 1975, Detmold o. J.

Schmidt, Hermann, Ernst von Bandel: Ein deutscher Mann und Künstler, Hannover 1892. Die Onlineausgabe des Buches kann unter http://s2w.hbz-nrw.de/llb/content/structure/658466 eingesehen werden. Aus dieser Ausgabe stammt auch die Abbildung (Seite 199).

Rudolf Scipio, Der Ehrentag des Teutoburger Waldes, in: Keil, Ernst (Hrsg.), Die Gartenlaube Heft 38, 1875, S. 637. Die Abbildung von Knut Ekwall kann unter http:// de.wikisource.org /wiki/ Der_ Ehrentag_ des_Teutoburger_ Waldes eingesehen werden.

Roth, Ursula (Hrsg.), Heinrich Heine, Deutschland: ein Wintermärchen, Stuttgart 1995.

Wir sind Europa! Und was man von Maria lernen kann!

           Wir sind Europa!

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      Und was man von Maria lernen kann!

 

Inhaltsverzeichnis

  • Von Laurentius nach Maria
  • Die Mutter Europas
  • Schattenwürfe einer Lichtgestalt
  • Meine Stellungnahme für Europa
  • Quellenverzeichnis 1
  • Von Laurentius nach Maria

Im September 2015 besuchte ich verschiedene Kirchenschauplätze im heimischen Westfalen. Ob die Wallfahrtsbasilika Mariä Heimsuchung in Werl, die Wallfahrtskirche St. Ida in Herzfeld oder die Pfarrkirche St. Laurentius im sauerländischen Enkhausen, allen Standortaufsuchungen war der regionalkirchliche und heimatgeschichtliche Charakter zu eigen, vielmehr deren ausschließliche Motivation. In Enkhausen begann mein persönliches Europa. Der neugotische Baustil mit den Maßwerkfenstern, adem spitzhelmigen Westturm oder den Rippengewölben auf Rundpfeilern hinterließ bei mir aber schon einen architektonischen Eindruck. Der berühmteste Enkhausener, kein geringerer als Bundespräsident Heinrich Lübke, soll der Legende nach in jungen Jahren ehrfurchtsvoll als gläubiger Katholik vor den Heiligenfiguren im Inneren der Kirche seine Gebete gehalten haben. Schon beim Eintritt in die Kirche wahrgenommen, fiel mir im Außengelände der Kirche ein Marienaltar auf, der meine Konzentration in Anspruch nahm.

Es ist nicht so, dass Maria für mich neu war. Sie verkörpert die Friedenskönigin. Ich identifizierte die Gottesmutter stets mit der Schlange und der Weltkugel als sikonographische Heiligenattribute zur Lossagung jedweder Sünde. Aber diese markante Anzahl an Sternen, die…

Entsprach die Wahrnehmung wirklich meiner bewussten Beobachtung? Der Sternenkranz zählte 12 Sterne. Dieses erstmalige bewusste Nachzählen setzte sofort die Johannesoffenbarung 12, 1 frei, aber diese Apokalypse war eine prophetische Hoffnungsschrift. Und hatte der Belgier Paul Lévy[1] dem Generalsekretär des Europarats Graf Benvenuti nicht in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts diese 12 Sterne als Motivvorschlag für die Europaflagge vorgelegt? Stand ich dem europäischen Gedanken näher als es mir bisher bewusst war? Eine Klärung der unerwarteten Verbindung musste her!

  • Die Mutter Europas

Der Legende nach ging eben jener vorgenannte Paul Lévy bei strahlend blauem Himmel als Mitarbeiter des Europarates 1955 an einer Maria Immaculata vorbei, deren Sternenkranz im Sonnenschein funkelte. Ob Lévy persönliche Motive dem Grafen Benvenuti vorlegte, wissen wir nicht, aber die Geburtsstunde für eine der bekanntesten Flaggen war gesetzt, und dieses Flaggenmotiv wurde in späterer Zeit dann auch von der Europäischen Gemeinschaft übernommen. Die Flagge selbst war dabei nicht der Auslöser für diesen Wettbewerbsbeitrag, sondern die Maria, bei deren Anblick offenbar gelegentlich Menschen – und ich muss eingestehen, dass ich erst nach dem zweiten Blick zu diesen Menschen gehörte – Verbindungssterne setzten zu transnationalen Projekten und Visionen. Lag der Kern des europäischen Wesens – bisher von mir nicht wahrgenommen – unter der sakrosankten Aura der Maria Immaculata? Es war gut möglich, dass dann doch mehr Europa in mir steckte als bisher angenommen. Nimmt man die Ansichten von Lévy als Maßstab, gab die Madonna dem Belgier die Initialzündung für das Zustandekommen eines bildlichen Symboles der Vereinigung und Vollkommenheit zumindest auf kontinentaleuropäischer Ebene.[2] Die zwölf Sterne standen dabei Pate für den vollkommenen Abschluss wie die zwölf Tierkreiszeichen, die zwölf Kalendermonate, die zwölf Tafeln des kodifizierten römischen Rechts, die Zwölfgötter aus der griechischen Mythologie, die zwölf Stämme Israels oder die zwölf Apostel. Nimmt man zusätzlich noch die zahlreichen Marientitel der Mutter Jesu in die Diskussion um religiös durchsetzte Fundamente einer transnationalen Organisation, dann verlangen die christlichen Grundpfeiler des Abendlandes zwingend die friedensnahe Ausrichtung der Europäischen Union, zumindest die garantierte Austarierung zwischen negativem und positivem Frieden. Ist der europäische Gedanke damit per se ein pazifistischer Gedanke? Ja, denn die Grundsatzdebatten zur Transnationalität wurden im direkten Nachklang des Zweiten Weltkrieges gelegt. Ob die Mutter Jesu damit als die Mutter Europas vereinnahmt werden kann, obliegt dem Gläubigen und europäisch Ausgerichteten, aber die Verbindungsknüpfung bedarf keiner Entschuldigung. Wenn der Karolinger Karl der Große im renommierten Karlspreis auf Europaebene wirkt, dann kann Maria ungefragt nur allzu gut die werteausstrahlende Gallionsfigur im Hinterzimmer des Brüsseler Europaparlaments spielen. Dieser Blickwinkel kann jedoch zu einem europäischen Nationalismus führen und soll als heikles Szenario mit tagespolitischem Zusatz im nächsten Kapitel präsentiert werden. Nun steht jedoch die Europawerbung mit der Maria auf der Argumentationsleiste:

Der religiöse Bezug auf Maria war deutlich in der EU zu spüren, da lediglich der pure Zufall die zwölf Mitgliedsstaaten 1986 als ursächlich für die zwölf Sterne auf der Europaflagge ausschrieb. Die Sterne hatten in Brüssel nie etwas mit der Anzahl der Mitgliedsstaaten zu tun. Die EU-Osterweiterung vollzog sich nie mit der Mehrung der Sterne auf der blauen Flagge, sondern mit der ideellen Werteerweiterung. Nicht ohne Grund wurde am 8. Dezember 1955, dem Festtag der unbefleckten Empfängnis Marias, die sternenbesetzte, blaue Flagge als Brüsseler Wimpel zugelassen. Dass das mit der Sündenfreiheit auch bei der EU nicht so lupenrein ist, soll hier nicht vorwurfsvoll – und damit sicherlich überzogen –  thematisiert werden, aber der religiöse Zusatz im abendländischen Gebot der Trennung von Kirche und Staat lässt zumindest ein ehernes Moralgerüst in der Theorie erkennen. Und die Sterne auf den Euromünzen sorgen zudem als ständiger Begleiter in den Geldbörsen für ein vermutlich immer noch für viele Bürger undeutliches Verbreiten der europäischen Gemeinschaft und für eine alltägliche „Konfrontation“ mit dem „religiösen Europa“.

  • Schattenwürfe einer Lichtgestalt

Ich verbinde mit Maria Hoffnung, Vollkommenheit, Wegweisung, Idealisierung oder zumindest stützende Begleitung. Die Lichtfigur bringt Licht, und ich verbinde mit der Mutter Gottes den jahrzehntelangen Frieden innerhalb der Europäischen Union. Der glänzende Heiligenschein funktioniert aber auch hier nicht. Die allzu Euphorischen dürfen nicht vergessen, dass die Unterstützerin der Christen ihren Rückhalt im Abendland besonders aus der Anrufung zum Kampf gegen die Osmanen gewann, und damit können ausgrenzende Tendenzen in das Marienbild hineininterpretiert werden. Zuviel Kritik ist jedoch auf dieser Schiene unangemessen. Natürlich kam im Namen Marias 1683 der polnische König  Johannes III. Sobieski  den Wienern erfolgreich zu Hilfe oder zahlreiche Mariensäulen im bayerisch-österreichischen Raum zeigen die Gottesmutter mit dem Halbmond zu ihren Füßen. Das war aber der religiös tief verwurzelten Zeit geschuldet und muss heute nicht mehr kontraproduktiv in die Europadebatte eingebracht werden. Karl der Große als männliches Pendant der Maria ist im Karlspreis verewigt für Verdienste im zeitgeschichtlichen Europa. Der Karolinger selbst war jedoch lediglich geographisch auf europäischem Status, dagegen das Wertesystem trotz karolingischer Renaissance wenig europaorientiert. Die Sachsen an jenem „Verdener Blutgericht“ stehen symbolisch für eine radikale Christianisierung. Und aktuell kann das Geschiebe in der Flüchtlingsproblematik nicht über einzelne Marientitel wie „Mutter der Barmherzigkeit“, „Mutter von der immerwährenden Hilfe“ oder „Mutter vom guten Rat“ begründet werden. Aber vielleicht sieht die Europäische Union das Mariabildnis nicht als Grundlage des eigenen Handelns, sondern strebt zur „Mutter ohne Makel“ in einem Lern- und Entwicklungsprozess? Zu wünschen wäre es diesem transnationalen (Kontinental-)Staat, schon mit Blick auf unnötige Geschichtskontroversen und verbesserungswürdigen Außendarstellungen in der jüngeren Vergangenheit. Jetzt heißt es aber für mich persönlich goldene Farbe bekennen auf blaugefärbtem Hintergrund. Die Sterne haben eben nicht nur symbolisch wegweisende Bedeutung für die Positionierung in oder für Europa. Und letztlich zählt ohnehin nur die Parteinahme für eine Gesinnung.

  • Meine Stellungnahme für Europa

Zunächst losgelöst von Maria, ich kann alleine durch die Farbkombination der Europaflagge meine westfälische Heimatverbundenheit mit dem Europagedanken bedenkenlos verknüpfen. Die blaue Farbe ist eine charakterstarke Farbe. Könige und Kaiser trugen sie voller Stolz, und der Europabezug stand stets in Begleitung zu Personen und Beweggründen. Schon Kaiser Heinrich II. (1014-1024) wurde – dort noch im Kampf gegen die Byzantiner in Süditalien – mit einem blauen Sternenmantel  beschenkt , der heute noch im Bamberger Kirchenmuseum zu besichtigen ist. Die darauf abgebildeten Sternenmotive verdeutlichen einen universellen Anspruch oder eben eine Verantwortung über die nationalen Grenzen hinaus. Nicht ohne Hintergedanken betitelten die Zeitgenossen den letzten Ottonen als „decus Europae“, als Glanz Europas. Das kann problemlos in die heutige Zeitgeschichte übertragen werden. Die unpersönliche und durchaus mächtige Institution hat ihren Sitz in Brüssel und unter dem Sternenhimmel strebt man dem ewigen Frieden (zumindest hat man mit der Gründung Europas einen jahrzehntelangen Frieden vorzuweisen) und dem wahrhaftigen Vertrauen (auch wenn die Bilanzdaten der Griechen vor einigen Jahren eher ungünstiger Natur waren) entgegen. Ein festes, orientierendes Umfeld, friedfertige, heitere Gelassenheit, Kommunikationsfähigkeit oder ganzheitliche Verbundenheit stehen in der klassischen Farbenlehre für das Blau, und diese Charaktereigenschaften treffen für die EU als Leitkriterien zu…trotz notwendiger Schönheitskorrekturen in der Tagespolitik. Der heimatlich Verwurzelte muss zwischen gkonstruktiver Systemkritik und dem polemischen Regionalpatriotismus (z. B. dem der Freistaatlichen aus Bayern) unterscheiden, sonst wird er dem notwendigen Realbezug nicht gerecht.

Brüssel wählte Blau, und Maria trug Blau. Eigentlich war dieses Kleidermotiv ja durch den kostspieligen Farbton gewählt (Ultramarinblau kostet mehrere tausend Euro in der Herstellung), aber damit wird natürlich nur die sakrosankte Stellung der Himmelskönigin verdeutlicht. Blau ist in der katholischen Farbensymbolik eine himmlische Farbe, die den Himmel und die Erde verbindet. Nähe und Ferne, Göttliches und Irdisches erhalten über die Gottesmutter eine Assoziierung. Wenn man nun noch über den blauen Farbton in der katholischen Kirche eine Brücke schlagen kann zu nachvollziehbaren und klaren Gedankengängen (dafür steht dieser Farbton in der Kirche), dann liegen weder persönlich noch religiös motivierte Antipathien vor bei mir. Das ist der europäische Gedanke, mein Gedanke, und dieser Gedanke orientiert sich an Maria. Maria ist die Brücke zur europäischen Wertegemeinschaft, und das transnationale Denken hat sich jetzt schon ausgezahlt. Die eigene Herkunft hat hier nur die Funktion eines einzelnen Bausteines für die Identitätsbildung. Mir selbst war dieser Europabezug in der Vergangenheit nicht bewusst, da das „Bindeglied“ Maria anfänglich manches bedecken und nicht entdecken ließ.  Die wertereichen Sachen gehören entwickelt und nicht beseitigt oder verunglimpft. Das will letzlich die Europäische Union, und diesen schlafenden Willen trug ich bereits in mir. Maria entzündete es. Das friedliche Miteinander unter den EU-Kernländern war zur Selbstverständlichkeit geworden, bedarf aber der Weiterentwicklung, um den Status quo zu erhalten. Der Frieden ist das Ergebnis eines Kampfes, eines immerwährenden Kampfes.

  • Quellenverzeichnis

* Das Bild kann unter https://de.wikipedia.org/wiki/Unbefleckte_Empf%C3%A4ngnis#/media/File:0_L%27Immacul%C3%A9e_Conception_-_P.P._Rubens_-_Prado_-_P1627_-_%282%29.JPG abgerufen werden.

** Das Bild kann unter https://de.wikipedia.org/wiki/Madonna_im_Rosenhag#/media/File:Stefan_Lochner_Madonna_im_Rosenhag.jpg abgerufen werden.

Das Interview mit Paul Lévy kann unter http://www.cvce.eu/obj/beitrag_von_paul_m_g_levy_zur_schaffung_der_europaischen_flagge-de-6d23210b-865d-4f02-b2ca-2c30b9ed0588.html abgerufen werden.

[1] Arsène Heitz, ehemaliger Bediensteter im Europarat, nahm ebenfalls für sich die Urheberschaft zur Motivwahl der Europaflagge in Anspruch. Beide Personen reichten in etwa zeitgleich ihre Entwürfe im Europarat ein. Letzte Unklarheiten konnten aber bis heute nicht beseitigt werden.

[2] Lévy äußerte sich in späterer Zeit zur symbolischen Bedeutung der himmelblauen Sternenflagge in einem Interview, das unter http://www.cvce.eu/obj/beitrag_von_paul_m_g_levy_zur_schaffung_der_europaischen_flagge-de-6d23210b-865d-4f02-b2ca-2c30b9ed0588.html abgerufen werden kann.

Die vergessene Geschichte des Felix Maria Michael von Papen

Die vergessene Geschichte

des

Felix Maria Michael

von

Papen

Inhaltsangabe

Einleitung

  1. Herkunft
  1. Internierung ohne Grund?
  1. Entlassung 1934
  1. Von München nach Stuttgart
  1. Jetzt ist Schluss! Die Ausreise 1938
  1. Endstation Buchenwald

Fazit

Einleitung

Hermann Göring konnte bis zum Schluss seinen Bruder Albert vor den Fängen des nationalsozialistischen Regimes schützen, obwohl der jüngere Bruder des Reichsmarschalls ein offensichtlicher Vertreter des aktiven Widerstandes war. Felix von Papen, ein Verwandter des ehemaligen Reichskanzlers Franz von Papen, erlitt dagegen eine Odyssee in verschiedenen Konzentrationslagern während der NS-Zeit. Offenbar fühlte sich Franz von Papen – in der Geschichtswissenschaft nicht unpassend als Steigbügelhalter Hitlers bekannt – wenig zu seinem Verwandten hingezogen oder Franz von Papen selbst hatte einen schweren Stand unter der nationalsozialistischen Führung. Seine politischen Funktionen – unabhängig von der Rolle von Papens in der Röhm-Affäre 1934 – wiesen jedoch wohl eher charakterliche Gründe auf bei der Bewertung  seines Neffen Felix von Papen. Dieser unbekannte Papen verfasste Ende der dreißiger Jahre im niederländischen Exil eine Autobiographie mit dem Titel „Ein von Papen spricht … über seine Erlebnisse im Hitler Deutschland“. Dieses Buch hatte nicht wenig Anteil an der erneuten Internierung zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, da Felix von Papen sich in diesem Buch sehr kritisch mit dem Lagersystem der Nationalsozialisten auseinandersetzte. Felix von Papen stand auf dem Index, und die lange Haftzeit führte kurz vor Ende der NS-Herrschaft zum Tod im Konzentrationslager Buchenwald. Obgleich von prominenter Herkunft, ließ sich bei ersten Recherchen kaum Verwertbares zu diesem vergessenen und vielleicht auch zum Vergessen verurteilten von Papen herausarbeiten. Welche Gründe führten zu dieser Nichtpräsenz? Wieso gab es keine merkliche Protektion für Felix von Papen? Über die biographische Skizzierung dieses vergessenen von Papens werden diese Fragen in der Auseinandersetzung mit den mir zugänglichen Quellen einer möglichen Antwort zugeführt.

  1. Herkunft

1Felix von Papen-Wilbring gehörte einem Seitenzweig[1] der Adelsfamilie Papen-Koeningen an. Das Haus Koeningen hat seinen Stammsitz in der Scheidinger Gemarkung bei Werl in Westfalen. Aus seiner Anfangsbiographie lässt sich zunächst wenig herauslesen über seine Aversion in den dreißiger Jahren gegen den Nationalsozialismus. 1910 in Diedenhofen/Lothringen geboren, wuchs er zunächst unspektakulär auf mit seinen Geschwistern. Lediglich die durch das Ende des Ersten Weltkrieges bedingte Umsiedlung aus dem ehemaligen Reichsland Lothringen war von einschneidender Prägung für den jungen Felix. Der Vater, Bergbaudirektor bei Metz/Lothringen, hatte im Rahmen der Waffenstillstandsverhandlungen als Deutscher samt Angehörigen 1918 2Lothringen zu verlassen. Mütterlicherseits hatte Felix holländisches Blut in sich, die Reederei-Familie Scholten aus Rotterdam gehörte zur Verwandtschaft.[2] Dieser Zwangsumzug führte bei Felix in späteren Jahren nicht zu irgendwie gelagerten Rachegelüsten, zumindest war nichts bekannt oder herauszufinden. Seine ablehnende Haltung gegenüber den Nationalsozialisten lässt verstärkt vermuten, dass die Erziehung und das Umfeld von Felix eine grundsätzliche Distanz zu Hitler und dessen praktizierender Politik verursachten. Diese Aussage ist schwierig, da wenig Verwertbares an Erinnerungen von Außenstehenden zu erhalten war, wobei die größte Zurückhaltung nun ausgerechnet von Familienangehörigen ausging.[3]

Bekannt war, dass Felix von Papen während der Spätphase der Weimarer Republik in monarchistisch-großbürgerlichen Kreisen verkehrte, in denen auch aufstrebende Offiziere der Reichswehr zu finden waren, die später zum militärischen Widerstand im Dritten Reich zählten. Der als Wirtschaftsjournalist und Bankkaufmann tätige Felix von Papen formulierte mit gekonnter Feder die Rechtsbrüche der NS-Organisationen und bemühte sich nach der Machtergreifung 1933 um den Aufbau eines politischen Netzwerkes in Konfrontation zu den Nationalsozialisten, vergeblich, da  der Zeitgeist in dieser Phase der deutschen Geschichte nicht die Ausprägung hatte zu merklichem Widerstand. Die Gleichschaltungswellen nach dem Ermächtigungsgesetz zeigten mehr oder weniger ihre unterdrückende Wirkung. Es muss sich bei diesen Aktivitäten also um konsequente 3Schlussfolgerungen einer kategorischen Gesinnung gehandelt haben. Felix von Papen stand demnach grundsätzlich kritisch dem eigenen Verwandten Franz von Papen gegenüber, eben jenem Steigbügelhalter, der 1932 für kurze 4Zeit ein Präsidialkabinett anführte und Vizekanzler unter Hitler wurde. Ganz so kritisch war er in den zwanziger Jahren aber nicht, denn auch Felix hatte für einen kurzen Zeitraum die NSDAP-Mitgliedschaft inne. Etwas verwirrend sind demnach seine Aussagen in seinem biographischen Werk von 1938, in dem er sich verwundert zeigte über seine Verhaftung im Dezember 1933:

5Das Liedersingen und der Tod meines Mitgefangenen hatte mich sehr erschüttert. Wie schon oft fragte ich mich wieder: Warum bist du hier? Ich überlegte: Seit dem 6. Dezember 1933 bist du ein Gefangener. Warum? Weshalb? Als ich 18 Jahre alt war, gehörte ich einige Monate der NSDAP an. Sollte mein schneller Austritt etwa die Begründung sein? Unmöglich! Das war ja schon fünf Jahre her. Habe ich irgendwelche Äußerungen getan, die mich hierkommen ließen? Ich hatte keine Ahnung! Wie oft habe ich versucht, die Gründe meiner Inhaftierung zu erfahren. Vergebens! Ich beschloß, in den Hungerstreik zu treten, um dadurch der entwürdigenden Freiheitsberaubung ein Ende zu machen. Ich hielt nicht durch.[4]

War das Naivität? Bei meinen Recherchen konnte ich mich nicht dem Eindruck entziehen, dass entweder Felix von Papen im Widerspruch zu seinen eigenen Taten autobiographisch berichtete oder die Person – auch durch die Zurückhaltung der eigenen Familienangehörigen gefördert – einer allgemeinen Unklarheit unterworfen war. Warum? Das Potenzial für einen „Personenkult“ nach 1945 wäre vorhanden gewesen, ein von Papen im aktiven Widerstand hätte den familiären Persilschein darstellen können. In einer meiner Emailkorrespondenzen mit einem Angehörigen aus der Papenfamilie kommt vielleicht ein Grundgedanke des Vergessens zum Vorschein:

„[…] Auch ansonsten hört man, gerüchteweise, von viel rechtslastigem Ungeist in unserer Familie. Sie bemerken meine Distanz. Felix von Papen scheint von anderer Gesinnung gewesen zu sein. Wahrscheinlich wissen Sie darüber mehr als ich.[…][5]

  1. Eine unliebsame Person wird verhaftet

Wie bereits thematisiert, begann die Internierungsbiographie des Felix von Papen am 6. Dezember 1933. Er wurde in das Gestapo-Gefängnis „Kolumbiahaus“ gebracht, in der Nähe von Berlin-Tempelhof gelegen. Bekannt und berüchtigt war diese Häftlingsunterkunft für seine besonders ausgeartete Brutalität der SS-Schergen gegenüber den Gefangenen. Die Entgleisungen hatten einen derart faden Beigeschmack, dass im Sommer 1934 die 6„Schikanen“ von oberster Stelle offiziell verboten wurden – wohlgemerkt in einem Konzentrationslager![6] Ob die Verlegung im Januar 1934 in das KZ Oranienburg eine Befreiung war, bleibt dem Leser überlassen, aber der Neffe des Vizekanzlers war offenbar ein Opfer der nationalsozialistischen Prügelattacken geworden, und in Oranienburg wurde ihm noch als Zusatz das 7Steißbein im Prügelzimmer 16 zerschlagen.[7] Den Bewachern war Felix vom Namen her bekannt, aber es musste Gründe geben für diese hemmungslose Brutalität gegenüber dem Papenspross.

[…] Meine Bewachung waren Leidensgefährten. Was taten sie? Sie schrien und brüllten mich genauso an wie die SS- und die SA-Leute. Ich konnte keinen Unterschied entdecken. Und so kam es auch, daß ich, außer einer ganz kurzen Essenspause, mich bis zum Einbruch der Dunkelheit dauernd bückend auf dem Gelände bewegen mußte. Todmüde fiel ich auf mein Lager und sah nicht mitleidige, sondern bis auf wenige Ausnahmen schadenfrohe Gesichter. So ist der Mensch! Selbst getreten und zerschunden, empfindet er Genugtuung, wenn ein anderer gequält wird und er zusehen darf. In meinem Fall war es der SA gelungen, die Lagerinsaßen gegen mich aufzuputschen. Ich war der „Herr Baron“, der feine Pinkel, der Verwandte des berühmten Mannes usw.usw.[…].[8]

Hatte sich Franz von Papen mit Hitler überworfen? Oder waren die konspirativen Treffen von Felix mit gleichgesinnten Bildungs- und Großbürgern aus der Berliner High Society das ausschlaggebende Moment gewesen? Es ist zumindest keine Protektion durch den Vizekanzler überliefert, und die Haftbedingungen ließen stark vermutlich auch eine „Diplomatie durch die Hintertür“ nicht zu. Hermann Göring hatte hier wesentlich mehr Kante gezeigt für seinen Bruder Albert Göring.

Interessant waren seine Beobachtungen bezüglich der Wesensaffinitäten von Kommunisten und Nationalsozialisten in der Oranienburger Haftzeit.[9]

„[…]Die Gemeinsamkeiten von Nationalsozialismus und Kommunismus, die wir ja nicht nur in der Behandlung des politischen Gegners, sondern auch in der Verwaltung und der Wirtschaftsführung täglich beobachten können, ist eine ideologische, ja sie wirkt sich sogar bis in die höchsten Parteistellen aus.[10]

8An entsprechender Stelle kam sein ganz persönliches Erklärungsmodell für die Internierung in Oranienburg, die aber kritisch hinterfragt werden kann:

Dein Verwandter, das Schwein, hat uns stürzen wollen, seine Rede in Marburg sollte das Signal zum Losschlagen sein. Er hat sich aber geirrt! Die Reichswehr steht zu uns. Diesen Kerl können wir nicht kriegen, dafür sollst du die Wucht bekommen. Mit Euch adligen Schweinen werden wir schon fertigwerden.[11]

Reichsvizekanzler Franz von Papen beim Verlassen des Auditorium maximum in Marburg, 17. Juni 1934Natürlich sprach sich Franz von Papen am 17. Juni 1934 an der Universität Marburg gegen die ausufernden Exzesse der Nationalsozialisten aus. Es war eine mutige Geste, und bis zum Ende des Dritten Reiches auf hoher Ebene war es auch die letzte Rede gewesen mit offenkundigen Kritiktönen. Zu diesem Zeitpunkt saß aber Felix von Papen bereits ein halbes Jahr in Haft. Und so sehr konnte Franz von Papen nicht in Misskredit gestanden haben, denn nach dem Röhm-Putsch gelang es ihm mit Sonderstatus in Wien als Abgesandter die Vorbereitungen für die Eingliederung Österreichs durchzuführen. Es handelte sich um eine Schlüssel- und Vertrauensposition. Möglicherweise war Franz von Papen mehr Nationalsozialist gewesen als Hitler in ihm einen ideologischen Kampfgefährten sah. Göring warnte im Vorfeld des 1130. Juni 1934 Franz von Papen, und dieser entging der Säuberungswelle – Röhm-Putsch genannt – denn auch ohne Gesichtsverlust.[12] Das Vizekanzleramt gab er zwar ab, aber er unterstand danach direkt Adolf Hitler und nicht dem Außenministerium in seiner Funktion als Gesandter in der österreichischen Republik. Felix von Papen blieb in seiner Autobiographie bei seiner unwissenden Haltung bezüglich der Inhaftierung:

´Herr Brigadeführer, fast neun Monate werde ich hier festgehalten und weiß nicht warum. Ich kann und ich will nicht mehr. In ein anderes Lager bekommen sie mich nicht mehr. Ich habe mir schon einmal die Pulsadern aufgeschnitten und werde es ein zweitesmal tun, aber diesmal richtig. Dieses Leben führe ich nicht mehr weiter.´  Auf Eicke [Anmerkung der Autorin: Gemeint ist Theodor Eicke, Inspekteur der Konzentrationslager] machte mein Auftreten sichtlich Eindruck. Er empfand, dass dazu Mut gehörte. Er sah mich wohlwollend an:´ Wenn das stimmt, was Sie sagen, werde ich Sie morgen entlassen. Ich fahre morgen früh nach Berlin zum Führer, da werde ich zum Gruppenführer befördert und sehe mir Ihre Akten bei der geheimen Staatspolizei an.´[13]

13Entlassen wurde Felix von Papen nicht, aber er wurde in das KZ Lichtenburg bei Prettin in Sachsen-Anhalt verlegt. Das KZ bildete ein Auffangbecken für politische Gefangene oder politisch Unorganisierte. Es gab aber Licht am Ende der dunklen Unfreiheit, denn der dortige Kommandant hatte folgende Information für von Papen:

14Herr von Papen, ich bin von Herrn Gruppenführer Eicke beauftragt, Ihnen mitzuteilen, daß Sie in 14 Tagen entlassen werden. Bleiben Sie bei mir, ich bringe Sie in eine besondere Zelle. […]Ich bitte Sie, machen Sie keine Dummheiten. Sie kommen bestimmt heraus. Übrigens, wie haben Sie geschlafen. Haben Sie einen Wunsch oder eine Klage?[14]

Die letzten Tage auf der Lichtenburg müssen Felix von Papen wie das Warten auf Erlösung vorgekommen sein. Hier traf er Teile der Wachmannschaften vom Kolumbiahaus, hatte sich mit Sicherungsverwahrten eine Zelle zu teilen und traf auf 15illustre Mitgefangene wie Werner von Alvensleben, der in den Monaten vor der Machtergreifung politisch dem Flügel des Reichskanzlers Kurt von Schleicher zugeordnet werden konnte und wie ein Irrer über den Gefängnishof auf der Lichtenburg lief.[15] Er nahm es hin, denn das mehrmonatige Martyrium ging dem Ende entgegen.

 

  1. Entlassung

Nach zweiwöchigem Aufenthalt erfolgte die Entlassung. Die übliche Meldepflicht gehörte dabei zu den leidlichen, aber hinnehmbaren Restriktionen. Selbst von seinem Äußeren abgestoßen ([…]Das haben sie mit dir nun angerichtet, diese hitlertreuen Gesellen. Was soll aus solch einem Wrack nur werden?“ Ich fühlte mich halbtot, ich versuchte mich zu beruhigen. […])[16], bemühte sich Felix von Papen schon am Tag nach seiner Entlassung auf der Berliner Dienststelle der Geheimen Staatspolizei den Grund 16seiner mehrmonatigen Verhaftung zu erfahren … selbstverständlich ohne Erfolg. Felix von Papen konnte aber die Freiheit nicht lange genießen, denn schon nach einem Gespräch mit einer Bekannten auf offener Straße wurde er nachts darauf bereits in seiner Meldewohnung erneut verhaftet, angeblich wegen Verbreitens von Greuelmärchen zu seiner Internierung in Oranienburg. Es gelang ihm dabei noch die Mitnahme von Rasierklingen, denn die 17drohende Wiederholung des Martyriums in den Haftanstalten wollte er unter keinen Umständen erleben. Die Haftzeit hinterließ Spuren, nicht nur äußerlich. Er blieb während des Transportes aber gelassen, denn…

Meine Rasierklingen beruhigten mich dabei sehr. Gaben sie mir doch die Möglichkeiten, diesen Elementen zuvorzukommen. […]Fiebernd wartete ich auf den günstigen Augenblick, mir die  Pulsadern zu öffnen. Dieser kam auch. Mein Fahrer wurde durch eine Straßenbahnhaltestelle gezwungen seine Fahrt kurz zu unterbrechen. Diesen Augenblick benutze ich, mir mit Blitzesschnelle die Pulsadern zu öffnen. Ich schrie in meiner Verzweiflung laut hinaus: „Soweit werden Deutsche im Zeichen der Volksgemeinschaft getrieben.“ Ich hatte das Gefühl eine große Leistung vollbracht zu haben, stark floß das Blut aus meinen Pulsadern. Mir wurde der Arm abgebunden, die Blutung konnten sie aber nicht stillen, deshalb wurde ich in das Städtische Krankenhaus in Spandau gebracht. Es ist nicht zu beschreiben, welche Energie dazu gehört, und wie weit der Mensch sein muß, eine solche Tat, auf die Sekunde abgezirkelt, zu vollbringen. […][17]

18Die Verzweiflung muss groß gewesen sein. Der Zufall spielte dem von Papen aber in die Hände, denn eine Ärztin hatte offenbar – durch den allgemeinen Zustand ihres Patienten ausgelöst – eine überdurchschnittliche Fürsorgepflicht und verwahrte sich gegen die Einflussnahme der Polizisten und erreichte eine Verlegung in das Staatskrankenhaus Berlin, dort immerhin dem direkten Zugriff durch die Staatspolizei entzogen. Felix von Papen spürte instinktiv, dass das Hinauszögern der Transportfähigkeit überlebenswichtig wäre, denn die Geheime Staatspolizei verweilte in Warte- und Mitnehmhaltung. Der Hungerstreik begann, und entsprechende Leute wurden offenbar geweckt, denn:

Es mag gegen elf Uhr abends gewesen sein, als plötzlich meine Zellentür aufgerissen wurde, ein Mensch in Zivil trat ein und sagte:´ Sie sind doch von Papen?´ was ich bejahte. Er betrachtete mich und schrie die Leute, die mit ihm eintraten an:´ Schaut her, so wird bestes deutsches Blut im Zeichen der deutschen Volkgemeinschaft zugerichtet´. Er stellte sich als Dr. Olbertz vor und erklärte mir ergriffen:´ Meine Kollegen aus dem Staatskrankenhaus riefen mich an, ich kann es nicht mehr dulden, daß schon wieder ein Opfer aus diesem Hause getragen wird. Ich werde alles versuchen, Sie freizubekommen. ´ […]Am anderen Morgen wurde ich zur Vernehmung gebracht. Der Vernehmungsleiter Krüger erklärte mir, ich hätte Gruselmärchen über Oranienburg verbreitet. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen, Dr. Olbertz sprang herein und schrie mir entgegen:´ Sie sind frei.´ Die Vernehmung wurde abgebrochen. Zwei Sanitäter brachten mich in das Offizierskasino, dort nahm ich die erste Flüssigkeit wieder zu mir. […][18]

Wenige Tage später kam es eben mit jenem im obigen Zitat erwähnten Dr. Olbertz zu einer Unterredung in einem Berliner Cafe. Der Arzt klagte über die allgemeinen Zustände und die Arbeitsbedingungen, die ihn ständig konfrontierten mit den Verhörmethoden der Sicherheitsorgane. Interessant war nun für Felix von Papen folgende überlieferte Aussage des Arztes:

Auf meine Frage, weshalb er diesen Posten weiter bekleidete sagte er mir:“ Wenn ich gehe, kommt auf meinen Posten doch nur so ein Sadist, wie dieser Dr. Strauß, den Sie ja reichlich kennen. Ich kann so etwas nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.[19]

neuFelix von Papen schien trotzdem nicht ganz mittellos zu sein. Er konnte zumindest einige Zeit in Cladow am Wannsee bei Berlin Erholung suchen. Hier kam er mit Bediensteten benachbarter Grundstück in Kontakt, die sich allesamt über den Reichspropagandaminister Goebbels und  dessen Ehefrau Magda beschwerten,20 ebenfalls eine Mietpartei am Wannsee. Offenbar nutzte Goebbels seine Stellung als Mitglied der Reichsregierung, um zu Spottpreisen am Wannsee zu hausieren. Der berühmte Hans Albers hatte als Mietvorgänger am Goebbelschen Anwesen mehr als das Doppelte an Mietbeitrag gelöhnt, und er stand schon unter – zugegebenermaßen berechtigt – 21Mietsonderkonditionen. Aber auch hier in der ländlichen Ruheoase blieb das Treiben des von Papen nicht unbeobachtet. Eher ungewollt kam es zu verschiedenen Stippvisiten von ehemaligen Leidensgenossen aus seiner Internierungszeit. Die gebrochenen Schutzhäftlinge hatten wenig Schuld, aber Felix musste aus dem Berliner Umfeld verschwinden. München kam da gerade recht, und zu Beginn des Jahres 1936 kam es zum Umzug in die Bayernmetropole.

Von München nach Stuttgart

In München durfte oder musste Felix von Papen zunächst die Zeichen der Zeit akzeptieren. 22Der Nationalsozialismus hatte hier nicht nur seinen Anfang genommen, sondern „verschönerte“ durch die wuchtigen Parteibauten das altehrwürdige München. Die alte Kunststadt hatte neue Parteikünstler erhalten, und Kunst nach der Partei oder mit dem Parteibuch wurde dann eben durchgeführt. Einer dieser Künstler 24war der Spätimpressionist  Conrad Hommel, der eben mit seinem Malstil das Kunstverständnis der Nationalsozialisten widerspiegelte. Seine Porträts ranghoher Repräsentanten des Nationalsozialismus – alle Wichtigen waren unter ihnen – zeigte seine Nähe zum System, und er gehörte schließlich zu den  „Gottbegnadeten“, die vom Kriegsdienst vollständig befreit waren.[20] Charakterlich war Felix von Papen gefestigt (geblieben), denn im Sommer 1936 gab es den Entschluss, dass ein Brief an Hitler nötig wäre. Vergeblich versuchte der Papensprössling im Vorfeld eine Audienz bei Adolf Hitler zu erhalten, aber die Bürokratie versandete diesen Vorstoß. Interessant war an dieser Begebenheit, dass das familiäre Umfeld keine Unterstützung liefern konnte. Oder gar nicht wollte? Franz von Papen – obgleich der NS-Diplomat auf österreichischem Boden – war kein Ansprechpartner. Entweder lag persönlicher Familienzwist vor oder der verkappte Nationalsozialist Franz von Papen war grundsätzlich kein Ansprechpartner. Felix von Papen forderte in diesem Brief das klare Bekenntnis Hitlers zu den sadistischen Entartungen in den Gefängnissen oder die Rehabilitierung. Dieser Brief sollte diesem von Papen noch nachhängen. Anfang 1937 kam es tatsächlich zu einer schriftlichen Antwort, die aber den endgültigen Bruch mit Deutschland – zumindest unter dem Hakenkreuz – verdeutlichte:

27 „Durch dieses Schreiben läßt mir also der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler sein völliges Einverständnis mit all seinen Ausschreitungen dokumentieren.  Wenn man in diesem Brief schreibt, man könne mir keine Entschädigung auszahlen, weil ich wiederholt erklärt hätte, ich würde auf meine Entschädigung verzichten, so muß ich dem Leser sagen, daß ich zu dieser Erklärung mit der Faust gezwungen wurde. In jedem geordneten Staat bezeichnet man eine solche Handlungsweise Erpressung und wird mit Gefängnis bestraft. Die Widersprüche in diesem Schreiben verraten deutlich die Schwäche dieser Leute. Also ein Verdacht genügt heute in Deutschland einen Menschen einzusperren und halb totzuschlagen.[21]

Die Situation blieb auch für mich bei meinen Recherchen unübersichtlich und befremdlich. 28Warum gab es kein Hilfeersuchen von Seiten der hochrangigen Verwandtschaft? Konnte sich Felix von Papen nicht die Hintergründe seiner Inhaftierung vorstellen oder war er tatsächlich ein zufälliges Bauernopfer als Ersatz für den davongekommenen von Papen während der Röhm-Affäre. Die Internierung wurde bereits im Dezember 1933 veranlasst, und die durchaus mutige Marburg-Rede hielt Franz von Papen wenige Wochen vor der Liquidierungswelle. Die politischen Aktivitäten von Felix zu Beginn der dreißiger Jahre wären vermutlich in die unauffällige Ecke der Tagespolitik einzelner NS-Größen verschoben worden, aber möglicherweise gab ungewollt 29Franz von Papen mit seiner unklaren Haltung zum Nationalsozialismus den Anstoß zu Maßnahmen, und der freigeistige Felix blieb da auf der Strecke. Die Entlassung im Sommer 1934 wäre aus dieser Perspektive erklärbar, da man offenbar von Seiten der Reichskanzlei auch Franz von Papen nach seiner Demission der Vizekanzlerschaft zu einer „Bewährung“ im Diplomatenkorps verhalf. Das Streben nach Rehabilitierung verursachte bei den NS-Größen aber einen faden Beigeschmack, der in Erinnerung blieb. Felix von Papen hatte sich den Reichsinnenminister Frick als Helfenden auserkoren.

Der Reichskanzler Hitler habe mir sogar die Ordnungsmäßigkeit dieser Mißhandlungen dokumentieren lassen. Weiter berichtete ich ihm, ich zöge es vor, mit meiner Familie lieber in einem Negerdorf zu leben, als unter solchen Umständen in Deutschland. Sollte er mir nicht zu meinem Recht verhelfen können, möge er mir wenigstens einen Paß geben. An eine Gerechtigkeit in Deutschland könne ich nach meinen Erfahrungen nicht mehr glauben; dennoch würde ich in seiner Person etwas Hoffnung sehen. (Kommt Frick doch aus dem alten Beamtentum.)[22]

Felix von Papen war sich der neuerlichen Gefahr durchaus bewusst, aber sein Einsatz in Sachen Kontaktaufnahme zahlte sich zumindest vorübergehend aus. Bereits nach wenigen Tagen kontaktierte der persönliche Adjutant Fricks den um seine Rehabilitierung kämpfenden von Papen. Nun ging alles recht schnell, denn nochmals nach wenigen Tagen erfolgte ein Besuch durch einen gewissen Kielhuber, der im Auftrag des Reichsinnenministers zu berichten wusste, dass das mit der Rehabilitierung und 30Entschädigung demnächst in Gang gesetzt werden könnte. In der Zwischenzeit begutachtete und kommentierte mit scharfer Zunge Felix von Papen am Tag der Deutschen Kunst im Juni 1937 in München das Niveau der Repräsentanten des Dritten Reiches. Sein Rundumschlag zur Außendarstellung der NS-Elite zeigte die innere Abkehr vom Nationalsozialismus. Er konnte diesem Weltbild nichts abgewinnen. Das war keine große Überraschung, aber die politisch-unpersönliche Diskrepanz wurde nun ergänzt – und da spielte seine Haftzeit sicher eine erhebliche Rolle – durch persönliche Abneigungen den Repräsentanten des Neuen Deutschland gegenüber.

Die brutale Gewalt besiegte den Geist. Nacheinander stolperten die Parteigrößen aus ihren Wagen und versuchten sich den Ausdruck eines Kunstkenners aufzulegen. Das Niveau dieser Kulturträger spiegelte sich am klarsten in der erheblichen Zunahme ihrer Körperfülle wieder. Man mußte schon staunen, was hierin innerhalb vier Jahren geleistet wurde.[23]

31Die voluminöse Hassfigur bildete ohne Abstriche Hermann Göring. Der Initiator der Konzentrationslager, der Morphinist, Erzeuger der „sagenhaften Edda“[24] und doppelzüngige Machtmensch in der Röhm-Affäre verkörperte die Personifizierung der Distanzierung.

Göring, der König der Fetten, ließ den Gegensatz besonders stark hervortreten. Sorgenlos und mit einer kindlichen Unbekümmertheit lächelte er gleich einer Filmdiva dem Volke zu. […] Hinter dieser Maske steckt ein teuflischer Sadist, der in seinem Morphiumwahn zu jedem Verbrechen bereit ist, wenn es gilt, die Machtgier zu befriedigen. Ein Zeugnis hiervon legte er durch die Schaffung der Konzentrationsläger, außerdem durch die Reichstagsbrandstiftung ab. Göring kennt nur einen Begriff: Macht! Er liefert jederzeit seine besten Freunde ans Messer. Der berüchtigte 30. Juni 1934 gab uns die Bestätigung hierüber. Göring schlug sich erst dann auf die Seite Hitlers, als er merkte, daß die Chancen für Hitler und seine Genossen besser standen.[25]

33Der stellvertretende Gauleiter in Bayern, Otto Nippold, kam auch nicht besser weg, es gab bezüglich dieser Person keine Zurückhaltung. Das galt besonders für die moralische Befähigung.

[…] Nippolt versuchte sich vor der Machtübernahme seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsarbeiten wie Wasserpumpen, Versammlungen sprengen u.s.w. zu verdienen. Er lebte jahrelang mit einer Frau, welche ihm zwei Kinder schenkte, in wilder Ehe. Nachdem er nun zu Rang und Würden gekommen war, war ihm seine Freundin mit seinen Kindern nicht mehr gut genug. Er heiratete nicht die Frau, die ihm in den schwersten Tagen der Not treu zur Seite stand, sondern eine Frau aus der besseren Schicht. Obwohl er sehr verschuldet und von seinen Gläubigern zum Offenbarungseid gezwungen worden war, konnte er sich gleich nach der Machtübernahme eine Villa am Starnbergersee und den dazugehörigen Mercedes – Benz – Wagen mit Chauffeur leisten. […][26]

34Reichsjustizkommissar Frick – obgleich an ihn die Petition zur Rehabilitierung gerichtet war – schien ebenfalls in diese moralische Verkommenheit der NS-Größen zu passen. Wie treffend formulierte doch Felix von Papen in seiner Rückschau:

Ein anderer Wagen brachte den Reichsjustizkommissar und Minister für das Deutsche Recht: Dr. Frank. Frank zeigt durch seine Taten am besten, wie das neue Deutsche Recht, deren Gründer er ist, aussehen muß. Die erste Tat als Minister des Deutschen Rechts bestand darin, seinen Vater, der als Rechtsanwalt in München wegen Unterschlagung von Klientengeldern seine Praxis aufgeben mußte, wieder die Möglichkeit zu geben, seine asozialen Veranlagungen nachzugeben. Franks Vater durfte sein Amt wieder ausüben, die nächste Unterschlagung ließ nicht lange auf sich warten. Minister Dr. Frank erklärte schon im Jahre 1925 vor mehreren Münchener Anwälten, er überlege es sich schon lange, bei welcher Partei es am zweckmäßigsten sei, sich einzuschreiben. Er ahnte, wie so viele, daß in der NSDAP das größte Geschäft liege. Er behielt recht.[27]

35Arbeitsfrontführer Robert Ley oder Reichsjugendführer Baldur von Schirach kamen naturgemäß nicht besser weg in den Augen des Felix von Papen. Von Papen selbst hielt diesen Kunsttag lediglich für eine weitere Betäubungseinheit des Volkes, die  bei den Münchener aber überschaubare Wirkungen verursachte. Die Lage in dieser Stadt galt besonders Hitler als so suspekt, dass er persönlich die Stadtspaziergänge des populären bayrischen 36Kronprinzen Ruprecht verbieten ließ, da dieser als monarchistisch-republikanischer Sympathisant hätte nur unnötige Gedanken kolportiert. Möglicherweise hielt Felix von Papen seinen Verwandten Franz von Papen als zu sehr verstrickt in das von ihm so sehr verachtete politische System, um Protektion erfahren zu wollen über die verwandtschaftliche Schiene. Seine politische Nähe zeigte sich auch im Umgang mit den eigenen Familienangehörigen. Das war jedoch eine klassische Charakterstärke dieses Mannes; den Nationalsozialisten sprach er diese Stärke kategorisch ab. Die Spätfolgen seiner Internierung machten sich bei Felix von Papen nun bemerkbar. Auf ärztlichem Ratschlag hin nahm er nun Bäderkuren in Bad Cannstadt bei Stuttgart. Der Reichsinnenminister Frick war 38informiert und hatte durch den Kauf eines Gemäldes aus dem Privatbesitz des von Papen zunächst sein persönliches Wohlwollen dokumentiert. Wie ging es nun weiter? Die psychische Belastung, verursacht durch die Wartestellung während der Kur, verschlimmerte das Herzleiden bei von Papen. In Württemberg fand er – wie überall im Reich – eine grundsätzliche Antipathie vor gegenüber den Parteistatthaltern. Die Parteiarbeit und die Verdienste für die Partei in der Vergangenheit hatten ihren Preis gefordert in der Durchschnittlichkeit der Ämterbesetzung. Hier vor Ort machte man dem Gauleiter Murr seinen Lebenswandel zum Vorwurf, den er hätte sich nie und nimmer mit den auch von ihm propagierten tausend Mark Obergrenzengehalt selbst für Minister leisten können. Im August 1937 hielt es Felix von Papen nicht mehr aus und verfasste abermals ein Schreiben Richtung Innenminister Frick. Die Antwort kam, und die Erkenntnis aus diesem Schreiben war deutlich ziehen. Ein Reichsinnenminister hatte durchaus wohlgemeinte Ansinnen bei dem ihm übertragenen Fall des von Papen, aber die Partei bestimmte. Die Reaktion war der Entschluss zur Flucht aus diesem Vaterland, dem die Gerechtigkeit abhanden gekommen war. Seine Resignation kam Ende September 1937 in einem Brief an Frick zum Ausdruck:

Stuttgart, den 20.9.37

Sehr geehrter Herr Reichsminister!

Ich bin im Besitze Ihres abschlägigen Schreibens vom 14. D.M., worin wieder jede Begründung fehlt. Auf solch einen Bescheid war ich nun doch nicht gefaßt, obwohl mir von behördlicher Seite schriftlich erklärt wurde, daß man all diese tollen Zustände, die ich ertragen mußte, als „ordnungsgemäß“ bezeichnet. Ich lege Ihnen eine Abschrift eines Attestes meines Arztes bei. Die Kur, die derselbe mir empfiehlt, kann ich mir jetzt nicht mehr leisten. Andererseits mußte ich aber aus der Presse entnehmen, daß man Ausländer (Spanier) nach Deutschland kommen läßt, um dieselben auf Kosten des Staates auszuheilen. Einem deutschen Familienvater ist dies nicht möglich, obwohl der Staat hierzu wirklich die Verpflichtung empfinden müßte. Weitere Worte zu dieser erschütternden Tatsache sind mir auf Grund meiner katastrophalen Erfahrungen nicht möglich. Abschließend möchte ich jedoch noch feststellen, saß sich nach meiner Ansicht, die ich in meinem Brief vom 18. Juni schon zum Ausdruck brachte, indem ich sagte, daß ich an eine Gerechtigkeit in Deutschland nicht mehr glauben könnt, ich vollem Umfange bestätigt hat.

Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung[28]

  1. Jetzt ist Schluss! Die Ausreise 1938

Die Schlussfolgerung war eindeutig. Dem Land hatte Felix den Rücken zu kehren. Es machte keinen Sinn mehr. Selbst wenn seine konträren Ansichten und sein gesellschaftlicher Umgang zu Beginn der dreißiger Jahre den Nationalsozialisten aufstießen, lag Unverhältnismäßigkeit in der Behandlung seiner Person vor, zumal der eigene Verwandte ein hochrangiger Administrator war im System. Familiärer Schutz sah selbst für einen Schuldigen anders aus. Anfang 1938 kam es dann zur Ausreise. Die nationalsozialistische Bürokratie hatte ihm noch in freundlicher Atmosphäre den Reisepass übergeben – wohl nicht ohne Hintergedanken. Der Staat wollte Felix von Papen nicht mehr. Und Felix musste nach seiner Persönlichkeitsstruktur auch mit der Ausreise so handeln. Es ging zunächst in die Schweiz, und zur Sicherheit hatte er sich ein Leumundszeugnis ausstellen lassen. Hier kam der deutsche Staat ihm entgegen. Der Hintergedanke war offensichtlich. Felix selbst fuhr damit zweigleisig, denn nach der geplanten Veröffentlichung seiner Erlebnisse in Hitler-Deutschland traute er der Administration auf deutschem Boden für zukünftige Konfliktfälle berechtigt nicht mehr. Der Aufenthalt bei den Eidgenossen dauerte jedoch nicht lange an, denn nach dem Anschluss Österreichs und der Zunahme der NS-Sympathisantengruppen in der Schweiz 40ging es in die Niederlande nach Amsterdam, Heimat der Mutter. Dort kam es noch 1938 zur Veröffentlichung seiner Erlebnisse in Deutschland unter dem Titel: „Ein von Papen spricht… über seine Erlebnisse im Hitler-Deutschland“. Es war die Biographie eines Vertreters des dynamischen Widerstands. Anfängliche Hoffnung und Erwartungshaltung wurden durch Enttäuschung, persönliches Unrecht und aktiven Widerstand abgelöst. Der Offizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg sollte später in abgewandelter Form diese Widerstandsentwicklung erleben. Kurioserweise kam es nie zu einer großen Auflage dieses Werkes, das gerade den Anspruch und die biographische Wirklichkeit der Parteibonzen auf deutschem Boden karikierte. Es wurde auf niederländischem Hoheitsgebiet verboten, angeblich wegen defätistischer Äußerungen gegenüber einem „befreundeten“ Staat. Mehr Mut hatten die Franzosen. In der Exilzeitschrift „Die Zukunft[29] kam es zum Druck der Autobiographie. Die vorprogrammierte neuerliche Inhaftierung ließ natürlich nicht lange auf sich warten bei Kriegsausbruch und beginnender Besatzungszeit auf niederländischem Boden. Anfangs noch auf der Flucht, wurde er durch Denunzierung gefasst und in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht.[30]

  1. Endstation Buchenwald

Es ist zu diesem letzten Lebensabschnitt wenig bekannt. Franz von Papen zeigte – das ergeben zumindest die Recherchen – nach außen hin kein Interesse, und die Autobiographie als wahrer Internierungsgrund sollte aus verständlichen Gründen keine Breitenwirkung entfalten. Zu groß war die Angst der NS-Repräsentanten vor dem Gesichtsverlust. Ohnehin wäre der Inhalt des Buches nicht passend gewesen zu den in Kriegszeiten notwendigen Charaktereigenschaften einer Führungselite. Letztlich war dieser literarische Nachschlag von 1938 die Ursache für die nach Genugtuung und Rache strebenden NS-Bonzen. Offiziell starb er wenige Tage vor Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald durch US-Streitkräfte im April 1945 an den Folgen der Haftbedingungen. Überprüfen lässt es sich nicht mehr, da in den letzten Tagen der SS-Administration in Buchenwald die Planungen und Durchführungen der 41Evakuierungsmärsche nach Dachau und Flossenbürg[31] chaotische Zustände verursachten. Welche heimlichen Exekutionsbefehle der damalige Lagerkommandant Pister noch ausführen ließ, ist nicht belegt oder hinterlegt worden. Ausschließen kann man diese Todesvariante nicht, denn im August 1944 wurde Ernst Thälmann als Sühnemaßnahme für das Attentat auf Hitler im Juli 1944 in Buchenwald erschossen oder der Theologe  Dietrich Bonhoeffer 43noch im April 1945 aus Buchenwald nach Flossenbürg verlegt, um dort „in Ruhe“ von SS-Standartenführer Walter Huppenkothen in einem Schauprozess dem Henker zugeführt zu werden.[32] Unklarheiten blieben und konnten nicht endgültig der Klärung unterzogen werden, da tatsächlich die Haftbedingungen vor Ort (Arbeitsbedingungen, Unterernährung) die Möglichkeit zuließen, den Tod als Folge der Lagerhaft zu erklären. Felix von Papen hinterließ seine Ehefrau und drei Kinder.

Fazit

Es blieb bis zum Schluss unklar. Die Rolle des durchaus mit Einfluss versehenen Verwandten Franz von Papen entsprach nicht den jenem zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Felix von Papen war entweder ein zufälliges Willkür- und Ersatzopfer aus dem Papenzweig oder seine Internierung zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft 1933/1934 war nach nationalsozialistischen Maßstäben ein Muss. Bei meinen Recherchen konnte ich mich dem Verdacht auf Vertuschung oder Nichtzugänglichmachung von Informationen seitens der Papenfamilie nicht entziehen, vielmehr wurde durch ein Abblocken und durch das Nichtreagieren meine Vermutung genährt. Aber warum? Die Zerrissenheit innerhalb derer von Papen spiegelte nur die Zerrissenheit innerhalb des deutschen Volkes wider. Psychogramme und dargestellte Lebensstile der NS-Größen – anschaulich im autobiographischen Werk von 1938 beschrieben – entsprachen vollständig dem Meinungsbild der deutschen Bevölkerung. Das war auch der Grund für die dann wenig überraschende Neuinternierung 1940. Unerklärlich bleibt das Verhalten der nachfolgenden Generationen. Warum gab es keine Erinnerungskultur nach 1945 für Felix von Papen? Unter Umständen hätte man da auch Franz von Papen etwas positiv – unwissenschaftlich, aber familienverbunden – einbauen können. Es gab diese unerklärliche Zurückhaltung. Felix von Papen war ein Benachteiligter des NS-Systems, und spätestens seit 1938 als literarischer Widerständler problemlos den Widerstandsbegriffen aus der Geschichtswissenschaft zuzuordnen. Das Familienecho versagte, so wie schon zu Lebzeiten Möglichkeiten der Protektion nicht genutzt wurden. Die These  von der familiären Kollektivscham und die daraus resultierende Zurückhaltung ist noch ein Erklärungsmodell, eine Sonderform der Vergessenskultur. Einem Familienmitglied in der Not nicht geholfen zu haben, steht Angehörigen nicht gut zu Gesicht, schon gar nicht in den Aufarbeitungsphasen nach der Adenauerära. Oder war es die unliebsame Doppelmoral, die den Deutschen im Umgang mit dem Nationalsozialismus oft nachgesagt wird? Der eigene Verwandte fand kein Gehör im Nationalsozialismus, ging auf Distanz zum System und verlor sich in den Bücher- und Dokumentenregalen. Ein Verleugnen auf privater Ebene ging dann aber oft allzu sehr Hand in Hand mit einer lässigen Inkonsequenz bei Entnazifizierungen. Beispiele muss man für diese Doppelzüngigkeit nicht suchen, sondern sie können aufgelistet werden. Der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger, Reinhard Gehlen vom Bundesnachrichtendienst, Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer oder der unter Konrad Adenauer tätige Kanzleramtsminister Hans Globke hatten eine offenkundige NS-Vergangenheit. Einzelne Personen mit moralischer Motivation auf Widerstand wurden jedoch in der Vergangenheit angefeindet wie Herbert Wehner oder eben jener Felix von Papen, wobei bei Letzterem die Verschwiegenheit über den Tod hinaus die Anfeindung bedeutete. Wenn nicht der vollständige Zugang zu Dokumenten gewährleistet wird oder Angehörige – egal aus welcher Motivation heraus – blockieren, dann sind wissenschaftlich fundierte Schlussfolgerungen nicht möglich, sondern es entstehen bautechnische Gebilde auf Sand. Hier ist Zurückhaltung und Nachfrage in einem notwendig. Gut möglich ist, dass Felix von Papen aus Sicht der Nationalsozialisten als Faustpfand missbraucht wurde, um die Loyalität des Vizekanzlers Franz von Papen zu sichern. Das politische Klima 1933/1934 wäre dieser Sichtweise zugeneigt, kann aber mit der Marburger Rede ebenfalls wieder entkräftet werden. Die Erpressung war den Nationalsozialisten nicht unbekannt, gab es doch bei der Arisierung gerade im Wirtschaftsleben zahlreiche Belege dieser brachialen Kommunikationskultur vornehmlich gegenüber jüdischstämmigen Unternehmern.  Die Zeit wird einiges überwinden an Hemmungen oder Festlegungen. Interessant war bei diesem Projekt – oder besser auffällig – die allgemeine Reserviertheit von Familienangehörigen derer von Papen, egal aus welchem Zweig. Das nährt den Verdacht, 9dass etwas begraben bleiben soll, oder das Desinteresse ist schlichtweg die Begründung. Wie passend ist es doch, dass zumindest auf dem Werler Friedhof ein Gedenkstein zu Ehren des Felix von Papen aufgestellt wurde. Ob Desinteresse oder nicht, das mit dem Begraben scheint tief verwurzelt zu sein. Beides steht jedoch nicht in der Kritik, muss respektiert werden, obgleich der fachwissenschaftliche Blickwinkel in den korrekten Schlussfolgerungen dann unter seinen Möglichkeiten bliebe. Das ist der Preis, den die subjektiv und objektiv Themenbeteiligten zahlen müssen. Bibliographisch will man aber auf der Zeit sein, und daher erfolgte eine Digitalisierung der Autobiographie von Felix von Papen und kann in der Deutschen Nationalbibliothek abgerufen werden.

https://portal.dnb.de/bookviewer/view/1032656395#page/n5/mode/1up

Zum Schluss möchte ich einem von Papen das Wort überlassen, der diesen unklaren und  auch ambivalenten Teil in der Familiengeschichte beleuchtet:

Hallo Frau Seithe,

eben habe ich Ihre Arbeit gelesen. Ich bin Ihnen dankbar für diese Lebensgeschichte eines Verwandten. Gleichzeitig ist mir noch einmal deutlich geworden, wie wenig ich mich mit dieser Familie identifizieren kann. Es überrascht mich nicht, dass Sie so wenig Resonanz auf Ihre Anfragen bekommen haben, aber es ist natürlich traurig. Wenn ich mich mit Franz von Papen beschäftigt habe, ist mir oft aufgefallen, wie dieses „Haupt“ der Familie auf allen Seiten zugleich zu stehen scheint: Steigbügelhalter Hitlers 1933 und kritischer Mahner in Marburg 1934, Regierungsmitglied 1933 und völlig unschuldig an allem nach dem Krieg. An eine solche Wendigkeit bei Verwandten, die einem nahestehen, wird natürlich niemand gern erinnert. Und man möchte dann erst recht nicht an einen Familienangehörigen erinnert werden, der sich offenbar konsequent von den Nazis abwandte und dafür mit dem Leben bezahlte. Aber das ist natürlich Spekulation. Denn ich kann mich nur schwer in ein „typisches“ Mitglied der Familie von Papen hineinversetzen; dass ich keine entsprechenden Kontakte mehr habe, hatte ich Ihnen ja schon geschrieben. Der Name ist eine Mahnung, deswegen mag ich ihn. Seltsam, nicht? Mein Vater, von dem ich den Namen natürlich habe, hat sich schon früh aus meinem Leben verabschiedet. Und wenn ich mich auf Kindheitserlebnisse mit Verwandten väterlicherseits besinne, dann erinnere ich mich vor allem an eine „kulturelle Rechtslastigkeit“, die schwer in Worte zu fassen ist. In einem Bild: Ein sehr eigenartiges Land und es wundert mich nicht, dass Sie als Forscherin kein Visum bekommen haben.[33]

[1] Es handelt sich hierbei um die Linie Wilbring 1. Ferdinand von Papen-Wilbring (1805-1881) und dessen Ehefrau Antonie von Papen-Köningen (1814-1875) sind die Stammeltern der Wilbringer Nebenlinie I.

[2] Vgl. hierzu https://upload.wikimedia.org /wikipedia /de/f/f1/ Stammtafel _ Wilbring_I_%28Tafel_1%29.jpg

[3] Die entsprechende Emailkorrespondenz mit Angehörigen der Papen-Wilbrings liegt mir vor, wird aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht direkt eingebaut in die Ausarbeitung.

[4] Vgl. hierzu Felix von Papen, Ein von Papen spricht… über seine Erlebnisse im Hitler Deutschland, Copyright Felix von Papen, Amsterdam 1938, Printed in the Netherlands, Druck: N.V. Drukkerij G. J. Thieme, Nijmegen (Holland), S. 9.

[5] Es ist aus einer Emailkorrespondenz mit einem von Papen entnommen, der gegenwärtig in Berlin wohnt.

[6] Vgl. hierzu http://www.tempelhofer-unfreiheit.de/de/stadtspaziergang-tempelhofer-feld-1-columbia-haus-vergessener-ort-des-terrors und die Ausführungen des Felix von Papen in seinem autobiographischen Werk von 1938, a.a.O. S. 9ff.

[7] Vgl. hierzu http://www.stiftung-bg.de/kz-oranienburg/index.php?id=19 und die Ausführungen bei Felix von Papen, a.a.O. S. 12.

[8] Vgl. hierzu die Ausführungen bei Felix von Papen, a.a.O. S. 13f.

[9] Vgl. hierzu http://www.zeit.de/1969/40/was-geschah-in-friedrichshain.

[10] Vgl. hierzu die Ausführungen bei Felix von Papen, a.a.O. S. 14.

[11] Ebenda, S. 16.

[12] Die Marburgrede vom 17. Juni 1934 trug sicherlich nicht zur Unantastbarkeit des Vizekanzlers bei, und Hitler wollte sich zudem vornehmlich der nichtnationalsozialistischen politischen Größen um den 30. Januar 1933 herum entledigen, aber Franz von Papen war sicherlich nicht das Opfer im Dritten Reich. Der politische Werdegang bis 1944 war der Beleg dafür. Vgl. zum Röhm-Putsch die Informationen unter http://www.spiegel.de/einestages/75-jahre-roehm-putsch-a-948373.html. Ausführlich schildert auch Felix von Papen den Machtwechsel der Wachmannschaften im KZ Oranienbaum in seinem autobiographischen Werk von 1938, a.a.O., S. 15.

[13] Vgl. hierzu Felix von Papen in seinem autobiographischen Werk von 1938, a.a.O., S. 31.

[14] Ebenda, S. 33.

[15] Vgl. hierzu http://www.familie-von-alvensleben.de/index.php/personen-von-historischem-interesse-mainmenu-34/nach-1850-mainmenu-214/werner-neugattersl-1875-1947-mainmenu-218.

[16] Vgl. hierzu Anmerkung 14, S. 39.

[17] Ebenda, S. 42.

[18] Ebenda, S.46 ff

[19] Ebenda, S. 51

[20] Vgl. hierzu https://de.wikipedia.org/wiki/Conrad_Hommel.

[21] Vgl. hierzu Anmerkung 19, S.65 ff

[22] Ebenda, S.68

[23] Ebenda, S.69

[24] Edda Göring wurde durch eine künstliche Befruchtung gezeugt. Vermutlich kam es zu dieser künstlichen Befruchtung, da die Ehefrau, Emmy Göring, in tiefer Verachtung der Magda Goebbels verbunden war und der Kinderzeugung in nichts nachstehen wollte.

[25] Ebenda, S.69 ff

[26] Ebenda, S.74

[27] Ebenda, S.71

[28] Ebenda, S.76ff

[29] Die Zukunft war eine deutsch-französische Exilzeitschrift, die die Untertitel Ein Neues Deutschland: Ein neues Europa, Organ der Deutsch-Französischen Union und Journal Anti-Hitlérien trug. Sie erschien im Zeitraum zwischen dem Münchner Abkommen im September 1938 und dem deutschen Einmarsch in Frankreich im Mai 1940 in 81 großformatigen Exemplaren in Paris. Herausgeber war Willi Münzenberg, der bei der Finanzierung von Olof Aschberg und französischen Politikern aus dem Umfeld der Freimaurer Unterstützung erhielt. Chefredakteure waren Arthur KoestlerHans Siemsen und Werner Thormann. Zu den bekannten Autoren und Unterstützern der Zeitschrift zählten unter anderen: Ignazio SiloneAlfred DöblinThomas MannManès SperberSigmund FreudJulien BendaAldous Huxley und Franz Werfel. Die historische Publikation ist Forschungsgegenstand eines gemeinsamen Projekts des französischen Nationalarchivs in Paris und des Instituts für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum. Ausgangshypothese des Forschungsprojekts ist, dass die „Zukunft“ eines der bedeutendsten antifaschistischen Medien gewesen sei und zugleich letzte Einheitsbewegung der Anti-Hitleropposition vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Informationen können unter https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Zukunft abgerufen werden.

[30] Am 10. Mai 1940 beendete die deutsche Wehrmacht mit ihrem Überfall die lange Neutralität der Niederlande. In nur 5 Tagen wurde das ganze Land besetzt. Besonders traumatische Wirkung hatte die Bombardierung Rotterdams am 14. Mai 1940, die stattfand, obwohl die Übergabe der Stadt bereits an die deutschen Stellen durchgegeben worden war. Königin Wilhelmina war mit ihrem Kabinett nach England geflohen und baute dort eine Exilregierung auf, während in den Niederlanden der Österreicher Arthur Seyß-Inquart von Hitler als Chef der Zivilverwaltung zum Reichskommissar der besetzten niederländischen Gebiete ernannt wurde. Während der fünf Kriegstage herrschte in den Niederlanden Panikstimmung unter der Bevölkerung. Aus Angst vor der sogenannten „5. Kolonne“, also mit den Nationalsozialisten sympathisierenden Verrätern, wurden viele Mitglieder der niederländischen nationalsozialistischen Bewegung „N.S.B.“ interniert. Auch viele Deutsche traf dieses Schicksal und sogar einige Juden, die aus Deutschland vor den Nationalsozialisten geflüchtet waren. Dieser Auszug und entsprechende weitere Informationen können unter https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/geschichte/vertiefung/migranten/besatzung.html abgerufen werden.

[31] Vgl. hierzu http://www.buchenwald.de/463/.

[32] Vgl. hierzu https://de.wikipedia.org/wiki/Dietrich_Bonhoeffer.

[33] Die Aussagen stammen aus einer Emailkorrespondenz mit einem Familienmitglied derer von Papen.

Bildernachweis:

https://de.wikipedia.org/wiki/Papen-Wilbring

http://www.deutsche-schutzgebiete.de/metz.htm

https://www.bundesarchiv.de/oeffentlichkeitsarbeit/bilder_dokumente/00755/index-11.html.de

http://www.rothenburg-unterm-hakenkreuz.de/chronologie-i-1920-bis-1932-der-nationalsozialistische-weg-war-vorgezeichnet/

Ein von Papen spricht… über seine Erlebnisse im Hitler Deutschland, Copyright Felix von Papen, Amsterdam 1938, Printed in the Netherlands, Druck: N.V. Drukkerij G. J. Thieme, Nijmegen (Holland).

Das Buch befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe

http://www.thf-berlin.de/aktuelles-vom-standort/standortgeschichte/nationalsozialismus/kz-columbiahaus/

http://www.stiftung-bg.de/kz-oranienburg/index.php?id=19

Oranienburg, den 14. April 1934

Die Führung des Schutzhäftlings Felix von Papen

lässt sehr zu wünschen übrig. Bei der Arbeit ist er faul und grenzt sein sonstiges Gebahren an Frechheit.

Der Leiter des Konzentrationslagers: Hoerning

Sturmhauptführer.

Ein von Papen spricht… über seine Erlebnisse im Hitler Deutschland, Copyright Felix von Papen, Amsterdam 1938, Printed in the Netherlands, Druck: N.V. Drukkerij G. J. Thieme, Nijmegen (Holland)

Das Buch befindet sich im Privatbesitz von Samantha Seithe

http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/xsrec/current/3/pageSize/40/sn/edb?q=YToxOntzOjExOiJzYWNoYmVncmlmZiI7czoxMToiVml6ZWthbnpsZXIiO30=

http://www.gettyimages.co.uk/detail/news-photo/diplomat-politiker-dpapen-als-neuernannter-gesandter-auf-news-photo/541066397

https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Eicke

http://www.sachsen-anhalt-wiki.de/index.php/KZ_Lichtenburg

https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_von_Alvensleben

https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Oranienburg

https://de.wikipedia.org/wiki/Geheime_Staatspolizei

Rechnung für ambulante Behandlung Felix von Papen

Nähte, Verband, Schnittwunde a. l. Handgelenk am 3.9.1934

2 Reichsmark und 25 Reichspfennig.

Ein von Papen spricht… über seine Erlebnisse im Hitler Deutschland, Copyright Felix von Papen, Amsterdam 1938, Printed in the Netherlands, Druck: N.V. Drukkerij G. J. Thieme, Nijmegen (Holland)

http://www.villaoeding.de/7732.html

http://www.libertymagazine.com/war_reiss.htm

http://www.villaoeding.de/7732.html

Das Haus der Kunst ist ein Ausstellungsgebäude in der Münchener Prinzregentenstraße am südlichen Ende des Englischen Gartens. Es wurde von 1933 bis 1937 unter persönlicher Anteilnahme Adolf Hitlersnach Plänen von Paul Ludwig Troost in einem monumentalen Neoklassizismus als Haus der Deutschen Kunst errichtet.

https://de.wikipedia.org/wiki/Haus_der_Kunst

https://www.liveauctioneers.com/item/12569257_conrad-hommel-1883-1971

Antwortschreiben

Geheime Staatspolizei

Berlin, den 8. Januar 1937

Ein von Papen spricht… über seine Erlebnisse im Hitler Deutschland, Copyright Felix von Papen, Amsterdam 1938, Printed in the Netherlands, Druck: N.V. Drukkerij G. J. Thieme, Nijmegen (Holland)

http://www.muenchner-stadtmuseum.de/daueraustellungen/nationalsozialismus-in-muenchen.html

http://members.24speed.at/doncortez/id22.htm

https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Nippold

Röhm-Putsch 1934 / Titelbl. Völk. Beobachter

http://www.akg-images.de/archive/-2UMDHUH80R32.html

Franz von Papen als Diplomat

http://www.gettyimages.co.uk/detail/news-photo/papen-franz-von-politician-diplomat-germany29-10-1879-news-photo/541550993

Reichsinnenminister Dr.Frick

http://www.delcampe.net/page/item/id,167770670,var,SammelbildSammelwerk-Nr8-Deutschland-erwacht-Bild-Nr136-Reichsinnenminister-DrFrick,language,G.html

Arbeitsfrontführer  Robert Ley

https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Ley

Rupprecht von Bayern (* 18. Mai 1869 in München; † 2. August 1955 in Schloss Leutstetten bei Starnberg) war der letzte bayerischeKronprinz und Heerführer in der deutschen Armee im Ersten Weltkrieg.

Sein vollständiger Titel lautete bis 1918 Seine Königliche Hoheit Rupprecht Maria Luitpold Ferdinand Kronprinz von Bayern, Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben, Pfalzgraf bei Rhein.

http://www.akpool.de/ansichtskarten/246336-kuenstler-ak-kronprinz-rupprecht-von-bayern-uniform

Wilhelm Murr, Reichsstatthalter

http://ns-ministerien-bw.de/2014/12/wilhelm-murr-reichsstatthalter/

Die Zukunft war eine deutsch-französische Exilzeitschrift, die die Untertitel Ein Neues Deutschland: Ein neues Europa, Organ der Deutsch-Französischen Union und Journal Anti-Hitlérien trug.

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Zukunft_(Paris)

Deutsche Fallschirmspringer über den Niederlanden im Mai 1940

https://www.unimuenster.de/NiederlandeNet/nlwissen/geschichte/vertiefung/migranten/besatzung.html

Konzentrationslager Buchenwald

http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/30640746

SS-Sturmbannführer Hermann Pister

Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald

http://www.buchenwald.de/fileadmin/buchenwald/fotoarchiv/print.php?inventarnr=5669

Dietrich Bonhoeffer, Theologe

https://www.heiligenlexikon.de/BiographienD/Dietrich_Bonhoeffer.htm

 

Die Görings… Hermann und Albert, ein ungleiches Brüderpaar

                                  Die Görings

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                          Hermann und Albert, 

                     ein ungleiches Brüderpaar

 

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

  1. Familiengeschichte
  1. Kindheit/Jugend von Hermann und Albert
  1. Die Goldenen Zwanziger
  1. Hermann im Dritten Reich
  1. Albert im Dritten Reich
  1. Hermann 1945/1946
  1. Nachkriegsjahre Albert
  1. Albert nach Jad Vaschem?

Fazit

Quellenverzeichnis

Einleitung

Hermann Göring hatte schon 1923 als direkt Beteiligter am Hitlerputsch die Voraussetzungen gelegt für seine Machtfülle im Dritten Reich. Hitler mochte loyales Verhalten, die gemeinsame Zeit in der Frühphase der nationalsozialistischen Bewegung – durchaus mit Entbehrungen verknüpft – bildete die Erinnerungskultur der Führungselite nach dem 30. Januar 1933.

Hermann nahm nicht nur moralische Schuld auf sich. Er führte verbissen die Luftschlacht um England, richtete Industrie und Wirtschaft auf den europäischen Krieg aus, den er aus Überzeugung wollte, notfalls mit unlauteren Mitteln. Er war zumindest ein organisatorischer Antisemit, da er Direktiven herausgab für „abschließende Maßnahmen“ gegen die Juden.

Der jüngere Bruder Albert war das ganze Gegenteil von Hermann, und ließ sich nicht vereinnahmen. Er war weder Mitglied der NSDAP noch Winkestatist bei nationalsozialistischen Werbeaktionen. Er fälschte Unterschriften, organisierte neue Ausweispapiere oder befreite internierte KZ-Insassen.

In diesen zwölf Jahren zwischen Machtergreifung und Kapitulation sahen sich die Brüder Göring nicht häufig, allenfalls inoffizieller Natur. Aber Albert brauchte Hermann, und er benutzte ihn. Denn ohne seinen Bruder wäre er verloren gewesen, ohne dessen Rückhalt hätte ihn die Gestapo, die genau wusste, mit wem Albert Umgang hielt und was er trieb, verhaftet und umgebracht.

Die Brüder Göring blieben in Loyalität bis zum Schluss verbunden. Er ist mein Bruder, sagte Hermann über Albert, und erinnerte die Gestapo-Schergen daran, dass Familienangehörige tabu waren. So lässt sich der ganze Wahnsinn dieser Zeit am Beispiel dieses Brüderpaars erzählen.

  1. Familiengeschichte

Jeder besitzt einen mehr oder weniger bekannten Familienstammbaum mit mehr oder weniger vorzeigbaren Vertretern. Die Görings unterschieden sich in der Hinsicht in keiner Weise von anderen. Ein für die Familienreputation gern genommener Vorfahre der Görings war ein gewisser Michael Geringk, Jahrgang 1695, Zeitgenosse des Alten Fritz aus Potsdam, in dessen Diensten stehend und erster Namensträger des modernisierten Nachnamens „Göring“. Dieser „Ur-Göring“ konnte eine für damalige Verhältnisse beachtliche Beamtenkarriere im preußischen Staat vorweisen, und sein Enkel Wilhelm Göring erhöhte noch einmal den sozialen Status der Görings durch die Einheiratung in einen alteingesessenen Hugenottenadel aus Holland. eAm 31. Oktober 1838 erblickte dann Heinrich Ernst, Vater der Gebrüder Hermann und Albert, das göringsche Licht der Welt. Obwohl dem juristischen Werdegang verpflichtet und mit Richterposten im Wilhelminischen Kaiserreich belohnt , verursachten Unzufriedenheit, Ruhelosigkeit und familiäre Tragödien bei Heinrich Ernst eine Flucht in den diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes in Berlin. Ganz nebenbei zeigte seine persönliche Bekanntschaft mit dem damaligen Reichskanzler Bismarck erste Diensterfolge im Diplomatenkorps für den Quereinsteiger Ernst Heinrich. rBismarck war es denn auch persönlich, der ihm den wegweisenden Hinweis gab, zunächst in London in die Ausbildung und Erfahrungssammlung bezüglich europäischer Kolonialverwaltung zu gehen. Gesagt, getan, und Heinrich Ernst konnte nebenbei auch die familiäre Lücke schließen, die mit dem frühzeitigen Tod seiner ersten Frau Ida verursacht wurde.[1] Eine junge Frau namens Franziska Tiefenbrunn wurde seine zweite Frau, Stiefmutter seiner bisherigen Kinder und Mutter von Hermann und Albert. Sie folgte Ernst Heinrich Göring umstandslos nach London. Es brauchte nicht viel Anlernzeit, denn wenige Monate später kam schon die Berufung zum ersten Reichskommissar in der noch jungen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Ab 1885 blieb er für fünf Jahre im heutigen Namibia auf diesem Posten. Es war eine durchwachsene Amtszeit. Lediglich eine der tgrößeren Hauptverkehrsstraßen in der Hauptstadt Windhoek trug bis zur Unabhängigkeit Namibias 1990 seinen Namen. Zu schwierig war das soziale Terrain zu Zeiten des ersten Reichskommissars auf südwestafrikanischem Boden. Einheimische Herero und Nama waren zu zerstritten. Seine Schutzverträge mit Häuptlingen der Busch- und Hirtenvölker brachten keine langfristige Tragfähigkeit, da besonders der Namaführer Hendrik Witbooi wenig auf die Schutzbriefe gab und Land oder Viehherden benachbarter Stämme beraubte mit dem daran anschließenden Vertrauensverlust gegenüber der kaiserlichen Schutzmacht. Ernst Heinrich Göring hatte in dieser Auseinandersetzung auch persönlich zurückstecken müssen, da der Kommissariatssitz in Otjimbingwe nicht sicher vor Überfällen war und eine zeitweilige Räumung der Kolonie veranlasst wurde.[2] Franziska hatte ebenfalls gesundheitlich zu kämpfen mit dem Klima vor Ort und einer problematischen Schwangerschaft, die aber von einem Dr. Hermann von Epenstein mit ärztlichem Knowhow gemeistert wurde. Dieser Arzt mit jüdischen Wurzeln wurde über die Kolonialzeit hinaus ein enger Freund der Görings. Die relativ starke Vergessenskultur gegenüber Ernst Heinrich Göring lag auch in der Einrichtung eines ursprünglich sinnvollen „Schutzreservates“ für die bis dahin verfolgten einheimischen San begründet, aber der späterer Völkermord des Generals Lothar von Trotha auf südwestafrikanischem Boden überdeckte die durchaus administrativen Stabilisierungsbemühungen des ersten Reichskommissars. Auch nach seiner Rückkehr im Jahre 1890 blieb er der afrikanischen Bevölkerung verbunden, indem er auf die unmenschliche Behandlung der Ureinwohner hinwies. Dieses Engagement brachte ihm den Vorwurf der Sozialistennähe ein, in der Endphase der Sozialistengesetze immerhin eine Form der üblen Nachrede, Verunglimpfung und sozialer Ächtung in gewissen gesellschaftlichen Kreisen. Das politische Klima unter Wilhelm II. führte bei Ernst Heinrich Göring zum Entschluss, dass eine erneute diplomatische Tätigkeit weit ab vom Heimatland sinnvollerer Natur wäre und trat 1891 über das Auswärtige Amt in Berlin den Generalkonsulposten in Haiti an. Die eher unangenehmen Erfahrungen für seine Familie auf afrikanischem Boden sorgten dafür, dass wenige Monate später eine erneute Schwangerschaft seiner Frau Franziska mit Entbindung von Dr. von Epenstein auf deutschem Boden begleitet wurde. 1893 erblickte Hermann das Licht der Welt, blieb aber zur Pflege bei einer befreundeten Familie im bayerischen Mittelfranken. Der Vorname des zukünftigen Reichsmarschalls war dabei nicht willkürlich gewählt. Dr. von Epenstein war der Vornamensvetter; eben jener treue Freund, der schon in der heißen Kalahari den Görings ärztlichen Beistand lieferte. Den Erinnerungen seiner älteren Schwester Olga Therese zufolge war das erste Aufeinandertreffen zwischen den leiblichen Eltern nach ihrer Rückkehr aus Haiti und dem nun dreijährigen Hermann von unterkühlter Atmosphäre, wenn nicht sogar abweisend. Der Vater Ernst Heinrich missfiel sich in seiner Rolle als gPensionär. Körperlich schwach, von Krankheiten gezeichnet, konnte er keine feste emotionale Bindung mehr aufbauen zu seinen Kindern. Franziska selbst hatte in Dr. von Epenstein ihren Vertrauten und ihre Bezugsperson, vielleicht auch mehr als nur freundschaftliche Beziehungen. Ob Gerüchte hin oder her, in diese etwas verflochtene Familienkonstellation hinein kam 1894/95 eine weitere Schwangerschaft. Und am 9. März 1895 gebar Franziska einen weiteren Jungen mit dem Namen Albert.[3]

2.Kindheit/Jugend von Hermann und Albert

Die Beziehung zu von Epenstein war so ausgeprägt, dass die Görings auf den Besitzungen des ehemaligen Stabsarztes (u. a. Burg Veldenstein in Mittelfranken) ein und aus gingen, die Kinder der Görings praktisch aufwuchsen in Obhut des alten Familienfreundes Hermann von Epenstein. Die feste Beziehung zwischen dem kleinen Hermann aus dem Göringclan und dem alten Hermann, der gleichzeitig die einzige Bezugsperson darstellte, zeigte sich im Schulalltag. Hermann Göring war Schulrebell, wechselte die Schulstandorte und erlebte im Schulinternat Ansbach in Mittelfranken antisemitische Tendenzen an der eigenen Person. Sein Pate Hermann von Epenstein war Hauptfigur in einem der Aufsätze des jungen Hermann, und die Internatsleitung sanktionierte tatsächlich dieses „Fehlverhalten“, da die v. Epensteins eben den jüdischen Zweig in ihrer adligen Familienbiographie aufwiesen. Ungleich rabiater gingen seine Mitschüler vor, indem sie ihn mit einem Schild und der Aufschrift „Mein Pate ist ein Judehum den Hals über den Schulhof jagten. Das war ein personalisierter Pogrom, und der junge Hermann rächte sich in seiner für ihn typischen Art mit der Durchtrennung aller Saiten der Musikgeräte im Orchesterraum. Es war der geliebte Pate, der den jungen Hermann aus diesem schulischen Inferno rettete, indem er ihm einen Platz in der renommierten Kadettenanstalt in Karlsruhe unterbrachte. Hier lag der Beginn seiner im Ersten Weltkrieg getätigten Leistungen. 1912 kam bereits die Beförderung zum jLeutnant. Aufgeschlossen, wissbegierig und den klassischen Soldatentugenden wie Kameradschaft und Heldenmut zugeneigt, ließ eine soldatische Karriere nicht lange auf sich warten, und er begab er sich wie viele seiner Zeitgenossen mit Euphorie in die Wirren des Ersten Weltkrieges. Hermann wurde zum Jagdflieger ausgebildet, erkämpfte sich förmlich mehrere Kriegsauszeichnungen (u.a. das Eiserne Kreuz und den Pour le Mérite). Gegen Ende des Ersten Weltkrieges wurde er zum Kommandeur des sagenumwobenen Kampfgeschwaders „Richthofen“ ernannt, ghkonnte aber in den wenigen Monaten bis zur Kapitulation im Herbst 1918 keine Akzente mehr setzen. Der Mythos war aber geboren, und der zukünftige Reichsmarschall ließ denn später auch keine Situationen verstreichen, in denen er nicht von seinen „Abenteuern“ auf dem Schlachtfeld berichtete. Das Kriegsende verbrachte er noch soldatisch ehrenvoll. Das Kampfgeschwader wurde ordnungsgemäß nach Deutschland verlegt, aber er verlagerte seinen Lebensmittelpunkt nach Dänemark und Schweden als Militärberater und Schauflieger für die Maschinen des Flugzeugherstellers Antony Fokker. In Schweden lernte er auch seine lspätere erste Ehefrau Carin von Kantzow kennen. Das politische Deutschland nach der Monarchie war nicht seine Welt, und sofort nach dem ersten Kennenlernen 1922 schloss er sich denn auch dem charismatischen NSDAP-Führer Hitler an. öHitler sah in ihm eine Werbefigur für seine im Aufbau befindliche Sturmabteilung, denn Göring hatte einen exzellenten Ruf im öffentlichen Meinungsbild und in Militärkreisen. Am 9. November 1923 wurde Hermann Göring während des Hitlerputsches ernsthaft durch Gewehrkugeln verletzt, konnte sich aber in Bayern und Österreich bei Freunden und Weggefährten verstecken. Seine Schmerzen betäubte er in Österreich das erste Mal mit dem Narkotikum Morphium. Der „Morphinist“ Göring sollte erst kurz vor seinem Tod 1945/46 gezwungenermaßen durch die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg davon  Abstand nehmen. Albert war sensibel und schüchtern, nicht zwingend von anderer Natur, aber  ästärker im feingeistigen Charakter ausgeprägt. Kunst, Kultur und Musik waren seine Leidenschaften, und seine Aktivitäten im Ersten Weltkrieg brauchten sich in keiner Weise vor dem Hermannschen Fliegerass verbergen. Als Nachrichtentechniker hatte er das ein oder andere Kabel unter Beschuss reparieren müssen, mehrere Lazarettaufenthalte zeugten von dieser gefährlichen Zeit. Es war keine einfache Zeit für Albert, und diese Erfahrungen prägten ihn. 1918 wurde er dann nach wiederholter Verletzung kurz vor der Kapitulation mit notdürftig versorgter Bauchschussverletzung aus dem Militär entlassen. Der Lebensmittelpunkt für Albert war nun München, wo er bis 1923 Maschinenbau studierte und seine ersten beiden Ehefrauen Marie von Ammon und Erna von Miltner kennenlernte.

  1. Die goldenen Zwanziger

Albert konnte zumindest eine bürgerliche Fassade aufrechterhalten, wohingegen Hermann eine Odyssee nach der anderen vollbrachte. Aufgefordert, sein vorübergehendes Domizil in Österreich zu verlassen, ging er 1925 nach Schweden. Die seit dem Hitlerputsch 1923 vereinnahmende Drogensucht konnte Hermann hier nur bedingt erfolgreich therapieren. Vorübergehend gab es sogar eine Zwangseinweisung mit obligatorischer Zwangsjacke in eine Nervenheilanstalt, die er aber nach konstruktiver Zusammenarbeit mit den Ärzten vor Ort nach wenigen Wochen verlassen konnte. Wie ein Rettungsanker muss es Hermann vorgekommen sein, als der neue Reichspräsident Paul von Hindenburg eine Generalamnestie aussprach für die Putschisten. Hermann konnte endlich wieder auf deutschem Boden alte Kontakte erneuern und seinen Kriegsheldenmythos nicht unbar im Dienste alteingesessener Firmen wie BMW präsentieren. Auch die Kontaktwiederaufnahme zu Hitler zahlte sich aus. Ab 1928 saß er für die NSDAP im Reichstag und koordinierte die  Lobbyarbeit aus Adel, Industrie und Reichswehr. Bruder Albert blieb diesem Politkreis fern, verachtete die Nationalsozialisten und sah in Hitler völlig richtig den Kriegspropheten. yBeruflich wechselte er 1928 nach Österreich zu Junkers (wohl nicht ohne Unterstützung seines Bruders Hermann). Die resolute Abkehr Alberts verdeutlichte bereits die kommende Konfrontation mit dem Funktionsträger Hermann.

  1. Hermann im Dritten Reich

Neidlos mussten auch die Zeitgenossen Görings in der Spätphase der Weimarer Republik dessen Geschick auf dem diplomatischen Parkett anerkennen. Sein durchaus internationales Flair öffnete die ein oder andere Sponsorentür in der Berliner High Society, ganz im Gegensatz zu den Brüllschlachten Goebbels auf der Straße. 1931 gab es dann für Hermann einen familiären Rückschlag. Carin Göring starb nach langem Leiden. Seinen Landsitz in der brandenburgischen Schorfheide nannte der Reichsmarschall ohne große cVerwunderung später „Carinhall“. In seiner Funktion als Reichstagspräsident konnte er unbewusst viel Trauerarbeit leisten. Er widmete sich diesem politischen Amt mit vollem Einsatz. Redetalent, taktische Finessen in Reichstagsversammlungen und ein organisatorisches Talent förderten die schleichende Akzeptanz nationalsozialistischer Gedankengänge in Politik und Gesellschaft. Hermann Göring war zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft unumstrittene Nummer Zwei in der Hierarchie. Der damalige französische Botschafter Poncet gab folgende Charakterisierung über Göring:

Er war geschickt, schlau, kaltblütig, mutig und von eisernem Willen. Skrupel kannte er nicht. Und er war Zyniker. Obwohl er großherzige Regungen und Ritterlichkeit kannte, konnte er von unerbittlicher Grausamkeit sein.[4]

Göring war Antisemit, gab aber im gleichen Atemzug seinen bekannten Spruch „Wer Jude ist, bestimme ich![5] von sich. Er stellte bis in die Endphase des Nationalsozialismus sogenannte Schutzbriefe aus, war amüsierter Zuhörer der berühmberüchtigten Flüsterwitze, konnte aber als gnadenloser Sympathisant in der Röhmaffäre seine hemmungslose und intrigante Kaltschnäuzigkeit kaum zügeln. Er war Vertreter des Laissez-faire, aber er vertrat auch mit Wissen und ohne Gewissen die Mordaktivitäten im Zweiten Weltkrieg. Der französische Diplomat lag völlig richtig in seiner Einschätzung. Ein ambivalenter Charakter mit theatralischen Zügen. Dieser Wesenszug war bis zu den Nürnberger Prozessen zu beobachten. Ein weiteres Merkmal war die Ämteranhäufung. Angefangen beim Reichstagspräsidenten noch in der Weimarer Republik, ging es zum preußischen Ministerpräsidenten und bekannten Reichsminister für Luftfahrt. Der passionierte Jäger blies jahrelang auch unter dem Reichsjägermeisteramt in Jägerkreisen zur Jagd. Als Beauftragter des Vierjahresplanes hatte er schon frühzeitig Kenntnis von Verdienste zum Feldmarschall, auch seiner organisatorischen Hitlers Kriegsplänen und –strategien. Hitler ernannte 1938 Göring für dessen Leistungen wegen bei der vAufstellung der „Legion Condor“. Diese Flugzeugstaffel  unterstützte den spanischen General Franco im Bürgerkrieg im Kampf gegen die Volksfrontregierung mit beachtlichem Erfolg. Die in der Reichskristallnacht verursachten Sachschäden hatten die Juden mit einer Sondersteuer von einer Milliarde Reichsmark zu finanzieren. Hermann war hier der wesentliche Agitator im Hintergrund. Ein Kriegstreiber war er jedoch nicht, da er in den Wochen vor dem Kriegseintritt der Engländer und Franzosen um diplomatische Vermittlung bemüht war. Wie treffend prophezeite er doch, der Ende August 1939 offiziell zum Nachfolger Hitlers auserkoren wurde, die moralischen Aspekte der deutschen Kriegsführung:

Wenn wir diesen Krieg verlieren, dann möge uns der Himmel gnädig sein.“[6]

Die militärischen Leistungen des Reichsmarschalls spiegelten den verlauf des Zweiten Weltkrieges aus deutscher Sicht wider. Den gut koordinierten Sturzkampfflugzeugen war nichts an Gleichwertigem aus alliierter Sicht entgegenzustellen. Die Blitzkriegphasen bis zum Russlandfeldzug verdeutlichten diese Überlegenheit, die aber gekoppelt war an die Erfolge und Überlegenheit der Landstreitkräfte. Bereits die Luftschlacht um England oder die Städtebombardements 1940/1941 zeigten Defizite der Luftwaffe in der alleinigen Kriegsführung oder eingeschränkte Kriegsstrategien. nDie Flächenbombardements auf deutsche Großstädte in der Endphase des Zweiten Weltkrieges hatten ihre Ursache in der falschen Weichenstellung für die Luftkriegsrüstung. Die Schlacht um Stalingrad zeigte mehr als deutlich die geringe Schlagkraft der Luftwaffe bei von Landtruppen losgelösten Operationen. Die Zunahme der alliierten Bombergeschwader verursachte bei Hermann einen Persönlichkeitsverfall. Das Versagen der Abfangjäger konnte weder gut verkauft noch vertuscht werden. Der Reichsmarschall rettete sich in seine leidliche Morphiumsucht, die ihn aber antriebslos werden ließ, zumindest auf dem Gebiet der effektiven Abwehrmaßnahmen. Der unter den Wunderwaffen befindliche Düsenjäger ME 262 kam 1944 zu spät und ging nie in Serie. Der direkte Verlust an Ansehen und Kredit für den würdigen und nachfolgenden Zeitgenossen des Roten Barons Manfred von Richthofen wurde kompensiert durch überzogenen Luxus, finanziert und begleitet durch Raubkunst in den eroberten Gebieten. Einige Exponate aus der Raubkunst standen z. B. bis wenige Tage vor der Kapitulation auf Carinhall. Hitler hielt ungewöhnlich lange an Göring fest. Die gemeinsamen nationalsozialistischen Anfänge und die unbestrittenen Verdienste am Ende der Weimarer Republik waren ein Pfund in der Weltanschauung Hitlers, aber parteiinterne Rivalen wie Martin Bormann oder Heinrich Himmler vereinnahmten Hitler immer mehr.[7] Erst kurz vor Kriegsende – Hitler hatte von inoffiziellen Kontakten Görings zu alliierten Unterhändlern erfahren – wurde Hermann Göring aus allen Ämtern ausgeschlossen und zur Verhaftung freigegeben. Einer möglichen Exekution kam der Reichsmarschall durch seinen Übertritt in die amerikanische Kriegsgefangenschaft zuvor.

  1. Albert im Dritten Reich

Der Bruder des Zweiten Mannes im Nationalsozialismus hätte zumindest in den dreißiger Jahren ein luxuriöses Leben führen können, aber er entschied sich für eine berufliche Tätigkeit in Österreich. Es kam noch schlimmer, denn er verband es mit der Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft. Albert hatte persönliche Abneigungen gegen Hitler, und die übertrug er auf seinen Bruder. Folgende Worte geben klar die unmissverständliche Einstellung wider:

Ach, ich habe in Deutschland einen Bruder, der sich mit diesem Mistkerl Hitler eingelassen hat, und mit dem wird es noch böse enden, wenn er so weitermacht. Ich spucke auf Hitler, ich spucke auf meinen Bruder, auf das ganze NS-System.“[8]

Von Beginn an zeichnete sich Albert durch Hilfsaktionen und –begehren aus für jüdischstämmige Freunde und Bekannte. Die Ehefrau von Hans Moser wurde unter Mithilfe von Albert nach Budapest gebracht. Er suchte trotz Abneigung notfalls den persönlichen Kontakt zu Hermann, so z. B. in der Eheangelegenheit des Komponisten Franz Lehár. Seine jüdische Frau wurde kurzerhand zur „Ehrenarierin“ ernannt. Es war eine Kennzeichnung, die zumindest pro forma Schutz gewährte auf dem Gültigkeitsboden der Rassengesetze. Hier handelte Albert durchaus pragmatisch. Seinen Freund Oskar Pilzer internierte 1937 die Geheime Staatspolizei. Obwohl Österreicher, erreichte er auch hier durch die Hintertürintervention bei Hermann die Freilassung seines deutschen Freundes. Er kannte die Machtbefugnisse Hermanns und wusste diese zu nutzen. Das ist aber ein eindeutig nachvollziehbares und wenig verruchtes Motiv, da es nie zu seinem eigenen Vorteil ausartete. Nach dem Anschluss Österreichs verweigerte er demonstrativ die Teilnahme an einer Massenveranstaltung, um Hitler in Wien reden zu hören. Himmlers Schergen waren bereits wenige Tage nach der Eingliederung auf der Suche nach potentiellen Feinden, Himmler selbst noch mit dem Ausbau des Konzentrationslagers Mauthausen beschäftigt, da organisierte Albert schon Fluchtprogramme für Arbeitskollegen und Freunde. Für seinen Arbeitskollegen Dr. Seletzky organisierte er die Geldtransfergeschäfte in die Schweiz und organisierte ihm ein Ausreisevisum. Seinem jüdischen Hausarzt verhalf er mit dessen Familienangehörigen zur Ausreise. Der Name bedeutete schon Schutz. Die Hilfe ragte bis in die höchsten politischen Kreise hinein. mDer österreichische Kanzler Schuschnigg wurde nach der „Wiedereingliederung“ faktisch unter Hausarrest gestellt in einem Wiener Hotel unter demütigenden Schikanen der Bewacher. Albert wurde informiert, und damit wurde Hermann informiert und beendete dieses unwürdige Schauspiel. Vor Handgreiflichkeiten für Schutzbedürftige waren auch die nationalsozialistischen Schergen nicht gefeit. In einem Handgemenge mit SA-Männern befreite Albert eine Jüdin in der Wiener Innenstadt aus den Händen des Mobs. Die kurzzeitige Festnahme endete nach Hörung des Namens mit der sofortigen und auflagenfreien Entlassung. Es war klar, dass bei diesen Aktivitäten Albert bei der Volksabstimmung im April 1938 über den „Anschluss“ ein wenig überraschendes „Nein“ ankreuzte. Folgen gab es aber nicht für Albert, zumindest sind keine überliefert. Albert vergab eben nicht nur Freibriefe, sondern nutzte auch die familiäre Konstellation zum persönlichen Freibrief. Der Legende nach fand 1938 in Wien-Grinzing ein Treffen der Görings statt, auf dem Hermann Göring jedem der Anwesenden einen Wunsch freigegeben hatte. Albert wünschte sich uneigennützig die Freilassung des alten Erzherzogs Joseph Ferdinand, der schon nach Dachau verfrachtet wurde. Der völlig unpolitische Habsburger war am nächsten Tag frei. Es konnte zügig gehen, und sowohl Albert als auch Hermann waren nicht grundsatzdebattierender, fanatischer Natur. Der Antinazi Albert nahm sich sogar einmal eine Bürste, um gemeinsam mit Juden in Wien Straßen zu säubern. Nachdem – wie so oft – die SA-Mannschaften aus den Papieren den Namen entnahmen, ließen sie ihn sofort gewähren oder zügig aus der Untersuchungshaft entlassen. Selbst den Nazischergen war ein Gefangener mit direktem Draht zum Reichsmarschall zu heiß. Des Öfteren reagierte er als Reaktion auf „Heil Hitler“ mit dem Gegenspruch „Leckt mich am Arsch!“ Es war ein Spiel für Albert, aber er stand stets im Bewusstsein der inszenierten und kurzfristigen Verhaftungszeit. Er kannte die Mentalität der Beamten, die nie und nimmer am Bruder des zweiten Mannes im Staat hätten Hand angelegt. Privat kam es Ende der dreißiger Jahre zu einer Familientragödie. Albert half vielen Leuten, aber der Krebs im Endstadium seiner Frau Erna war mächtiger. In dieser Zeit lernte er einen Dr. Kovac kennen, der ihn als Mittelsmann gewinnen konnte, um über finanzielle Transaktionen Juden sicher nach Lissabon zu führen. Nach dem Tod seiner Frau arbeitete er in den Skodawerken bei Pilsen. Den dortigen Exportleiter Bruno Seletzky, ein Mann mit jüdischen Wurzeln und in den vorangegangenen Zeilen schon Erwähnung gefunden, konnte Albert vor dem Zugriff der Nationalsozialisten bewahren und sicher in die Schweiz überführen. Der Wille zum aktiven Widerstand war so ausgeprägt, dass Albert selbst in Briefen den Anschein vermittelte, es handelte sich um Anweisungen seines Bruders, und diese wurden dann tatsächlich ausgeführt, wie die Entlassung eines Dr. Charvat aus Dachau zeigte. Die Geheime Staatspolizei hatte natürlich bald ein Auge auf diesen umtriebigen Bruder geworfen, aber Hermann stand als unüberwindbares, freilich ungewolltes Hindernis dazwischen. Geschickt nutzte Albert die Persönlichkeit Hermann aus, um die ein oder andere Hilfsaktion umzusetzen.[9] Der eitle Hermann demonstrierte nur allzu gern seine Macht, und dieser Einfluss kam – ob gewollt oder nicht – vielen Menschen zugute aus dem Bekanntenkreis Alberts. Selbst der gefürchtete ffReinhard Heydrich kam dem Hilfeersuchen nach Freilassung von Arbeitskollegen Alberts entgegen in Prag. Gerade dieses Entgegenkommen zeigte aber auch die Machtstellung Hermann Görings im nationalsozialistischen Machtapparat. Faktisch bis zum Kriegsende konnte Albert – bedingt durch seine Anstellung als Exportchef für Skoda – ein relativ sorgenfreies Leben führen in materieller Hinsicht. Der nur mündlich überlieferte Höhepunkt seiner Rettungsaktionen stellte die Befreiung jüdischer Häftlinge dar aus dem kKonzentrationslager Theresienstadt. Mit einigen Lastwagen fuhr er unbeirrt in offizieller Note als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Skodawerke nach Theresienstadt, um dort Häftlinge zu rekrutieren, die er aber wenige Kilometer vom Sammelpunkt frei ließ. Selbstbewusstes Auftreten, der Familienname und die ein oder andere Unterschriftenfälschung auf dem Briefpapier des Bruders reichten oft aus, die verblüfften Nazischergen zu passiven Statisten werden zu lassen. Die Gestapo war zur Untätigkeit trotz besseren Wissens verdammt, da selbst Heinrich Himmler im Unklaren lag, ob nicht Alberts Bruder Hermann selbst Auftraggeber dieser provozierenden Aktionen war. Zumindest auf diesem Gebiet war Hermann ein klassischer Bruder, der Albert in bedrohlichen Lagen stets zu Hilfe kam. Es war eine der wenigen angenehmen Charaktereigenschaften des Reichsmarschalls. Eigentlich stellten die Aktivitäten Alberts eine Zuständigkeit für den Volksgerichtshof dar mit vorhersagbarer Bestrafung, denn auch Dienstgeheimnisse wurden dem tschechischen Widerstand zugespielt, die bis auf die zuständigen Bürotische in London und Moskau wanderten. Da er seinen Lebensmittelpunkt seit dem Tod der ersten Frau in Tschechien hatte, war es nicht verwunderlich, dass er hier seine zweite Frau Mila Klazarova kennenlernte, eine ehemalige Schönheitskönigin. Himmler, Heydrich und Begleitmannschaften tobte, da sie das tschechische Volk lediglich für niedere Arbeiten bis hin zur Ausrottung auserkoren hatten, und nun bandelte ein Göring in diesem Volk an. Aber auch hier zeigte sich der Einfluss Hermanns deutlich, obwohl er aus Kompromissgründen nicht auf der Hochzeit erschien mit obligatorischem Geschenk. Die Blutvermischung stieß dem Reichsfeldmarschall übel auf, aber Ausnahmen waren immer möglich, und der Bruder hatte ohnehin den besseren Draht zum Luftwaffenchef als die parteiinternen Rivalen. Bis kurz vor Kriegsende blieb Albert seiner tschechischen Wahlheimat treu, setzte sich bei jeder Gelegenheit für die Mitarbeiter von Skoda ein oder kämpfte für die Gehaltsfortzahlung an die Familien internierter Skodamitarbeiter.

bbDer Prager Polizeichef Karl Frank wollte Albert 1944 „endlich“ verhaften, aber der übermächtige Bruder steuerte im Hintergrund den Schutz. Manfred von Killinger wurde ganz offen von Albert als Mörder tituliert. Der Gesandtschaftsrat war am Attentat auf den ehemaligen Außenminister Walter Rathenau beteiligt, und neben diesem Mörder wollte Albert nicht sitzen. Diese Bemerkungen spielte man von Killinger zu, und die Gestapo nahm sich seiner an. Am Ende gab es die Schutzintervention Hermanns…wieder einmal. Hinter vorgehaltener Hand wurde das Dienstbüro Albert Görings als Einsatzzentrale für „arme Tschechen“ geführt, aber die Polizei hatte keine Handhabe und zeigte ihre Weisungsgebundenheit deutlich unfreiwillig auf. Es ist anzunehmen, dass der verspätete Fall des Reichsmarschalls wenige Tage vor Ende des Dritten Reiches letztlich das Leben rettete von Albert, da zu diesem Zeitpunkt Albert ( und Hermann ) nicht mehr greifbar waren für die NS-Justiz.

  1. Hermann 1945/1946

Im Mai 1945 wurde Hermann Göring im luxemburgischen Mondorf interniert. Die nnInszenierung entsprach dem Charakter des Luftwaffenchefs. Ein eigener Kammerdiener, lackierte Fuß- und Fingernägel, zahlreiche Kleiderkoffer, kostbarer Schmuck, ein stattliches Reisegepäckgeld und Unmengen an Paracodin-Tabletten als Morphiumersatzmittel dokumentierten den abgehobenen Lebensstil, der wahrlich etwas deplaziert wirkte im Internierungslager „Ashcan“. Die Sachen wurden dem prominenten Gefangenen natürlich bis auf die notwendigsten Sachen sofort abgenommen, aber die Abnahme blieb vermutlich oberflächlich, da die mitgeführten Zyankaliampullen unbemerkt blieben. Sie blieben in Reichweite des korpulenten Reichsmarschalls und spielten 1946 für den letzten Akt im Leben des einst mächtigsten Mannes nach Hitler das notwendige Hilfsmittel. Weitere ranghohe Nationalsozialisten wie Albert Speer Joachim von Rippentrop oder Karl Dönitz kamen in dieses Zwischenlager als Zugriffsbecken für die dann kommenden Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg. Diese illustre Runde ranghoher Vertreter des Nationalsozialismus, von den Amerikanern spöttisch als „Abschlussklasse 1945“ bezeichnet, bestand dann doch mehr oder weniger aus sich untereinander anfeindenden und eitlen Parteibonzen, militärischen Betonköpfen und fanatischen Antisemiten. Es blieb

Im luxemburgischen Badeort Mondorf-Les-Bains richteten die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein von der Öffentlichkeit streng abgeschirmtes "Interrogation Center" ein. Es waren keine Badegäste, sondern die Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse wie Hermann Göring, Joachim von Ribbentrop, Albert Speer und Julius Streicher, die in dem Hotel untergebracht wurden, bis ein Ort für die Prozesse gefunden war.
Im luxemburgischen Badeort Mondorf-Les-Bains richteten die Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein von der Öffentlichkeit streng abgeschirmtes „Interrogation Center“ ein. Es waren keine Badegäste, sondern die Hauptangeklagten der Nürnberger Prozesse wie Hermann Göring, Joachim von Ribbentrop, Albert Speer und Julius Streicher, die in dem Hotel untergebracht wurden, bis ein Ort für die Prozesse gefunden war.

eine groteske Situation in diesem streng abgeschirmten Hotel. Stacheldrahtzäune, behängt mit Tarnnetzen als Sichtschutz, und Wachtürme mit schwerbewaffneten Wachmannschaften versperrten der breiten Öffentlichkeit einen Zugang zum Alltag der Resteprominenz aus der nationalsozialistischen Ära. Die Lagerleitung versuchte alles in ihrer Macht stehende zu tun, um verantwortungsentziehende Selbstmordaktionen zu verhindern. Keine Rasierklingen, keine Krawatten, nur Löffel als Besteck oder Drahtglas als Glasfensterersatz wurden konsequent als Maßnahmenkatalog eingeführt. Der rechtsstaatliche Prozess wurde angestrebt. Aus dem Erinnerungsbericht des damaligen Gefangenenarztes Ludwig Pflücker war zu entnehmen, dass die Prominenz banale Charakterzüge aufwies wie jeder Durchschnittsbürger. Die Leute freuten sich kindisch über Sonderrationen an Schokolade, sonnten sich in den Liegestühlen auf der Hotelterrasse, spazierten im Hotelgarten und hielten einander selbstmitleidbesetzte Vorträge. Die banale Begleiterscheinung des Bösen und Unerklärlichen fand hier eine konzentrierte Sichtbarwerdung. Es kam wie bei jeder Ansammlung von Menschen, die Cliquenbildung ließ nicht lange auf sich warten. Interessant war, dass Hermann grundsätzlich gemieden wurde von allen Mitwirkenden in diesem bizarren Kammerspiel. Erika Mann, die Tochter des Schriftstellers Thomas Mann, bezeichnete diese Bewachung von Unschuld, Unwissenheit und selbstsicherer Arroganz als überaus gespenstisches Abenteuer mit Irrenhausmentalität.[10] Die schon optisch kkherausragende Überfliegerfigur dieser Versammlung war sicher Hermann Göring. Grundsätzlich wurde in diesen Tagen mit Zylinder gegessen am Gefangenentisch. Er fühlte sich noch immer als Nachfolger Hitlers, obwohl der Führer sich wenige Tage vor dem Untergang für Goebbels entschieden hatte. Seine Liege musste verstärkt werden, und sein Kleiderstil war eher ungewöhnlicher Natur. Ein rotgeblümter Schlafrock oder der schwarzseidene Pyjama hoben den offensichtlichen Kriegsverbrecher ab von der klassischen Sträflingskleidung seiner Mitgefangenen. Zumindest die Tablettensucht wurde erfolgreich bekämpft, auch wenn es ein schwieriger Weg war mit Herzattacken, Angstschweiß und Schweißausbrüchen. Eine gewisse Vorfreude überkam dem Reichsmarschall hinsichtlich der bevorstehenden Prozesse in Nürnberg. Im Entzugswahn philosophierte Hermann über mögliche Strategien im Kampf gegen seine Peiniger von der alliierten Anklägerbank, natürlich begleitet von aufflammenden Scheinwerfern, die den pompösen Göring richtig in Szene setzen sollten. Der Gerichtssaal hatte die Funktion einer Bühnendekoration in der Wahrnehmungswelt des Hermann Göring, und das dazugehörige Verhalten eines Schauspielers mit Hauptrollenvereinnahmung folgte dann ununterbrochen auf der Angeklagtenbank. Mitte August ging es dann in die juristische Höhle der Sieger nach Nürnberg. Die alte Reichstagsstadt war nicht willkürlich ausgewählt. Die Reichsparteitage und die Rassengesetze gingen symbolisch unter völkerrechtlichen Aspekten in Nachklausur. eeHermann kannte das Ergebnis, und der Weg dorthin sollte nach seinen Spielregeln erfolgen. Zeit genug hatten alle Inhaftierten in Nürnberg für die Eingewöhnung, denn die Prozesse starteten erst im November 1945. Die Verteidigung war durchaus geschickt gewählt, der Chefankläger Jackson hatte so seine Mühe gehabt mit dem redegewandten Hermann, aber die erdrückende Beweislast konnte nicht diplomatisch verwässert werden.[11] Das vveTodesurteil nahm er gelassen auf, denn – wie erwähnt – lagen in Griffweite die erlösenden Kapseln für den theatralischen Freitod mit Erinnerungsgarantie. Die Henker kamen wenige Stunden zu spät, er hatte sich am Tag der Hinrichtung der von fremder Hand geplanten Bestrafung selbst entzogen. Das war das Verständnis von Würde, Anstand und Selbstbestimmung des Hermann Göring. Die Leiche wurde eingeäschert, und Göring und die anderen Hingerichteten erhielten eine anonyme Bestattung.[12]

  1. Nachkriegsjahre Albert

Familiären Anstand besaß Hermann Göring. In einem Gespräch mit dem Gefängnispsychologen entlastete Hermann unmissverständlich Albert:

Er war stets das genaue Gegenteil von mir. Er interessierte sich nicht für Politik oder das Militär; ich schon. Er war still, zurückgezogen; ich liebe Menschenansammlungen und die Geselligkeit. Er war schwermütig und pessimistisch, ich bin ein Optimist. Aber er ist kein schlechter Kerl, dieser Albert.[13]

Der Name war jedoch bei Kriegsende ein zu erwartender Fluch. Der Bruder einer der mächtigsten Männer im Nationalsozialismus sollte angeblich ein Menschenfreund und in Abwehrhaltung zum Nationalsozialismus gewesen sein? Die alliierten Verhörspezialisten der Spionageabwehr konnten oder wollten es zunächst nicht glauben. Albert war durchaus gesprächsbereit gewesen, kooperierte, konnte sich aber nicht genügend verkaufen. Eine mehrmonatige Haftzeit begann. Er gab vereinzelte Namen an, die er rettete, aber seine Nähe zu Hermann verleugnete er ebenso wenig. Er konnte es auch nicht, da sie ja oft die nachträgliche Absegnung bedeutete für die Rettungsaktionen. Er gab in den Verhören nach bestem Wissen und Gewissen die Informationen preis, verdeutlichte seine Nichtparteimitgliedschaft und seine Nichtteilnahme an politischen Aktivitäten. Der Grundverdacht der Mitschuld blieb. Albert saß hadernd in den Gefängniszellen. Er fühlte sich betrogen, hatte er sich doch freiwillig den Amerikanern gestellt und wurde nun unter Generalverdacht gestellt. Und die Namenslisten von Geretteten wurden offenbar nicht geprüft. Nach einer Odyssee von Verhören kam er Mitte 1946 nach Darmstadt. Hier gab es den Kommissar Zufall. Einer der dortigen Verhörspezialisten namens Victor Parker erkannte auf der Gerettetenliste den Namen Lehár. Es las den Namen seines Onkels und bestätigte die ihm bekannten Rettungsaktionen des mutigen und couragierten Bruders. Das Vernehmungsprotokoll schloss denn auch mit den folgenden, wenig überraschenden Worten:

G. wurde als Bruder von Hermann Göring verhaftet. G. war nie Mitglied der nnnnPartei oder der angegliederten Organisation und war in Deutschland aber auch in Österreich, wo er die letzten 15 Jahre verbrachte, als Antifaschist bekannt. G. wurde 1933 aus Opposition zum Dritten Reich österreichischer Staatsbürger und blieb in der Hoffnung in Österreich, dort als freier Mensch in einem demokratischen Staat leben zu können. Nach der Besetzung Österreichs nutzte G. seinen Einfluss auf seinen Bruder, mehrere Menschen zu helfen, die in beiliegender Tabelle aufgelistet sind. Die meisten dieser Menschen können leicht ausfindig gemacht werden, falls sie als Zeugen gebraucht werden. Die letztere  Schilderung wird von dem Verfasser dieses Protokolls für wahr gehalten, da dem Verfasser persönlich bekannt ist, das G. Franz Lehar geholfen hat, dem Onkel des Verfassers. Es wird empfohlen G. zu entlassen.[14]

Die Amerikaner waren zumindest nun der Überzeugung, dass dieser ungewöhnliche Gefangene zu entlassen sei, allerdings nur aus der amerikanischen Gefangenschaft. Prag wartete (angeblich), zumindest nach amerikanischem Meinungsbild, und daher gab es eine prophylaktische Auslieferung an die Tschechen. Der Argwohn saß zu tief, und diese Vorurteile sollten Albert das Leben noch schwer machen.[15] Zunächst quartierte man ihn im berüchtigten Pankrác- Gefängnis ein, das nur so grundversorgt war mit Kriegsverbrechern, Plünderern und Mördern. Zahlreiche Skoda-Mitarbeiter machten mit sofortiger Wirkung Werbung für Albert. Sie berichteten von seinen Rettungsaktionen, schickten Telegramme und Briefe zum tschechischen Präsidenten. Die Gerichtsverhandlung in Prag zeichnete sich durch das Fehlen von Schuldbeweisen aus. Dieser Unschuldsdruck war zu groß und musste bei den tschechischen Behörden zum Einlenken führen. Im März 1947 erfolgte die Entlassung, und die österreichische Botschaft in Prag nahm ihn auf. Seit April 1947 hielt er sich in Wien auf. Kurzzeitig bemühten sich die Amerikaner noch um einen Zwangsaufenthalt in Nürnberg für Zeugenaussagen im dortigen Prozessmarathon, aber Albert konnte sich dem amerikanischen Behördenapparat entziehen. Er blieb aber nach der Entlassung ein gebrochener Mann, denn die körperliche und psychische Belastung in der Haftzeit hatten Spuren hinterlassen. Einige Zeit lebten er und seine Frau Mila mit der gemeinsamen Tochter Elisabeth in Salzburg. Die materielle Ausstattung blieb verbesserungswürdig. Der gesamte Besitz wurde beschlagnahmt, ständige Wohnungsdurchsuchungen mussten einkalkuliert werden, der Nachname war eine Bürde auf dem Arbeitsmarkt und seine Frau floh förmlich – mehr vor Albert als vor der allgemein erdrückenden Lebenssituation – nach Peru.eeee Zu Beginn der fünfziger Jahre gab es erste kleine Entspannungen. Ich München erhielt er eine Anstellung in einer Baufirma. Die Deutschen hatten aber so ihre Probleme mit dem Göring aus dem Nationalsozialismus. Der Chef der Firma gab ihm zu verstehen, dass ein Arbeitsplatzwechsel notwendig wäre, da sich die komplette Belegschaft gegen ihn ausgesprochen hätte. Er ging kommentarlos zu seiner Lebensgefährtin Brunhilde Seiwaldstätter in die Münchener Wohnung und versuchte danach durch gelegentliche Übersetzungen, mittels staatlicher Hilfe oder durch Spenden ein vernünftiges Leben zu führen. Die Last des Namens war zu groß. Die letzten Jahre lebte er völlig zurückgezogen mit Brunhilde, die er kurz vor seinem Tod noch heiratete, damit sie wenigstens in den Genuss einer Witwenrente kommen sollte. Am 20. Dezember 1966 starb Albert in München, beerdigt auf dem Waldfriedhof und seit jjjj2008 nach der Einebnung des Grabes offiziell auch ohne ehrenden Anlaufpunkt über den Tod hinaus. Er war als Flüchtlingshelfer willkommen in einer Diktatur, aber als Hilfebedürftiger in einer Demokratie ungleich schwerer den Ablehnungen ausgesetzt.

  1. Albert nach Jad Vaschem?

Hermann Göring machte sich – unabhängig vom Blickwinkel – schuldig im Zeitalter des Nationalsozialismus. Der Beauftrage des Vierjahresplanes kannte das Rekrutierungssystem für die Zwangsarbeit und die Behandlung der Zwangsarbeiter in den Arbeitslagern. Die Berichte aus den Vernichtungslagern blieben ihm nicht vorenthalten. Jedes Detail aus der Hermannbiographie wurde mehr oder weniger ausführlich in der Medienwelt thematisiert. Albert blieb eine Fußnote und nur dem Kenner der Materie vertraut. Er war ein Beispiel für die Aufarbeitungs- und Erinnerungskultur der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Name war belastender als die nachweislich zum aktiven Widerstand zählenden Aktivitäten des Albert. Die Geretteten und Hinterbliebenen gaben iiiiZeugnis ab ( Liste mit 34 geretteten Personen), aber der Zeitgeist dämmte und verschleierte. Die geringe Aktenlage aus der NS-Zeit ist noch nachvollziehbar, aber das Desinteresse und die kollektive Ausgrenzung nach 1945 preisen den Weg zur Doppelmoral. Eine Gratwanderung ist der Name für das Holocaustmuseum Jad Vaschem in Jerusalem.[16] Der Judenretter Albert, ein Menschenfreund, der sich gerade in seiner Zeit in Böhmen und Mähren nicht nur einmal und ungewollt einer realen Gefahr aussetzte, sogar die Entlassung von KZ-Internierten organisierte, hatte eben diesen älteren Bruder, der das nationalsozialistische Herrschaftssystem repräsentierte in weiner exponierten Stellung. Darf dieser Albert den Titel „Gerechter unter den Nationen“ tragen? Albert war Nichtjude, und die erste Voraussetzung im Anforderungskatalog ist erfüllt. Jetzt müssen nur noch – vornehmlich von fachwissenschaftlich orientierten Historikern – die Belege für die zahlreichen Befreiungs- und Rettungsaktionen zusammengetragen werden. Legende und Wahrheit müssen voneinander losgekoppelt sein, und einer gerechten Beurteilung der Leistungen Alberts steht nichts mehr im Wege. Diese formale Überprüfung ersetzt aber nicht die unwissenschaftliche Frage nach der Vertretbarkeit der Aufnahme eines Görings in Jad Vaschem. Das ist Angelegenheit der zuständigen Kommission.[17]

Fazit

Die unvollständige Quellenlage und die immer weniger werdenden Zeitzeugen erschweren ein objektives Leistungsbild, das sich aus einer objektiven Leistungsbilanz ergibt für die Rettungsaktionen von Albert Göring. Das unklare Bewertungsbild Alberts, das die alliierten Geheimdienste von ihm hatten, zeigte die schwierige Informationsbeschaffung zum jüngeren Bruder. Dieser Umstand verdeutlichte besonders den Vorsichtigkeitsgrad im Umgang mit der Geheimen Staatspolizei. Und Hermann sicherte weitgehend ungewollt und ungefragt nachträglich die Aktivitäten ab.

Unabhängig vom Grad der Bestätigung des aktiven Widerstandes, der Umgang mit Albert nach 1945 zeigte deutlich den ambivalenten Charakter der Deutschen mit der Vergangenheitsbewältigung. Ein Mann mit familiärer Bindung zu einem der Protagonisten des Nationalsozialismus hatte Existenzschwierigkeiten, aber die halbherzige Entnazifizierung in der Bundesrepublik brachte Menschen hervor, deren direkte oder indirekte Beteiligung am Aufrechterhalten des totalitären Systems unbestritten war. Personen wie Reinhard Gehlen (Bundesnachrichtendienst), Hans Globke (Kanzleramtsminister) oder Hans Filbinger (Ministerpräsident in Baden-Württemberg) hatten eine administrative Vergangenheit im Nationalsozialismus.

Auf persönlicher Ebene – losgelöst von der konkreten Zeitepoche – waren das Brüderpaar eine Belegsituation für charakterliche Unterschiede innerhalb einer Familie mit verschiedenen Lebenswegen und Schwerpunktsetzungen, aber auch familiären Bindungen in heiklen Situationen. Der typische Familienzusammenhalt war – und diese Bebachtung zeigt die Banalität und Gewöhnlichkeit auch für die Spitze in einer gesellschaftlichen Hierarchie – auch bei den Görings zu beobachten. 

Quellenverzeichnis

[1] Vgl. hierzu Wyllie, James, Albert Göring … Gegen Hitler, meinen Bruder und alle Nazis, Verlag Magnus Essen, 2006, S. 13f.

[2] Ebenda S. 14.

[3] Ebenda, S. 14f.

[4] Vgl. hierzu http://www.lexikon-drittes-reich.de/Hermann_G%C3%B6ring.

[5] https://books.google.de/books?id=7SIFAQAAIAAJ&q=bestimme.

[6] Vgl. hierzu http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/3862150/-dann-moge-uns-der-Himmel-gnaedig-sein.

[7] Vgl. hierzu Burke, William Hastings, Hermanns Bruder: Wer war Albert Göring?, Aufbau Verlag 2012, S. 98.

[8] Vgl. hierzu https://books.google.de/books?id=9OPXAgAAQBAJ&pg=PT40&lpg=PT40&dq=Ach,+ich+habe+in+Deutschland+einen+Bruder,+der+sich+mit+diesem+Mistkerl+Hitler+eingelassen+hat&source=bl&ots=CEZMW9BH0W&sig=sbuQi96xLFF9KxNHQtXzocwMYIw&hl=de&sa=X&ved=0CB0Q6AEwAGoVChMI5KbSiKqAyQIVg90sCh0OVgeP#v=onepage&q=Ach%2C%20ich%20habe%20in%20Deutschland%20einen%20Bruder%2C%20der%20sich%20mit%20diesem%20Mistkerl%20Hitler20eingelassen%20hat&f=false

[9] Vgl. Wyllie, James, a. a. O., S. 185.

[10] Vgl. hierzu http://www.spiegel.de/einestages/ns-elite-in-gefangenschaft-hotel-der-kriegsverbrecher-a-948559.html.

[11] Vgl. hierzu Anmerkung 9, S. 194.

[12] Vgl. hierzu http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/nuernberger-prozesse-half-us-soldat-goering-beim-selbstmord-a-340664.html.

[13]  Vgl. hierzu https://books.google.de/books?id=9OPXAgAAQBAJ&pg=PT29&lpg=PT29&dq=Er+war+stets+das+genaue+Gegenteil+von+mir.+Er+interessierte+sich+nicht+f%C3%BCr+Politik+oder+das+Milit%C3%A4r;+ich+schon.+Er+war+still,+zur%C3%BCckgezogen;+ich+liebe+Menschenansammlungen+und+die+Geselligkeit.+Er+war+schwerm%C3%BCtig+und+pessimistisch,+ich+bin+ein+Optimist.+Aber+er+ist+kein+schlechter+Kerl,+dieser+Albert&source=bl&ots=CEZMWbAHWW&sig=CoYuj-yKv4_p-lTQk20ODv0_mpk&hl=de&sa=X&ved=0CCcQ6AEwAWoVChMIvOSJ0PCAyQIVJHxyCh0ZlwY4#v=onepage&q=Er%20war%20stets%20das%20genaue%20Gegenteil%20von%20mir.%20Er%20interessierte%20sich%20nicht%20f%C3%BCr%20Politik%20oder%20das%20Milit%C3%A4r%3B%20ich%20schon.%20Er%20war%20still%2C%20zur%C3%BCckgezogen%3B%20ich%20liebe%20Menschenansammlungen%20und%20die%20Geselligkeit.%20Er%20war%20schwerm%C3%BCtig%20und%20pessimistisch%2C%20ich%20bin%20ein%20Optimist.%20Aber%20er%20ist%20kein%20schlechter%20Kerl%2C%20dieser%20Albert&f=false.

[14] Vgl. hierzu https://books.google.de/books?id=9OPXAgAAQBAJ&pg=PT126&lpg=PT126&dq=G.+wurde+als+Bruder+von+Hermann+G%C3%B6ring+verhaftet.+G.+war+nie+Mitglied+der+Partei+oder+der+angegliederten+Organisation+und+war+in+Deutschland+aber+auch+in+%C3%96sterreich,+wo+er+die+letzten+15+Jahre+verbrachte,+als+Antifaschist+bekannt.+G.+wurde+1933+aus+Opposition+zum+Dritten+Reich+%C3%B6sterreichischer+Staatsb%C3%BCrger+und+blieb+in+der+Hoffnung+in+%C3%96sterreich&source=bl&ots=CEZMW9CGWR&sig=GkNoy46HV55J5ECn_T08hZoOwuw&hl=de&sa=X&ved=0CB0Q6AEwAGoVChMIr-rQlq2AyQIVRtssCh2iowiQ#v=onepage&q=G.%20wurde%20als%20Bruder%20von%20Hermann%20G%C3%B6ring%20verhaftet.%20G.%20war%20nie%20Mitglied%20der%20Partei%20oder%20der%20angegliederten%20Organisation%20und%20war%20in%20Deutschland%20aber%20auch%20in%20%C3%96sterreich%2C%20wo%20er%20die%20letzten%2015%20Jahre%20verbrachte%2C%20als%20Antifaschist%20bekannt.%20G.%20wurde%201933%20aus%20Opposition%20zum%20Dritten%20Reich%20%C3%B6sterreichischer%20Staatsb%C3%BCrger%20und%20blieb%20in%20der%20Hoffnung%20in%20%C3%96sterreich&f=false.

[15] Vgl. hierzu und für den allgemeinen Überblick die Dokumentation auf ZDFNEO mit dem Arbeitstitel „Görings vergessener Bruder“, ausgestrahlt am 20. Juli 2015 um 20.15 Uhr.

[16] Vgl. hierzu https://charismatismus.wordpress.com/2013/03/15/yad-vashem-israel-plant-eine-ehrung-von-albert-gohring-als-gerechter-unter-den-volkern/

[17] Vgl. hierzu http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91346615.html und Wyllie, James, a.a.O., S. 265.

Hermann Göring

https://en.wikipedia.org/wiki/Hermann_G%C3%B6ring

Albert Göring

http://www.telegraph.co.uk/history/world-war-two/9922835/Hermann-Goerings-brother-may-be-recognised-for-saving-Jews-during-Holocaust.html

Heinrich Ernst Göring

http://ww2gravestone.com/people/goering-hermann-wilhelm/

Otto von Bismarck

http://www.rollingstone.com/culture/lists/beyond-pope-francis-10-more-conservatives-who-have-gone-liberal-20140128/otto-von-bismarck-19691231

Hauptverkehrsstraßen in der Hauptstadt Windhoek

https://kubon-sagner.e-bookshelf.de/products/reading-epub/product-id/24551/title/G%25C3%25B6ring.html

Familie Göring mit Dr. Eppenstein

http://biogra.0catch.com/goering.htm

Hermann Göring

http://biogra.0catch.com/goering.htm

Hermann Göring

http://biogra.0catch.com/goering.htm

Hermann Göring

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/kriegsverlauf/luftschlacht-um-england-194041.html

Hermann und Carin von Kantzow

https://www.pinterest.com/pin/299419075202496533/

Hermann Göring 9. November 1923

https://www.pinterest.com/pin/337699672035449575/

Albert und Erna von Miltner

http://www.dailymail.co.uk/news/article-1264738/The-Goering-saved-Jews-A-new-book-reveals-Hermann-masterminded-Final-Solution-brother-Albert-rescued-Gestapo-victims.html

Junkers Werke

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/45/Bundesarchiv_Bild_183-R14718,_Dessau,_Junkers-Werke.jpg/220px-Bundesarchiv_Bild_183-R14718,_Dessau,_Junkers-Werke.jpg

Carinhall

http://www.schatzsucher.de/index.php?option=com_content&task=view&id=103&Itemid=170

Hermann als Reichsmarschalls

http://ww2gravestone.com/people/goering-hermann-wilhelm/

http://www.lwl.org/marsLWL/de/instance/picture/MZA-K924-Luftschutz-1933.xhtml?oid=11418

Hermann Göring bei der Jagd

http://austriaforum.org/af/Bilder_und_Videos/Historische_Bilder_IMAGNO/Gewehre/00157421

Anschluss Österreich

http://www.n-tv.de/politik/Goerings-guter-Bruder-article6600801.html

Kanzler Schuschnigg

http://www.gettyimages.de/detail/nachrichtenfoto/the-chancellor-schuschnigg-austrian-politician-with-nachrichtenfoto/55756875

Reinhard Heydrich

http://ottofredriksson.tripod.com/denazist.html

Theresienstadt

http://www.deathcamps.org/reinhard/pic/biggeneralview.jpg

Nürnberger Prozess

http://www.dailymail.co.uk/news/article-1264738/The-Goering-saved-Jews-A-new-book-reveals-Hermann-masterminded-Final-Solution-brother-Albert-rescued-Gestapo-victims.html

Hermann als Angeklagter

http://www.ksta.de/politik/nuernberger-prozess-in-zahlen,15187246,13767686.html

Hermann beging Selbstmord

http://ww2gravestone.com/people/goering-hermann-wilhelm/

Albert verhaftet

http://publikative.org/2012/07/21/albert-goring-ein-leben-im-schatten-des-bruders/

Albert mit 60 Jahren

http://lighttothelight.tumblr.com/post/40673047222/the-heroism-of-albert-goering-brother-of-hitlers

Einebnung des Grabes

http://www.n-tv.de/politik/Goerings-guter-Bruder-article6600801.html

Die Liste

http://www.auschwitz.dk/albert.htm

Albert Göring

https://www.tumblr.com/search/albert%20goering

Von Asteroiden und Atombombe

Gedankenspiele im Wartestand

Es ist kurz nach 17 Uhr, nasskalt, grelldunkel, und der kaum sichtbare Sternenhimmel ist von wenig einladender Atmosphäre an diesem 26. Januar 2015. Das kaum durchdringende Mondlicht verliert jeglichen Charme in diesem tristen Waschküchenklima. Meine am Nachmittag mühsam errichtete Reflektor-Teleskop-Anlage auf der elterlichen Dachterrasse kommt nicht sonderlich gut zum Vorschein. Meine Arbeitseinheiten in der Vorbereitung zur Sternenschau im trüben Frühabend bleiben denn so mehr verborgen als offengelegt. Das Westfalenland war als Ausgangsort für die Beobachtung des Asteroiden mit der Kennung 2004BL86 ohnehin  nicht die beste Standortwahl, aber das mit der Hoffnung …

Ich stehe nun auf der Dachterrasse mit hoffnungslosem Versuch eines Weitblickes von fast einer Million zweihunderttausend Kilometern[1] in den abendlichen Wetterwolkenhimmel hinein auf der Suche nach 2004BL86. rrrrWenig Hoffnung gäbe es übrigens bei diesem Kaliber von  erdnahem Gesteinsgeschoss im Falle des Aufpralls. Die umgeknickten Bäume an der Steinigen Tunguska 1908 wären dagegen ein reiner Schuljungenstreich. Ein ungleich kleinerer metallischer Bahnkreuzer aus dem All zeigte ja schon seine Wirkung in Tscheljabinsk 2013. Ist das unterschätzte Gefahr oder Ausdruck einer unbewussten Verhaltensnorm? Mir kommen so die Gedanken, denn …

Auffallend ist, dass bei allen Lösungsstrategien die Kernphysik eine  „Ultima Ratio“ einnimmt mit der Atombombe als ihrer Versinnbildlichung, sozusagen das gute Mittel mit dem bösen Zweck. Es ist eine negative Besetzung. Natürliche Prozesse in Form von Spaltung und Kernfusion können einer Bedrohung von außen in Form eines Asteroideneinfalls begegnen. Nuklearer Sprengstoff ist wirkungsvoll als Impulsgeber für Umlaufbahnänderungen bei erdnahen Asteroiden. „Nuclear explosives are particularly powerful, and can be used to deflect an asteroid that is too large to be diverted by any other means”, meint eben nicht nur der amerikanische Astrophysiker David S. Dearborn  vom Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien.[2]

Meine Überlegungen kommen zum Stillstand. Der Nieselregen nimmt zu, so wie die Ungemütlichkeit auf der Dachterrasse. Der Aufprall der Regentropfen auf meinem übergroßen Regenumhang verursacht ein detonierendes Dauergeräusch in meinen Ohren. Die Wassertropfen perlen an der Schutzplane vom Orbinar 203-800 EQ4 Reflektor-Teleskop ab und vereinigen sich auf den Terrassenfliesen zu sternenförmigen Rinnsalmustern. Meine Gedankenspiele nehmen wieder  rasant Fahrt auf, da …

Die kosmischen Bomben aus Gestein und Metall können in Abhängigkeit von der eigenen Dichtebeschaffenheit nach der Kollision mit den  atomaren Gegenspielern im Kosmos zum atomaren Meteoritenhagel auf die Erdatmosphäre degenerieren. Dieses Szenario wird der außerirdischen Pest und der irdischen Cholera zugleich gerecht. „Was ist, wenn die von Menschenhand gemachte Atomkraft aus Versehen zurückkommt nach Explosion mit all den Spaltprodukten?“, wird nicht ohne Grund nicht nur der resolute Atomkraftgegner fragen.[3] Dieser Disqualifizierung der Asteroidenforschung kann eigentlich nur durch eine verstärkte Asteroidenforschung begegnet werden. Zwei Minuten vor Eintritt in die Erdatmosphäre brauchen die Alarmsirenen nicht mehr …

Hundegebell ertönt aus der Ferne, überdeckt das monotone Aufschlagen der Regentropfen und zwingt mich zur Abkehr jedweden Gedankens an Abwägungsplanspielen. Das Problem ist jetzt ganz irdischer Natur und setzt die bildlichen Alarmsirenen frei. Die permanente Dauerberieselung von oben fordert ihren Tribut. Der Regenumhang passt sich fast nahtlos meiner Körperoberfläche an. Diese zweite Haut ist für den Bewegungsdrang und das Tragegefühl unangenehm, obgleich die Regenbekleidung in Funktion und dunklem Farbton der Situation angemessen ist. Ähnliches erleidet das Teleskop. Die nasse Schutzplane legt sich in schwerer Last auf das Orbinar. Mein verlängertes Auge in den Abendhimmel hinein ist nicht nur sinnbildlich verdeckt. 2004BL86 ist mit seinen 15 Kilometern pro Sekunde kurz vor 19 Uhr auch aus meinem theoretischen Sichtfeld, aber die nun irdischen Gedankenspiele in das Blickfeld gerückt mit …

Die Asteroidenkrater im südafrikanischen Vredefort und auf der Yucatanhalbinsel zeigen den Endzeitcharakter dieser außerirdischen Bedrohung. Die Friedenstaube oder der verordnete Weltfrieden sind keine geeigneten Mittel. Die Bedenken zur atomaren Schlagkraft sind ausschließlich durch die irdischen Einsätze oder Aussetzer der Vergangenheit bedingt (Hiroshima, Nagasaki, Bikini-Atoll, Tschernobyl). Ein klares Bekenntnis kann es jedoch nicht geben, da der Mensch noch zu instabil an der Nahtstelle gegensätzlicher Auswirkungen im Umgang mit der Atomkraft steht. „Good or not resides in people and how they use nature”, formuliert treffend Dr. Dearborn. Die Logik des Kalten Krieges würde in den Weltraum exportiert. Der Endzeitasteroid verlangt aber einen gleichberechtigten Gegenspieler. Der potente Gegenspieler muss seine Ressourcen und Möglichkeiten ausschöpfen, und hier steht die atomare Schlagkraft auch auf der Angebotsliste . Im Schatten des Gegenspielers kann dabei übrigens der ökonomische Aspekt in der Asteroidenforschung gedeihen. Asteroid Mining ist keine Science-Fiction, sondern über kurz oder lang zwingend ein Szenario, um den gegenwärtigen Produktionsprozess mit Edelmetallen oder seltenen Erden zu versorgen. Abwehr- und Abbaumechanismen sind symbiotische Handlungsstränge. Warum soll die Gefahrenabwehr nicht mit ökonomischen Planspielen einhergehen?[4] Platin, Olivinbanden oder Scandium können der verdiente Rohstofflohn für…

Das gedankliche Abwägen wird barsch unterbrochen. Der Nieselregen intensiviert sich zum Dauerregen. Das Aluminiumstativ des Teleskopes wankt unter der Last der Schutzplane und wird torpediert von kleinen Windböen. Im Hintergrund ertönen warnende Stimmen aus dem Flur mit der Bitte um Nichtunterschätzung der nasskalten Windböen, die plötzlich und unerwartet über die Terrassenfliesen peitschen. Ich will nicht abwarten, und die Asteroidenforschung sollte nicht abwarten. Es gibt jetzt keine Alternative mehr zum Abbau meiner astronomischen Beobachtungsstation, und das Beobachtungsziel ist klar verpasst. Ich habe keine Wahl, aber die Gedankengänge lassen die Wahl und verpassen nicht das Ziel. ADAS[5] muss das Ziel auch nicht verpassen, aber die Entscheidungsträger sind hierfür ganz irdischen Ursprunges mit haushaltspolitischen Blickwinkeln. Nichtsdestotrotz darf es in keiner Weise eine Vorherbestimmung geben, und die Bedenken müssen versachlicht sein bezüglich möglicher Planspiele. Die gegenwärtig bestimmende Lebensform auf der Erde hat einen Handlungsspielraum durch alternatives Denken ohne Ideologiebehaftung. Das Denken in der späten Kreidezeit war ein Dinosaurier. Das Ergebnis ist bekannt.

[1] Earth Distance: 0.008 AU? Es handelt sich hierbei um die Astronomische Einheit AU, einer astronomischen Längeneinheit. 1 AU entspricht exakt 149 597 870 700 Metern, also sind 0.008 AU 1 196 782 966 Meter oder eben die knapp 1,2 Millionen Kilometer.

[2] Die in der Reportage verwendeten Aussagen von Dr. David S. Dearborn wurden aus einer Email-Korrespondenz zwischen ihm und mir entnommen. Es sind persönliche Ansichten von David S. Dearborn und repräsentieren nicht das offizielle Meinungsbild von US-amerikanischen Einrichtungen.

[3] Die renommierte Atomkraftgegenerin Prof. Dr. Schmitz-Feuerhake aus Deutschland vertritt diesen Standpunkt. Diese Sichtweise von der emeritierten Professorin war deutlich und nachvollziehbar aus einer Email-Korrespondenz zu diesem Thema zwischen ihr und mir herauszulesen. Die Erlaubnis zur Verwendung zumindest sinngemäßer Textpassagen aus dieser Korrespondenz liegt mir vor.

[4] US-amerikanische Firmen wie  Planetary Resources oder Caterpillar beschäftigen sich nicht nur aus einer Laune heraus mit Berg(ab)bautechnologien zur Gewinnung extraterrestrischer Ressourcen. Interessante Anekdote: James Cameron, Regisseur des bis heute kommerziell erfolgreichsten Filmes „Avatar – Aufbruch nach Pandora“, gehörte mit zur Investorengruppe bei der Ausrufung von Planetary Resources 2012 in Seattle. Kurioserweise behandelt der Film den geplanten Abbau von Rohstoffen eben auf dem Planeten Pandora.

[5] Die Abkürzung steht für Asiago – DLR Asteroid Survey, wobei DLR wiederum für Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt Verwendung findet. Es handelt sich um ein Asteroidensuchprogramm zwischen der DLR und der Universität Padua.

11. Schlussbetrachtungen zum Vogelherdstandortkandidaten Scheidingen

Wenn in Geschichtslegenden ein historischer Kern verankert ist, um den sich austauschbare Elemente in Abhängigkeit von der Zeit sammeln, dann ist die Vogelherdlegende immer noch eines der Aushängeschilder zur Wesensdemonstration dieser literarischen Zunft. Kommen die Ursprünge der Geschichtslegenden mit ihren handelnden Hauptakteuren aus einer Zeit, in der die Schriftkultur und die Neigung zur schriftlichen Fixierung von nachprüfbaren Ereignissen höchstens marginale Ausmaße heutiger Verhältnisse annehmen, dann sind für den Historiker Grenzen und Freiräume zugleich bei Schlussfolgerungen gegeben.

Die möglichen Aufenthaltsorte in der Finkenherdgeschichte – und mein Projekt bezieht nur die gängigsten Ortschaften ein – zeigen deutlich das Dilemma auf: Ohne Überreste passiert erst einmal nichts außer Verklärung, aber mit den Überresten ist die Rekonstruktion  auch begrenzt. Die Sickelsche Urkundensammlung liefert keine Rückschlüsse zum Aufenthalt des Sachsenherzogs Heinrich um die Jahreswende 918/919. Ostfälische Standorte wie Dinklar oder Quedlinburg sind vorzeigbare Kandidaten, ziehen aber ihre Legitimation entweder aus einer in Vergessenheit geratenen literarischen Ersterwähnung oder aus Verklärungen, die sich zum Gewohnheitsdenken manifestierten. Hier setzen die für eine historische Legende markanten Zusätze variantenreich und zeitgeistabhängig an, wohlwissend, dass die Förderer dieser nebelumhüllenden Geschichten eine sachliche Überprüfung von Kritikern nach aktuellem Wissensstand nicht als abschließende Bewertung interpretieren brauchen und fürchten müssen…den Freiräumen ist dann zugleich der Nährboden bereitet.

In diesem Argumentationsklima darf der Krumme Duike in der Scheidinger Flur nahe Werl zum Standortkandidaten heranwachsen und berechtigt mitspielen.

Die Liudolfinger hatten Stammbesitzungen in Westfalen, Graf Eckbert und seine Ida aus Herzfeld waren legendäre Ahnen, Mathilde brachte ihrem Mann über die westfälische Immedingerlinie zusätzlich Land und Einfluss, das castrum verzeichnete nach Meinung der führenden westfälischen Geschichtsschreiber (Seibertz, Hömberg) einen Aufstieg mit dem beginnenden 10. Jahrhundert…Heinrich und Werl waren eng miteinander verbunden. Lässt man den Historikerstreit mit Werlaburgdorf aus Niedersachsen außen vor, dann war Werl auch strategisch sinnvoll als Fliehburgzentrum im Kampf gegen die Ungarn.

Wie ist nun der Bodenfund an der Teichanlage in L-Form zu interpretieren? Gut, dass offenbar mit den wenigen Hinweisen in der Literatur ein Fund im vermuteten Gebiet schneller als gedacht zum Vorschein kam. Gegenwärtig und mit aktuellem Wissensstand muss er aber selbstkritisch in einer unausgearbeiteten Fassung verweilen. Das Prozedere bei Bodenfunden ist zu akzeptieren, vorweggenommene Thesen sind ohne ausführliche Begutachtungen schon fachwissenschaftlich unseriös. Die Ausläufer der abgesteckten Steinfundamente deuten auf eine größere Jagdhütte hin (Stand Dezember 2014: 11,70 m × 9,60 m bei Einbeziehung des quadratischen Plateaus) in exponierter Lage für die typische Vogelstellerumgebung: Ein Aufbewahrungsraum für Fangnetze und Käfige mit den Singvögeln, und ein anderer Raum beherbergt den Vogelsteller mit Zugleinen in seinen Händen, die durch schmale Wandscharten auf das Vogelfangareal zulaufen als Schließvorrichtung für die dortigen Netzwände, umgeben von zumindest in Teilen erhaltenen Gräben. Halt! Ohne die entsprechenden Bodenfundanalysen gibt es über diesen Zugang (noch) keine eigenmächtigen Interpretationen. Hilfreicher und auch seriöser ist da schon ein anderer Blickwinkel, um mit dem Vogelfangprojekt nicht „in der Klemme zu stecken“:

Aus einem konstruktiven Gespräch mit Stephan von Papen im November 2014 nahm ich noch an Vorhaben mit, dass eben über die weitere Suche nach Halterungsbecken für die Fischzucht und deren Analyse nach geologischen Gesichtspunkten (Bodenkerne, Erdaufwallungen) entlang dem Landwehrkanal sicher eine Zuarbeit über das ehemalige Wirtschaftsareal in der Scheidinger Flur lohnen würde. Das castrum oder Präsidium, die curtis regia und der  curtis dicta Aldehof ermöglichen einen indirekter Zugang zum Vogelfangplatz am Duike…damit ist dann aber auch der Weg in den Pfalzstandort Scheidingen eingeschlagen. Einiges kann noch anvisiert werden, damit der „Pechvogel umgarnt“ werden kann, um es mit dem Wortschatz aus der Vogelstellerei zu verdeutlichen. Als Beigabe lieferte das Gespräch mit von Papen noch die Information, dass die Bezeichnung Aldehof nach seinem Wissensstand unter Einbindung der mündlichen Überlieferung über die Generationen hinweg stets die Lage des alten Wirtschaftshofes widerspiegeln würde, der aber dann auch zuvor das Zentrum der wie auch immer gearteten Ansiedlung gewesen war. Richtig, denn auf der von mir verwendeten Flurkarte 1774-UR-02 lag der alte Hof knapp 150 m vom heutigen „alten Hof“ entfernt. Diese Ausmaße lassen zumindest das Präsidium gerechtfertigt erscheinen.

Die vereinzelten Steinbrocken deuten wiederum auf alte Mauerreste hin. Eine gegenwärtige Untersuchung ist jedoch nicht möglich, da diese Stellen landwirtschaftlich genutzt werden. Sie passen aber in ein Gesamtgefüge von verborgenen Überresten entlang des Mühlenbaches oder des Salzbaches abseits der alten Heerstraße/des alten Hellweges für einen ausgeprägten Wirtschaftshof (curtis regia?) oder eben ein Präsidium (der Sachsenkönige?).

Interessanter Nebeneffekt: Während der Literaturrecherche konnte ich die Neudatierung der Gemeinde Illingen auf 1220 aufzeigen über die Vogteirollen, und hier liegt sicherlich noch weiteres Verborgenes in der Flurstück- und Ortsnamenaufarbeitung.

Vogeirolle 1neu
Vogteirolle

 

Vogteirolle 26 001
Ilinchusen

Nach kurzer Recherche war es mir auch für das Wirtschaftsgut Koeningen gelungen, dass zum Mühlenkomplex zumindest neue Erkenntnisse eingebaut werden sollten. In einer Urkunde von 1430 wurde bereits eine Mühle erwähnt, obwohl sich bis heute das Jahr 1524 in der Literatur zu diesem Thema hält.[1]

mühle
Urkunde Lappen von Konynck Schlichtung mit der Stadt Werl Die Werler sollen das Wasserwieder zu der Lappen Mühle leiten. Arnsberg 1430 September 16 http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/dwud/a1/pdf/057/a1057232.pdf

Aktuell können bereits neue Steinfunde (Ende Dezember 2014) auf benachbarten Fluren zum Krummen Duike gemeldet werden, die für den Zugang über die curtis regia sprechen als indirekte Beweisführung zum Vogelherd (siehe Altehof). Aber auch hier gilt ein Halt, denn „wenn der Vogler am schönsten pfeift, ist ihm am wenigsten zu trauen“, daher gilt auch hier Zurückhaltung ohne ausführliche Analysen. Abwarten und schrittweises Konstruieren zu einer Gesamtbildlage sind die Wegrichtungen. Letztendlich muss man sich über diesen Zugang entlang dem Salzbachverlauf in der Scheidinger Flur oder der angegliederten Hellwegzone auf archäologische Bodenfundkonzentrationen einstellen. Professor Baales, der Leiter der Außenstelle Olpe der LWL-Archäologie für Westfalen, brachte das für den Werler Raum treffend und kommentarlos schon Ende Oktober 2014 zur Sprache:

„(…)´Auch in der Nachbarschaft bestätigen uns Funde an der Oberfläche, dass da bedeutsame Archäologie im Boden anzutreffen ist´, weiß Baales. ´Die Hellwegzone ist voll damit´, ergänzt er. Wobei es sich teilweise um stattliche Dimensionen handelt ´größere Dörfer mit zahlreichen Höfen´, schildert der Olper Fachmann. (…).“[2]

Zum Schluss gibt es eine Danksagung an die Mitarbeiter der LWL , die durch Mitarbeit und Hinweise ihren Beitrag zum Projekt leisteten. Nach Aussage von Dr. Cichy plant man sogar für den Sommer 2015 eine Ausgrabung eben an den Steinfundamentresten…man darf gespannt sein auf die Ergebnisse. Stephan von Papen gilt mein besonderer Dank, denn mit seiner uneingeschränkten Erlaubnis war mir der Zugang zu den Flurstücken jederzeit möglich. Herr Heinz Kiko, der mir immer mit Rat und Tat zur Seite stand. Ich hoffe, dass er mich auch weiterhin unterstützt und wir noch einige interessante Dinge erforschen können.

[1] Vgl. hierzu http://www. westfalen-adelssitze.de / koeningen.html und http:// www.lwl.org/ westfaelische-geschichte/ dwud / a1/ pdf/ 057/ a1057232.pdf.

[2] Vgl. hierzu die Werler Ausgabe im Soester Anzeiger vom 30. Oktober 2014.

Anhang

  • Quellen und LiteraturBauer, Albert und Rau, Reinhold, Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit, in: Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe Band VIII, Darmstadt 1971.Borgolte, Michael (Hrsg.), Mittelalterforschung nach der Wende, München 1995.Eisold, Norbert und Kühn, Peter, Quedlinburg, Rostock 2002.Giese, Wolfgang, Heinrich I. Begründer der ottonischen Herrschaft, Darmstadt 2008.Hömberg, Albert K., Westfälische Landesgeschichte, Münster 1967.
  • Folgende Titel können unter http:// www.dmgh.de / de / fs1 / object / display / bsb00000871_00311.html ? sortIndex = 010:050:0004:010:00:00&zoom = 0.75 in digitalisierter Fassung abgerufen werden:
  • Höhne, Heinz, Der Orden unter dem Totenkopf, Die Geschichte der SS, Augsburg 1995.
  • Franz, Günther, Quellen zur Geschichte des deutschen Bauernstandes im Mittelalter, Darmstadt 1974.
  • Diwald, Hellmut, Heinrich der Erste, Bergisch Gladbach 1987.
  • Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark, Bände 11-12, Dortmund 1902.
  • Althoff, Gerd, Inszenierte Herrschaft, Geschichtsschreibung und politisches Handeln im Mittelalter, Darmstadt 2003.
  • Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde (Hrsg.), Band 1:Die Urkunden Konrad I., Heinrich I. und Otto I., Hannover 1879-1884, S. 39-79.
  • Hirsch, Paulus (Hrsg.), Widukindi monachi corbeiensis, rerum gestarum saxonicarum libri tres, Hannover 1935, S. 58f.
  • Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.), Annalista Saxo, in Scriptores (in Folio) 6: Chronica et annales aevi Salici, Hannover 1844, S. 594.
  • Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.), Hrotsuithae Gesta Oddonis, in Scriptores (in Folio) 4: Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici, Hannover 1841, S. 319.
  • Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.), Sigeberti Gemblacensis chronica cum continuationibus, in Scriptores (in Folio) 6: Chronica et annales aevi Salici, Hannover 1844.
  • Pertz, Georg Heinrich u. a. (Hrsg.), Vita Bernwardi episcopi Hildesheimensis auctore Thangmaro, in Scriptores (in Folio) 4: Annales, chronica et historiae aevi Carolini et Saxonici, Hannover 1841, S. 754–782.Löns, Hermann, Sämtliche Werke, Band 1, Leipzig 1924.Mosen, Julius, Heinrich der Finkler, König der Deutschen: ein historisches Schauspiel in fünf Acten, Leipzig 1836.Petri, Franz, Handbuch der historischen Stätten Deutschlands, Nordrhein/Westfalen Band 3, Stuttgart 1970.Rösener, Werner (Hrsg.), Jagd und höfische Kultur im Mittelalter, Göttingen 1997.Rückert, Heinrich, Lohengrin, Zum Erstenmale kritisch herausgegeben und mit kritischen Anmerkungen versehen, Quedlinburg und Leipzig 1858.Schott, Clausdieter (Hrsg.), Eike von Repgow, Der Sachsenspiegel, Zürich 1991.Seibertz, Johann Suibert, Urkundenbuch zur Landes- und Rechtsgeschichte des Herzogthums Westfalen, Erster Band, dritte Abtheilung, Geschichte des Landes und seiner Zustände, Dritter Theil, Arnsberg 1864.Vogl, Johann Nepomuk, Balladen und Romanzen, Wien 1835.Weiland, Ludwig (Hrsg.), Sächsische Weltchronik, Hannover 1877.Winkelmann, Eduard, Die Jahrbücher von Pöhlde, Berlin 1863.
  • Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Altertumskunde, Band 21, 1861.
  • Werler Ausgabe im Soester Anzeiger vom 30. Oktober 2014.
  • v. Papen, Franz, Der Wahrheit eine Gasse, München 1952.
  • Viehweger, Wolfgang, Die Grafen von Westphalen, Münster 2003.
  • Schulze, Fritz, Heimatbuch der Gemeinde Flerke 1982.
  • Schoppmann, Hugo, Band 1, II. Teil, Die Flurnamen des Kreises Soest, Soest 1940.
  • Rübel, Karl, Die Franken, Bielefeld und Leipzig 1904.
  • Pröhle, Heinrich, Unterharzische Sagen, Wernigerode 1855.
  • Nachrichten von der Georg-Augusts-Universität und der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Göttingen 1856.
  • Mehler, Franz Josef, Geschichte der Stadt Werl, Werl 1891.
  • Lindner, Kurt, Geschichte des deutschen Weidwerks, Band II: Die Jagd im frühen Mittelalter, Berlin 1940.

10. Karte des Ptolemäus

Wenn man die Koordinaten von Ptolemäus einfach zeichnet, kommt völliger Unsinn heraus. Es wird die Interpretation von Reismann-Grone interessant, dass man vielleicht nur Koordinaten einer Reiseroute zueinander in Bezug setzen darf. Wenn jemand im Winter auf dem Hellweg vom Rhein nach Paderborn reiste und die Breitenangaben maß und ein anderer im Sommer an der Lippe entlang, kämen durch die unterschiedlichen Sonnenstände stark abweichende Werte für die zwei Routen zustande. Die einzelnen Raststationen aus einer Jahreszeit untereinander würden aber stimmen. Vielleicht wusste der viel näher am Äquator lebende Ptolemäus die Daten nicht umzurechnen und teilte sie daher in Klimata (=Sonnenstände) ein, die man nicht durcheinanderwerfen darf. Das bleibt aber alles Spekulation, solange man nicht möglichst alte Abschriften des Originalwerks von Ptolemäus vergleichen kann, die noch nicht interpretiert und verfälscht wurden. Überhaupt wäre wichtig zu wissen, ob damals die Koordinaten am Polarstern oder an der Sonne und dann zur Sommersonnenwende oder zur Wintersonnenwende gemessen wurden oder ob es eben zu einer Vermischung unterschiedlicher Messverfahren kam.

cfrvder


Die Geographie des Ptolemäus für Niederrhein – Westfalen

von Reismann – Grone

Fredebeul & Koenen AG, Essen 1938

im Vergleich zu

Jahn und die neuere Berliner Untersuchung

Reismann-Grone interpretiert die historischen Angaben nach praktischen Gesichtspunkten, wie sie für Händler und Militär relevant gewesen sein mögen, Jahn und die neuere Berliner Untersuchung stützen sich auf die mathematische Auswertung der Längen- und Breitenangaben. Mich persönlich überzeugt die Argumentation von Reismann-Grone, sie führt zu deutlich weniger Unstimmigkeiten, auch wenn sie auf den ersten Blick gewagt erscheint. Jahn hingegen erklärt die vielen aus seiner Interpretation resultierenden Ungereimtheiten mit Fehlern bei Ptolemäus. An dieser Stelle kann ich nicht glauben, dass ein antiker Gelehrter, der dabei war, sein Lebenswerk zu schaffen, nämlich die damals bekannte Welt zu erfassen, schludrig Orte einfach irgendwo in seine Karte eingetragen hat. Meines Erachtens widerlegt sich Jahn insofern mit seiner Karte auf Seite 33 von „Geschichte von Stadt und Stift Essen“ selbst. Derart viele ungenaue und verwechselte Ortsangaben hätte Ptolemäus nicht aufgezeichnet. Auf Seite 37 bemängelt Jahn außerdem die fehlende Verbindung zwischen „Arelatia“ und „Werl“. Muss es solch eine Verbindung im Wortstamm überhaupt geben? Folgt man Reismann-Grone, mag es für Reisende – seien es nun Händler oder Krieger – eine wichtige Information gewesen sein, dass man „are late“ (= am Sumpf, der durch die vielen Quellen und den Untergrund aus Mergel und Lösslehm entstand und erst durch Entwässerungsgräben (im Mittelalter?) trockengelegt wurde) eine Stelle zum Rasten finden konnte. Vielleicht hieß das Dorf lange Zeit aufgrund seiner Lage Arelatia, bis es (vielleicht erst nach Ptolemäus Tod) zunehmend militärische Wichtigkeit erlangte und sich der Wandel in seiner Bedeutung auch in der Veränderung des Namens niederschlug: Werlaha/Werlaon (= Wehrlager) [Topographisch-statistische Beschreibung der kaiserlichen freien Reichs-Stadt Goslar: zur Belehrung u. Unterhaltung für Leser aus allen Ständen von Sebastian Georg Friedrich Mund]. Auch andere Städte wurden umbenannt, je nachdem, wer an der Macht war und wie sich die Zeiten änderten, man denke nur an Byzanz/Konstantinopel/Istanbul. Zu dem angeblich zwischen Werl und Soest gelegenen Kalaigia/Kalisia findet man bei woerterbuchnetz.de: < Calegia  in der locativischen Form ‘Calegiae’ für Weimar1) [Ortsangabe in der Zeichnung G-s für das Studentenstammbuch Augusts] C-e ult Mart 1808 Corpus IV B,Nr262 ~ 263 1) Zur Diskussion um das Wort vgl WVulpius in JbGG17, 1931,120f, ferner M. Hecker in JbGG21, 1935,201f, der an Verschreibung für Caligae denkt, abermals Vulpius in GOETHE3, 1938,108f, der den Namen hier als eine alte Gattungsbezeichnung für versch Städte (Wittenberg, Helmstedt, Halle ua) angibt, ohne ihren genauen Inhalt bestimmen zu können.

Nach Pierer2 s v Galägia “Flecken der Cherusker, am Ende des Harzes, mit Salzquellen; jetzt Halle a. d. Saale”, s v Halle “wahrscheinlich der von Ptolemäos Kalägia genannte Ort”. ‘Calegiae’ scheint als Bezeichnung für Salinenorte od Orte der Salzlagerung, des Salzhandels denkbar. Hier vielleicht als Metapher für Weimar als Heimat, wo stets Salz als das alte Symbol der Hauszugehörigkeit bzw Gastfreundschaft bereitsteht. Maria Erxleben > Die Beziehung zum Salz scheint offensichtlich und würde hier in Verbindung mit der Lage genau zur Wüstung Rithem passen… Dies wäre wieder eine Ortsangabe des Ptolemäus, die mehr eine Eigenschaft oder praktische Bedeutung und weniger den heutigen Namen beschreibt.

Ich sehe hier den Stoff für weitere Arbeit, die den Gedanken von Reismann-Grone aufgreift und kritisch den Ansatz der Berliner Studie hinterfragt. Dafür ist eine intensive Beschäftigung mit dem Werk des Ptolemäus (Vergleich anderer Regionen mit heutiger Geographie) und anderer Quellen wie z.B. des auf Seite 31 zitierten „Itinerarium Antonini“ notwendig.

                                                       Fortsetzung folgt….